Dienstag, 20. Juni 2023

Ist eine E-Mail im Geschäftsverkehr verbindlich?

Hans-Jürgen Wieczorrek, Firmenkundenbetreuer Sanierung, Kreissparkasse Köln 


Die Ausgangssituation

Das Kommunikationsmedium E-Mail ist im heutigen Leben nicht mehr wegzudenken. Während die E-Mail im privaten Bereich schon in weiten Teilen von Messengern fast verdrängt wurde, erfolgt im Geschäftsleben durchaus eine rege Nutzung. Die kurze Reaktionszeit in Verbindung mit der Möglichkeit, Dokumente zu versenden, sind schon unschlagbare Vorteile. Allerdings gibt es, ähnlich wie bei einem konventionellen Schreiben, einige Stolperfallen.

Der Bundesgerichtshof hatte im letzten Jahr über einen Fall zu entscheiden, der in seiner Entstehungsgeschichte relativ unspektakulär war. Die Beklagte wurde mit Vertrag vom 19.08.2016 von der Klägerin beauftragt, Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten an einem Bauvorhaben vorzunehmen. Die Klägerin rechnete einen Betrag von 254.335,77 € ab. Die Beklagte nahm diverse Kürzungen vor und wies im Rahmen einer vorgelegten Abrechnungsvereinbarung eine Schlusszahlung von 14.538,36 € an.

Die Klägerin widersprach der Schlusszahlung und forderte die Beklagte mit Schreiben vom 27.11.2018 zu einer weiteren Zahlung in Höhe von 14.347,23 € nebst Anwaltskosten von 1.029,35 € auf. Daraufhin bot die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2018 an, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Zahlung in dieser Höhe zu leisten.

Daraufhin bestätigte der anwaltliche Vertreter der Klägerin mit E-Mail vom 14.12.2018 um 09:19 Uhr, dass sich die Forderung aus der Schlussrechnung (mit Ausnahme des Sicherheitseinbehalts sowie des Verzugsschadens und der Anwaltskosten) auf 14.347,23 € belaufe. Weitere Forderungen bestünden nicht.

Am 14.12.2018 um 09:56 Uhr relativierte der anwaltliche Vertreter der Klägerin seine eigene vorherige Aussage und wies darauf hin, dass eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin noch nicht erfolgt sei und mögliche weitere Forderungen gestellt werden könnten, so dass daher die E-Mail von 09:19 Uhr unberücksichtigt bleiben müsse.

Am 17.12.2018 legte die Klägerin eine Schlussrechnung über 22.173,17 € vor. Am 21.12.2018 überwies die Beklagte den zuerst genannten Betrag von 14.347,23 € sowie die Anwaltskosten von 1.029,35 € und reagierte daraufhin nicht mehr.


Die Lösung

In seinem Urteil vom 06.10.2022 (VII ZR 895/21) verkündet der Bundesgerichtshof folgenden Leitsatz:

„Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.“

Das vorher eingeschaltete Berufungsgericht kommt zu der Ansicht, dass hier ein Vergleich i. S. d. § 779 BGB abgeschlossen wurde, mit dem die über den in der E-Mail von 09:19 Uhr genannten Betrag hinausgehenden Forderungen erlassen worden sind. Die Modifikation des ursprünglichen Angebots der Beklagten durch die E-Mail von 09:19 Uhr ist als neues Angebot gemäß § 150 Abs. 2 BGB zu werten, was die Beklagte durch Zahlung am 21.12.2018 konkludent angenommen hatte. Diese Sichtweise wurde vom BGH ausdrücklich bestätigt.

In dieser Abfolge hat das vom Anwalt der Klägerin eingesetzte Medium E-Mail eine wichtige Rolle gespielt. Das Berufungsgericht hatte festgestellt, „wonach eine E-Mail im geschäftlichen Verkehr dann dem Empfänger zugehe, wenn sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen sei. Insoweit sei bei Geschäftsleuten und Behörden während der üblichen Geschäftsbeziehungsweise Bürozeiten mit der Kenntnisnahme (Zugang) unmittelbar nach Eingang der Nachricht in den elektronischen Briefkasten zu rechnen. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger komme es dabei nicht an. Sei davon auszugehen, dass das Vergleichsangebot der Klägerin mit der E-Mail um 9:19 Uhr bereits im Sinne des § 130 BGB zugegangen sei, könne die um 9:56 Uhr eingegangene E-Mail keinen wirksamen Widerruf mehr darstellen.“ (Rn. 7). Dieser Sichtweise hat sich der BGH angeschlossen und dabei noch weiter konkretisiert: „Eine Ausnahme soll für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag.“ (Rn. 17). Um technischen Einwänden hinsichtlich einer möglichen tatsächlichen Nichtzustellung direkt zu entgegnen, weist der BGH ausdrücklich darauf hin, dass in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist, wann eine E-Mail als zugegangen gilt.

Unabhängig von den rechtlichen Details im Zusammenhang mit einem Vergleich zeigt das Urteil sehr deutlich auf, dass der Kundenkorrespondenz per E-Mail die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte wie auch der konventionellen Post.


Hinweise für die Praxis

  • Auch wenn es verlockend ist, schnell zu antworten: die E-Mail(-Antwort) sollte sorgfältig formuliert und erst nach gründlicher Korrekturlesung versandt werden. Eine schnelle Reaktion muss nicht unbedingt immer zielführend sein.
  • Ganz banal: sind die Rahmendaten einer Vereinbarung noch nicht endgültig festgelegt oder bedürfen einer finalen Abstimmung, ist es ratsam, einen entsprechenden (Gremien-)Vorbehalt aufzunehmen.

 

Link zum Urteil:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=3aa9e77ce180fb2b6b5adc15dd85c83e&nr=131581&pos=0&anz=1


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