Freitag, 14. Juli 2023

Rezension: Die übertragende Sanierung in der Eigenverwaltung

Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, Band 86

Alexander Joost (Hrsg.): Die übertragende Sanierung in der Eigenverwaltung. Mohr Siebeck, Tübingen, 2022. 350 S., 84 €.


Wurde mit dem Instrument der Eigenverwaltung im Zuge der Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 ein deutlicher Akzent zur verfahrensrechtlichen Sanierung gesetzt, so wurde dieses Instrument mit dem ESUG Ende 2011 in seiner Anwendung wesentlich erleichtert und attraktiver gemacht. Obgleich der Anteil der Eigenverwaltungen an den eröffneten Insolvenzverfahren, bezogen auf die letzten zehn Jahre, bei durchschnittlich 2,6 % liegt, hat die Eigenverwaltung, insbesondere bei Insolvenzverfahren mit größeren Unternehmen, eine herausragende Bedeutung erlangt.

Regulatives Vorbild der Eigenverwaltung ist das US-amerikanische Chapter 11. Beiden Verfahren gemeinsam ist, dass dem Schuldner im Insolvenzverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis belassen wird. Im Rahmen des für den Schuldner zur Verfügung stehenden Handlungsrahmens zur Restrukturierung des Rechtsträgers bietet sich in den USA die Möglichkeit des Verkaufs von Teilen des Unternehmens im Wege von sogenannten Asset Deals – 363 Sales. Häufig kommt es dabei, wie in den Fällen von Chrysler, General Motors oder Lehman Brothers, zu Unternehmensverkäufen, bei denen der verbleibende Rechtsträger über die Liquidation abgewickelt wird. 

In Deutschland erfreut sich der Asset Deal in Form der übertragenen Sanierung als Verwertungsinstrument im Regelverfahren einer immer größeren Beliebtheit. Da das Eigenverwaltungsverfahren die Sanierung des Rechtsträgers mittels des Verkaufs von Teilen des Unternehmens über die sogenannte „übertragene Sanierung“ nicht ausschließt, ist es aufschlussreich, diese Instrumente zwischen den beiden Rechtsordnungen einem Vergleich zu unterziehen, zumal die Vorbildfunktion von Chapter 11 bei der Entstehung des ESUG eine wesentliche Rolle gespielt hat. Da die deutsche Transaktionspraxis bei Unternehmensverkäufen maßgeblich durch die angelsächsische Praxis bestimmt ist, liegt es nahe, bei diesem Vergleich auch die Thematik der übertragenen Sanierung einer näheren vergleichenden Bewertung mit dem Instrument des 363 Sales zu unterziehen.

Inspiriert von dieser Herausforderung ist es Alexander Joost gelungen, diesen Rechtsvergleich in seiner Dissertation an der Bucerius Law School auf rund 280 Seiten komprimiert, jedoch zugleich umfassend zu bearbeiten und gleichsam zu einer spannenden Lektüre für den fachlich versierten Leser zu machen. Bei der Lektüre fällt auf, dass der Autor nicht in das unter Juristen häufig anzutreffende „Klein-Klein“ verfällt. Ein reichhaltiges Literaturverzeichnis, das für den interessierten Fachjuristen Ansätze für tiefergehende Recherchen bietet, ergänzt die Darlegungen. 

Beiden Rechtsordnungen gemein ist die Haftungsverwirklichung, die im Wege des Gesamtvollstreckungsverfahrens die Rechtsdurchsetzung kollektiviert. Chapter 11 liegt hierbei das Verständnis zugrunde, dass der Going-Concern-Wert eines Unternehmens grundsätzlich höher ist als sein Zerschlagungswert. Dieses ökonomische Selbstverständnis spiegelt sich in der historischen Entwicklung des US-amerikanischen Insolvenzrechts wider. Der Autor arbeitet heraus, dass die schuldnerfreundliche Insolvenzkultur des Chapter 11 weniger auf libertäre Vorstellungen der Gründungsväter eines freien Individuums zurückgeht, sondern ganz überwiegend durch die Entwicklung der freien Marktwirtschaft geprägt ist, die seit der Unabhängigkeit der USA durch eine auf Kredit aufbauende Wirtschaftsverfassung vorangetrieben wurde.

Dem Gläubigerinteresse wurde daher historisch ein größerer Handlungsspielraum eingeräumt als in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, mit denen, historisch betrachtet, stärker der Abwicklungsgedanke im Vordergrund stand. Während in Deutschland Haftungsverwirklichung und Gleichbehandlung der Gläubiger im Vordergrund stehen, dient das US-amerikanische Insolvenzrecht in erster Linie der Schuldnerrehabilitierung; erst an zweiter Stelle stehen die Interessen der Gläubiger. Joost erwähnt in diesem Zusammenhang auch aktuelle Gesetzesinitiativen, die im Zusammenhang mit 363 Sales dem Aspekt der Arbeitsplatzsicherung im Zusammenhang von Unternehmensverkäufen einen breiteren Raum einräumen. Und hier zeigt sich bereits der erste große Unterschied: An die eigenverwaltende Geschäftsleitung werden deutlich höhere Anforderungen gestellt, da sie eine Vielzahl von Stakeholderinteressen berücksichtigen muss als in Deutschland, wo grundsätzlich das Gläubigerinteresse Anknüpfungspunkt ist.

Insbesondere die Stakeholderinteressen kommen in verfahrensrechtlichen Details zum Ausdruck. So liegen die wesentlichen Verfahrensunterschiede bei der übertragenden Sanierung (bzw. dem 363 Sales) etwa im ausgeprägten Vollstreckungsstopp des Automatic Stay, der in dieser Rigidität in der Insolvenzordnung kein Pendant findet. Bei dieser Regelung im Chapter 11 handelt es sich um einen mit Antragstellung automatisch einsetzenden Vollstreckungsstopp allen Gläubigern gegenüber. Auch hat der zur Überwachung des Schuldners eingesetzte Examiner erheblich mehr Befugnisse als der Sachwalter im deutschen Eigenverwaltungsverfahren. Auch die Übertragung des schuldnerischen Unternehmens erweist sich, insbesondere hinsichtlich der lastenfreien Übertragung von Gegenständen und der generell fehlenden Beteiligung der Gläubiger, in den USA als für den Schuldner weitaus unkomplizierter, während in Deutschland erhebliche Verwertungsbeschränkungen bestehen. 

Alexander Joost ist es mit seiner Dissertation gelungen, mit einem fachlich versierten, gleichwohl zugänglichen Sprachstil ein Fachbuch für Juristen, Insolvenzpraktiker, Mitarbeiter in den Sanierungs- und Restrukturierungsbereichen von Banken und der forschenden Fachwelt zu schreiben, dem eine breite Aufnahme zu wünschen ist.  

 

Dirk Wolff-Simon, Bankdirektor Kreditrisikomanagement, Norddeutsche Landesbank - Girozentrale -



Beitragsnummer: 22180

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