Montag, 19. Juni 2023

Inkrafttreten des HinSchG in Sicht

Julija Kravtsova, Rechtsanwältin, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

1)      Was lange währt, wird – endlich. Ob es auch gut wird, wird man bei dem „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (kurz HinSchG) erst im Rahmen der praktischen Umsetzung beurteilen können. 

Die Umsetzung der sog. „Whistleblower“-Richtlinie (EU) 2019/1937 dauerte jedenfalls – unter Berücksichtigung der zum 17.12.2021 abgelaufenen Umsetzungsfrist und des eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens – zu lange an. Das Tauziehen zwischen Bundestag und Bundesrat führte aber letztlich zu einer Kompromisslösung, die als das neue HinSchG am 02.06.2023 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde. 

Neben der pflichtgemäßen Umsetzung der Richtlinie verfolgt das neue HinSchG zunächst den Ausbau des – aus Sicht des (europäischen) Gesetzgebers – lückenhaften und unzureichenden Schutzes hinweisgebender Personen und sodann die Schaffung entsprechender Maßnahmenpakete sowie Anlaufstellen für diese. Einen Ausgangspunkt bildet dabei die Überlegung, dass Hinweisgeber einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Verstößen oder Missständen leisten und dabei im öffentlichen Interesse handeln. Demgegenüber waren nicht nur etwaig drohende zivil- und/oder strafrechtliche Konsequenzen, sondern auch faktische, persönliche Nachteile (z. B. Ausgrenzung) geeignet, eine unüberwindbare Hürde für den Hinweisgeber zu schaffen und ihn letztlich von einem Hinweis abzuhalten. Genau dieses Spannungsverhältnis soll durch das neue HinSchG im Kern aufgelöst werden.


2)      Betrachtet man die Regelungen im Einzelnen, fällt zunächst auf, dass sowohl der persönliche (§ 1 HinSchG) als auch der sachliche (§ 2 HinSchG) Anwendungsbereich sehr weit geraten sind. Gerade hierdurch wird das nach § 4 HinSchG per se subsidiäre HinSchG trotz zahlreicher, ähnlich ausgerichteter Regelungen (§ 25a Abs. 1 S. 6 Nr. 3 KWG, § 6 Abs. 5 GWG) auch im Finanzbereich, relevant und erstreitet sich durch seine spezielleren Regelungen (z. B. zum Meldeverfahren, wird ausgeführt) seinen Platz.  

Grundsätzlich begrüßenswert ist, dass der Gesetzgeber in § 3 HinSchG einige Begriffe legaldefiniert hat, auch wenn einige im Ergebnis recht unbestimmt bleiben. Beispielhaft sei hier der Begriff „Repressalien“ (§ 3 Abs. 6 HinSchG) genannt – insoweit wird wohl wieder die Rechtsprechung „nachjustieren“ müssen, was unter einem „ungerechtfertigten Nachteil“ zu verstehen ist und wann ein solcher vorliegt. Für einen etwaigen Prozess gilt aber: Ist erstmal die erste Hürde der substantiierten Darstellung einer Benachteiligung im Prozess geschafft, kommt dem Hinweisgeber die – per Kompromiss zwischen Bundestag und Bundesrat eingebrachte – Beweislastumkehr zu Gute. Demnach wird bei einer Benachteiligung im beruflichen Bereich nach einem Hinweis an eine Meldestelle widerlegbar vermutet, dass jene Benachteiligung eine Repressalie i. S. d. HinSchG darstellt. Dann muss wiederum der Beschäftigungsgeber darlegen und Beweis dafür anbieten, dass der in Rede stehende Nachteil auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder jedenfalls das „Hinweisgeben“ nicht kausal für etwaige Nachteile gewesen ist. 

Das „Hinweisgeben“ umfasst nach § 4 Abs. 4 HinSchG „Meldungen“ – Mitteilungen an Meldestellen – sowie nach § 4 Abs. 5 „Offenlegungen“ – Zugänglichmachen von Informationen gegenüber der Öffentlichkeit. Letzteres ist zwar nicht wegen der Stellung im Gesetz (§ 32 HinSchG), jedoch der engen Voraussetzungen gegenüber den Meldungen wohl eher subsidiär zu verstehen. Maßgeblicher Dreh- und Angelpunkt sind die Meldungen an die internen und/oder externen Stellen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das HinSchG mit seinen Schutzwirkungen (§§ 33 ff. HinSchG) lediglich dann zum Zuge kommt, wenn der Hinweis gegenüber den im Gesetz vorgesehenen/benannten Empfängern (Meldestellen, u. U. die Öffentlichkeit) abgegeben wird. 


3)      Externe Stellen werden beim Bundesamt für Justiz (§ 19), der BaFin (§ 21) sowie dem BKartA (§ 22) eingerichtet bzw. sollten es bereits sein (s. o.). Interne Meldestellen sind gem. § 12 HinSchG verpflichtend einzurichten und zu unterhalten bei Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten oder unabhängig von der Beschäftigtenzahl, wenn ein Unternehmen unter die Aufzählung in § 12 Abs. 3 HinSchG (v. a. solche der Finanzbranche) fällt. Hervorzuheben ist, dass gemäß § 7 HinSchG eine Pflicht dahingehend besteht, klar, transparent und leicht zugänglich darüber zu informieren und darauf hinzuweisen, dass jeder Hinweisgeber ein Recht zur Wahl zwischen interner und externer Meldestelle hat. Eine Vorrangstellung der internen Meldestellen – auch wenn dies sicherlich seine Vorzüge gehabt hätte, gerade als „Kompensation“ für den hohen Verwaltungsaufwand – gibt es nicht. Dies ist aber dem europäischen Gesetzgeber „anzulasten“. Die Anforderungen und Pflichten an eine interne Meldestelle (§§ 12 ff. HinSchG) sind derart umfassend, dass sich die Unternehmen nicht des old school Kummerkastens werden bedienen können. Meldungen müssen schriftlich, mündlich sowie bei Bedarf durch persönlichen Austausch möglich sein. Zudem ist eine bilaterale Kommunikation unter Beachtung der Vertraulichkeit (§ 8 HinSchG) sowie weiterer Regelungen (etwa Datenschutz) zu gewährleisten. Die Handlungspflichten nach § 17 HinSchG machen deutlich, dass die interne Meldestelle ferner eine gewisse Sach- und Fachkunde bereithalten muss. Denn neben den schlichten Informationspflichten gegenüber dem Hinweisgeber besteht die Pflicht zur Erstprüfung, ob der Anwendungsbereich des HinSchG überhaupt eröffnet und die Meldung stichhaltig ist. Sodann sind die maßgeblichen Schritte zu ergreifen, etwa die interne Aufarbeitung, die Abgabe an die jeweils zuständigen Stellen oder die Einstellung des Verfahrens – etwa aus Mangel an Beweisen.   


4)      Denklogisch ist der Verwaltungsaufwand für die Einrichtung solcher Meldestellen immens, gerade im Hinblick auf die Implementierung neuer Prozesse in bereits bestehende Strukturen, wobei die hohen Anforderungen an Sicherheit, Datenschutz und den Ausschluss von Interessenskonflikten umfassend zu berücksichtigen sind. Selbst bei erfolgreicher Bewältigung der harten Umsetzungshürden sind die „soft skills“ nicht zu vernachlässigen. So müssen Unternehmen während und nach der Einrichtung der internen Meldestellen aktiv die Akzeptanz und das Vertrauen in diese schaffen, um die (natürlichen) Hemmungen der Beschäftigten abzubauen. Erste Schritte können dadurch unternommen werden, dass über die Einführung der internen Stelle informiert und die Nutzung dieser beworben und gutgeheißen wird. Dabei wird ein Augenmerk darauf zu legen sein, den eigenen Beschäftigten als potentiellen Hinweisgebern zu veranschaulichen, dass die interne Stelle zunächst für sie als Anlaufstelle gedacht ist, aber auch als Frühwarnsystem für das Unternehmen genutzt werden soll. Die Sorge vor Repressalien kann abgebaut werden, wenn verdeutlicht wird, dass die interne Meldestelle auf ein Miteinander ausgerichtet ist und dies nur dann gelingen kann, wenn die Beschäftigten Missstände an das Unternehmen herantragen, sodass effektiv und schnell reagiert werden kann. Wiederkehrende Schulungen sowie stets zugängliches Informationsmaterial über die interne Stelle sowie den Ablauf bei/nach einer Meldung können das Bewusstsein über die Existenz der internen Stelle aufrechterhalten, Meldungen enttabuisieren und die Hürden nachhaltig abbauen. Mithilfe dieser (sicherlich auch aufwendigen) „soft skills“-Maßnahmen können die für den Hinweisgeber, wegen derer Vorteile (Unabhängigkeit/automatisierte Abläufe) grundsätzlich attraktiven externen Meldestellen und das Fehlen einer Vorrangstellung der internen Meldestellen überwunden und letztlich eine Kosten-Nutzen-Relation aus Unternehmenssicht geschaffen werden. Denn bei einer Meldung an eine externe Meldestelle wird das Unternehmen oftmals wegen des langsamen Informationsflusses und der späten Einbindung von einem möglichen Verstoß in dem eigenen Unternehmen erst dann erfahren, wenn sinnbildlich das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Gerade Reputationsschäden oder mögliche Haftungsansprüche können aber bei einer umfassend internen (sofern ohne weitere Behörden möglich) Abwicklung (frühzeitig) abgewendet werden. Vorgenannte Vorteile externer Stellen und die eigene Entlastung – hinsichtlich der Verwaltung, nicht aber der Letztverantwortlichkeit – können Unternehmen dadurch erreichen, dass sie externe Dritte (Rechtsanwälte/IT-Unternehmen) in ihre interne Meldestelle einbinden.


5)      Bei erfolgreicher Implementierung einer internen Meldestelle – eine Nutzung durch die Hinweisgeber vorausgesetzt – bildet das HinSchG sowohl ein Schutzsystem für den Hinweisgeber als auch ein Schutzschild für das Unternehmen. Der Hinweisgeber erfährt in vielerlei Hinsicht Schutz durch das neue Gesetz. Über allem steht die Vertraulichkeit in Bezug auf die Identität des Hinweisgebers (§ 8 HinSchG) sowie der Schutz vor Repressalien (§ 36 HinSchG). Doch auch der Irrtumsschutz ist nicht zu vernachlässigen. Er ermöglicht dem Hinweisgeber – zugunsten des öffentlichen Interesses an einer frühzeitigen Aufdeckung von Verstößen – ein Tätigwerden bereits bei einem hinreichend begründeten Verdachtsmoment bezüglich eines Verstoßes ohne Sorge vor Repressalien. Wie bereits dargelegt, können aber auch Unternehmen von dem HinSchG profitieren. Sie erhalten mit einer internen Meldestelle ein Frühwarnsystem über das die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben intern (zusätzlich) überwacht und ein strukturierter Umgang geschaffen werden kann. Also im Idealfall – sofern er auch in der Praxis möglich sein wird – eine Win-Win-Situation. 


6)      Das HinSchG bringt also viel Neues und wird sowohl die Praxis als auch die Rechtsprechung mit Fragen zur Anwendung beschäftigen, aber auch zu einer aufmerksamen Gesetzeslektüre bewegen. Apropos: Schon wer nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des HinSchG fragt, wird sich einer genauen Lektüre hingeben müssen. Das „früheste Inkrafttreten“ des HinSchG betrifft die Einrichtung externer Meldestellen, welche bereits mit Verkündung des Gesetzes für Hinweisgeber zur Verfügung stehen. Das Gesetz als Ganzes tritt erst zum 02.07.2023 in Kraft. Und auch erst zu diesem Zeitpunkt entsteht die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen für alle nach § 12 HinSchG hierzu Verpflichteten. Gemäß § 42 Abs. 2 HinSchG tritt jedoch § 40 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG, wonach ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 12 Abs. 1 Satz 1 HinSchG nicht dafür sorgt, dass eine interne Meldestelle eingerichtet ist und betrieben wird, für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten sowie Finanzdienstleister unabhängig von der Beschäftigtenzahl erst am 01.12.2023 in Kraft. Sonstige Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten müssen die interne Meldestelle erst ab dem 17.12.2023 einrichten. Mithin ist zwar bei der Einrichtung der internen Meldestellen Eile geboten, jedoch wird v. a. durch die praxisorientierte „Außerkraftsetzung“ der Bußgeldvorschrift bis Dezember 2023 eine strukturierte Umsetzung (eher) ermöglicht.  


Beitragsnummer: 22184

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