Mittwoch, 16. August 2023

Ein besonderer Fall von Insiderstraftaten

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

In meinen letzten Kolumnen vor der Sommerpause (07/08 2023) habe ich Ihnen das schon vielfach erwähnte Rechtsgut (oder auch „Schutzgut“) des Vermögensstrafrechts (etwa Betrug, § 263 StGB oder Untreue, § 266 StGB) in Erinnerung gerufen: Die vom Gesetzgeber als relevant (also von der Allgemeinheit nicht mehr hinnehmbaren) in Strafgesetzen definierten Angriffshandlungen (also z. B. „Täuschung“ beim Betrug) sind in diesem Teil des Strafrechtes unter Strafdrohung verboten, wenn sie zu einem Schaden im Vermögen des Opfers führen sollten und geführt haben. Es ist dann Sache der Betriebswirtschaft diese Vermögensdifferenz (Wert des Vermögens vor und nach der schädigenden Handlung) rechnerisch zu bestimmen. Für diese Rechnung sind die Vermögensgüter der Geschädigten nach deren Marktbewertung (also ihren Preisen) anzusetzen. 

Die „ungestörte“ oder besser: „marktgerechteBildung der Preise für Güter, die in einem konkreten und gesetzlich definierten Markt (dem Kapitalmarkt) gehandelt und in Kapitalmarktgesetzen definierten werden („Kapitalanlagen“), ist damit selbst das Schutzgut dieses Strafrechts. Als „Hüterin“ dieses Wertfindungsprozesses auf diesem Markt hat der Gesetzgeber eine Marktaufsichtsbehörde bestimmt, die Wertpapieraufsicht als (Frankfurter) Teil der BaFin. Auch deren Aufgaben und ihre Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden habe ich Ihnen schon im vorangegangenen Heft des BP mit der Ankündigung vorgestellt, zunächst das Manipulationsstrafrecht anzusprechen.

Ich hoffe, Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich von diesem Programm abweiche und stattdessen einen vom 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) am 08.02.2023 entschiedenen Insiderfall (Az: 2 StR 204/22) vorziehe, für dessen Verständnis die soeben knapp wiederholten Grundlagen wichtig sind.

Der Entscheidung des BGH liegt ein Urteil der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt/Main vom 30.09.2021 (Az: 5/29 KLs 3/21) zugrunde, in dem der Angeklagte H wegen 55 Insiderstraftaten zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten, der Angeklagte wegen 19 Taten zu 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt wurden. Beide Angeklagten hatten gegen dieses Urteil Revision eingelegt, über die der BGH entschieden hat. Wie Sie wissen, hat ein Revisionsgericht lediglich darüber zu entscheiden, ob das (materielle und das Prozess-)Recht vom „Tat“-Gericht richtig angewandt wurde, nicht aber, ob die Schuld oder das Strafmaß (auch) aus seiner Sicht „richtig“ ist. Der BGH hat in der genannten Entscheidung einen (prozessrechtlichen) Rechtsfehler festgestellt: Urkunden, auf deren Inhalt es für die Entscheidung ankam, wurden in der (öffentlichen) Hauptverhandlung nichtverlesen“, sondern nur „angeschaut“ („in Augenschein genommen“) und – auszugsweise – Zeugen „vorgehalten“. Damit war nicht gewährleistet, dass alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit Beweismittel, die für die Urteilsfindung Bedeutung hatten, zur Kenntnis nehmen konnten – so war das Urteil „rechtsfehlerhaft“, wurde aufgehoben und die Sache an „eine andere Wirtschaftsstrafkammer“ des LG Frankfurt/M zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Diese Entscheidung steht noch aus und gegen sie haben dann wieder die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft (erneut) das Rechtsmittel der Revision. So kommt es immer wieder vor, dass der BGH mehrmals über dieselbe Sache entscheiden muss. Im konkreten Fall gab es noch eine „Partei“, die vom Urteil betroffen ist und deshalb Rechtsmittel einlegen kann, die „Nebenbeteiligte“ – eine in Wirtschaftsstrafsachen ebenfalls häufig „Betroffene“ – doch dazu später mehr.

Mir scheint der Fall für das Insiderstrafrecht weniger wegen der Höhe der (zunächst verhängten und vom BGH als „moderat“ bezeichneten) Strafen für die („geständigen“) Angeklagten, interessant, obwohl die Strafe für die höchste ist, die je in Deutschland für Insiderstraftaten verhängt wurde. Die Anzahl der Insiderstraftaten ist eher unterdurchschnittlich – spektakulär sind allerdings der kriminell eingesetzte Betrag, das Handelsvolumen und die erzielten Gewinne. Das alles ist aber eher „Kolorit“, wenn auch für die Höhe der Strafe bedeutsam. Für die Leser des BP ist der Fall deshalb exemplarisch, weil er die hohen pekuniären Anreize und die (scheinbar) geringe Aufdeckungsgefahr für die Mediatoren des Kapitalmarktes, aber auch das Zusammenwirken eines Kapitalmarktbeteiligten mit Außenstehenden plastisch macht

Dazu der Sachverhalt (nach den Feststellungen im angegriffenen Urteil des LG): H war Abteilungsleiter einer Investmentgesellschaft, „bewegte täglich ein Handelsvolumen von mehr als 500 Mio. Euro“ und wusste, dass die für seine Auftraggeber auszuführenden Orders jeweils Marktrelevanz (Auswirkung auf den Kurs des Wertpapiers; Wertveränderung 0,6–0,8 %) haben werden. Diese Differenz (nach oben wie auch nach unten) machte er sich durch Call-/Bull-Derivate zunutze. kaufte und verkaufte für sich „privat“ in jeweils 3 Monaten in den Jahren 2020 und 2021 in 55 Handlungen über insgesamt für mehr als 50 Mio. € Derivate auf die Wertpapiere des Auftraggebers seines Arbeitgebers im Preis von insgesamt über 45 Mio. €, woraus er einen Gesamtgewinn von über 225 T € erzielte. 

In den von meiner Abteilung bei der StA Stuttgart zu bearbeitenden (allerdings deutlich kleineren) Fällen war dieserH“ regelmäßig ein Bank-Mitarbeiter.

B, ein langjähriger Freund des H, war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer Handelsgesellschaft (GmbH). Nach Information über die Bedeutung der Ausführung seiner Kundenaufträge auf den Preis der von ihm zu handelnden Wertpapiere und dann jeweils vom konkreten Auftrag durch H erwarb B als Geschäftsführer seiner GmbH am 06.05.2020 Derivate auf diese Papiere. Dadurch bewirkte er bei seiner GmbH einen (Brutto-)Gewinn von knapp 34 T € und in weiteren An- und Verkäufen Netto-Einnahmen von über 3 Mio. € mit einem Gewinn von über 333 T €.  

Nun zur Strafnorm: Bereits im BP 04/23 (S. 101) habe ich Ihnen das (Straf-)Gesetz genannt, das festlegt, welche Handlungen als Insiderstraftat mit Kriminalstrafe (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe) bedroht sind: § 119 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1–3 WpHG und Art. 15 der Verordnung (EU) Nr. 596/2015. Nach § 119 Abs. 4 WpHG ist schon der Versuch einer Insidertat strafbar, Abs. 5 erweitert den Strafrahmen (die mögliche Höchststrafe) auf 10 Jahre für (Nr. 2) Mitarbeiter der BaFin, einer Börse oder Betreiber einer Handelsplattform. Für minder schwere Fälle (Abs. 6) ist eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 5 Jahren vorgesehen. Eher selten kann Abs. 5 Nr. 1, 2. Alt. bewiesen werden, die Tatbegehung als Mitglied einer Insiderbande. Beide Strafschärfungsgründe kennen Sie schon aus meiner Besprechung von Betrug und Untreue: Eine Bande setzt mindestens drei Personen, die sich mindestens für eine gewisse Dauer zu den jeweiligen Straftaten zusammengeschlossen haben, ein. Von großer Relevanz und Gefahr ist Nr. 1. Alt., der gewerbsmäßige Insiderverstoß. Dieser kann schon vorliegen, wenn jemand plant, die Tat wiederholt zu begehen, wenn er sich dadurch „eine fortlaufende Einnahmequelle von Dauer und Umfang“ verschaffen will. Das Landgericht Frankfurt hat dies auch bei nicht angenommen.

Sie haben erkannt, dass diese Normen keine Tat, sondern nur deren Folgen beschreiben, die Strafnorm also erst durch „Zusammenlesen“ der Handlungs- mit der Rechtsfolgennorm entsteht – eine im Wirtschaftsstrafrecht häufig gewählte Form, wobei beide Normen auch nicht im gleichen Gesetz enthalten sein müssen. Dass – wie im Kapitalmarktstrafrecht immer wieder – aber zwei verschiedene Gesetzgeber zu einer gemeinsamen Strafnorm zusammenfinden hat seinen Grund darin, dass dem europäischen Gesetzgeber die Kompetenz zur Schaffung von Straftaten in den (europäischen) Verträgen von den Einzelstaaten gerade nicht übertragen wurde. So regelt Art. 15 VO (EU) Nr. 596/2015 nicht strafbare, sondern zivilrechtlich gebotene Handlungen. Der deutsche (Straf-)Gesetzgeber hat für die Beschreibung der Insiderstraftat in § 119 Abs. 3 Nrn. 1–3 WpHG hierauf verwiesen, weshalb diese Bestandteil des deutschen Straftatbestandes geworden sind: “wer … verstößt …indem er … entgegen Art. 14 EU-VO … ein Insidergeschäft tätigt, es empfiehlt, eine Insiderinformation offenlegt oder jemand zu solchem Tun anstiftet“.

Ich will mit Ihnen, meine lieben Leserinnen und Leser, die Einzelheiten dieser so gebildeten Norm möglichst nah an Ihrem Arbeitsfeld noch besprechen. Für unseren aktuellen Fall sehen wir aber schon Folgendes:

  1. wusste etwas, was nicht allgemein bekannt war und ein im Kapitalmarkt gehandeltes Papier betraf. Er wusste auch, dass die ihm bekannte Information, wäre sie allgemein bekannt, geeignet war, den Kurs des Wertpapiers (oder den eines Derivates hiervon) erheblich zu beeinflussen – eine Insiderinformation. (Ich denke, dass Sie dieses „Etwas“ sofort erkennen und klar benennen können; damit werden wir uns im nächsten BP näher beschäftigen.)   
  2. hat Insidergeschäfte getätigt, indem er diese Insiderinformation nutzte, um hierauf bezogene Finanzinstrumente zu kaufen/verkaufen.
  3. hat dem Insiderinformationen mitgeteilt (wofür er nicht gesondert bestraft worden ist).
  4. hat (unter Verwendung der ihm von H mitgeteilten Insiderinformationen) gehandelt

Könnten Sie sich Vergleichbares in Ihrem Arbeitsfeld vorstellen?

Ich werde im folgenden BP selbstverständlich die Einzelheiten unter dem Blick der Norm verdeutlichen und auch – wie in meinen früheren Beiträgen – die Aufdeckung solcher Straftaten, das Zusammenwirken der Marktaufsicht mit der Staatsanwaltschaft beschreiben. Ich hoffe, meine Fragestellung konnte Sie zu Diskussionen über Informationen und Tatsachen im Kapitalmarktstrafrecht anregen.


Beitragsnummer: 22248

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