Montag, 19. Juni 2023

Kündigung von Prämiensparverträgen/Zinsanpassungsparameter

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

1)         In einem Fall, in welchem die Zinsstaffeln in einem Prämiensparvertrag über den Zeitpunkt des Erreichens der höchsten Prämienstufe hinaus auch für die Folgejahre mit dem höchsten Prämiensatz aufgeführt war (sog. fortgeschriebene Prämienstaffel; vgl. hierzu Schultheiß/Widany, WM 2023, 601, 603 f.), hat das Oberlandesgericht Bamberg im Anschluss an die beiden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 06.10.2021 sowie vom 24.01.2023 (BGH-Urteil vom 06.10.2021, XI ZR 234/20 BGH Z 231, 2015 mit Anm. Omlor, BKR 2022, 38 u. Edelmann, WUB 2022, 305 sowie vom 24.01.2023, XI ZR 257/21, WM 2023, 326 mit Anm. Herresthal, WUB  2023, 181) in seinem Urteil vom 15.02.2023, 8 U 4/21, WM 2023, 766 entschieden, dass die ordentliche Kündigung des Prämiensparvertrags entsprechend der vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 14.05.2019 (vgl. zu den vom BGH in seinem vom 14.05.2019, XI ZR 345/18 mit Anm. Schultheiß, WUB 2019, 597 sowie Edelmann, BB 2019, 2063) aufgestellten und in seinen Entscheidungen vom 18.01.2022 XI ZR 104/21, 21.06.2022 XI ZR 528/21 u. 534/21 sowie vom 19.07.2022 bestätigten Grundsätze nach Erreichen der höchsten Prämienstufe nach Nr. 26 AGB aufgrund des Niedrigzinsumfeldes rechtswirksam ist. Dabei betont das OLG Bamberg, ebenfalls dem BGH folgend, dass der Sparer bei beiderseits interessengerechter Auslegung der Sparverträge nicht erwarten kann, dass ihm mit Abschluss des Sparvertrages eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit eröffnet wird. Vielmehr finde der vom Bundesgerichtshof bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe kreierte Kündigungsausschluss seine Rechtfertigung allein in dem von der Sparkasse bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe gesetzten, kontinuierlich bis zur höchsten Prämienstufe ansteigenden besonderen Sparanreiz für den Sparer.

Auch wenn sich das OLG Bamberg mit der vom Oberlandesgericht Nürnberg im Urteil vom 29.03.2022, 14 U 3259/20 (WM 2022, 768 m. kritischer Anm. Herresthal, WUB 2022, 233; rechtshängig beim BGH XI ZR 72/22) bejahten Frage nicht auseinandersetzen musste, ob der vom Bundesgerichtshof bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe auf Grund des Sparanreizes für den Sparer erschaffene Kündigungsausschluss auch über die Prämienhöchststufe hinaus dann gilt, wenn die Zinsstaffel auf der höchsten Stufe im Vertragsdokument für die weiteren Jahre abgebildet bzw. fortgeschrieben wird, dürfte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offenkundig sein, dass der vom Bundesgerichtshof bereits als Ausnahme vom Grundsatz des allgemeinen Kündigungsrechts von Sparverträgen kreierte Kündigungsausschluss allein und ausschließlich seine Rechtfertigung in dem von der Sparkasse für den Sparer bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe gesetzten besonderen Sparanreiz findet, mit der logischen Konsequenz, dass allein in der fortgesetzten Abbildung der Zinsstaffel mit Angabe der höchsten Prämienstufe für die Folgejahre im Vertragsdokument kein durch den besonderen Sparanreiz gerechtfertigter Kündigungsausschluss gesehen werden kann (wie hier OLG Celle, Beschluss vom 03.06.2021, 3 U 41/21 u. vom 18.10.2021, 3 U 140/21; OLG München, Beschluss vom 11.11.2021,.5 U 49 4934/21; OLG Bamberg, Beschluss vom 09.12.2021, 8 U 173/21; vgl. hierzu auch Schultheiß/Widany, WM 2023, 601, 603 f.; zur Unschädlichkeit der Verwendung der Worte „maximal" sowie „spätestens“ vgl. Edelmann, Banken-Times SPEZIAL Bankrecht, April 2023, S. 21 f.; Edelmann, Banken-Times SPEZIAL Bankrecht, Dezember 2022/Januar 2023, S. 117; LG Krefeld, Urteil vom 20.04.2023, 3 O 450/21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.11.20222, I-14 U 118/20; LG Düsseldorf, Urteil vom 31.03.2023, 10 O 127/22; AG Düsseldorf, Urteil vom 06.01.2023, 44 C 77/22; vom 12.07.2022, 36 C 11/22 u. vom 22.11.2022, 20 C 230/21; LG Duisburg, Beschluss vom 26.06.2021, 7 S 27/21 m. Anm. Edelmann, BB 2021, 2451 f.).


2)         Nachdem die in dem vom OLG Bamberg entschiedenen Fall im Sparvertrag enthaltene Zinsanpassungsklausel, wie bei der Vielzahl älterer Sparverträge auch, AGB-rechtlich unwirksam war/ist, musste das Oberlandesgericht Bamberg im Anschluss an die beiden Entscheidungen des BGH vom 06.10.2021 sowie vom 24.01.2023 (a. a. O.) im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechenden und dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit von Zinsänderungen entsprechenden Referenzzinssatz unter Einholung eines Sachverständigenrates festlegen. Unter Ablehnung des von der Verbraucherzentrale vorgeschlagenen und durch ein Privatgutachten untermauerten Referenzzinssatzes für Umlaufrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Hypothekenpfandbriefe mit einer mittleren Restlaufzeit von zehn Jahren (frühere Bezeichnung WX4260) entscheidet sich das Oberlandesgericht Bamberg dazu, den vom Sachverständigen Professor W. vorgeschlagenen und sich an die veröffentlichten Spareinlagenzinsreihen orientierten Referenzzinssatz seiner Zinsberechnung zugrunde zu legen.

Was wiederum die in Parallelverfahren vom OLG Dresden (vgl. hierzu nur Urteil des OLG Dresden vom 13.04.2022, 5 U 1973/20, WM 2022, 1973 m. Anm. Edelmann, Banken-Times SPEZIAL, April 2022, 29 f.), ebenfalls beraten durch den Sachverständigen T., im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung verwendeten anderslautende Referenzzinssatz (die von der Deutschen Bundesbank veröffentlichte Zinsreihe der Ist-Zinssätze des Kapitalmarktes für börsenorientierte Bundeswertpapiere mit 8 bis 15-jähriger Restlaufzeit), so scheint das OLG Bamberg der Auffassung zu sein, dass es sich hierbei zwar auch um einen passenden Referenzzinssatz handelt bzw. handeln könnte, dass dieser Umstand den Senat jedoch nicht daran hindere, sich bei Einholung von Sachverständigenrat eine eigene Überzeugung hinsichtlich des anzuwendenden und seiner Auffassung nach „zutreffenderen" Referenzzinssatzes zu bilden und somit einen anderen, vom OLG Dresden abweichenden Referenzzinssatz seiner ergänzenden Vertragsauslegung zugrunde zu legen. In diesem Zusammenhang führt das OLG Bamberg noch aus, dass der Senat aufgrund dieser seiner ergänzenden Vertragsauslegung zu Grunde zu legenden und vom OLG Dresden abweichenden Referenzzinssätze nicht die Revision zulassen müsse, da es sich um eine tatsächliche und keine rechtliche Frage handelt.


3)         Das Oberlandesgericht Naumburg, welches sich ebenfalls in seinem Urteil vom 08.02.2023, 5 MK 1/20, WM 2023, 768, mit einer unwirksam Zinsanpassungsklausel bei „S-Prämiensparen/-Flexibel"-Sparverträgen auseinander setzen musste, erinnert zunächst daran, dass die Zinsänderungsklausel nach anerkannter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit rechtswirksam und nicht AGB-kontrollfähig ist, als sie die Vereinbarung eines variablen Zinssatzes als solchen beinhaltet (so auch LG Krefeld, Urteil vom 20.04.2023, 3 O 450/21). Dies gilt nach Auffassung des OLG Naumburg auch für den anfänglichen Vertragszins, der Ausgangspunkt der Zinsänderung ist. 

Sodann begründet das OLG Naumburg ausführlich, dass und aus welchen Gründen die durch die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel entstandene Regelungslücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist, welche auch vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zulässigerweise vorgenommen werden könne (so auch BGH Urteil vom 24.01.2023, XI ZR 257/21, Rn. 18 mit Anm. Herresthal, WuB 2023, 181 sowie Piekenbrock, EWiR 6/2023, 161 ff.; BGH-Urteil vom 06.10.2021, XI ZR 234/20, Rn. 47 m. Anm. Langner, BKR 2022, 305 sowie BGH, Urteil vom 01.06.2022, VIII ZR 287/20; vgl. auch Herresthal, NJW 2021, 589 f.), und weswegen der Sparvertrag nicht mit dem anfänglich vereinbarten Zins zu verzinsen ist. 

Sodann führt das OLG Naumburg aus, dass es nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge allein interessengerecht ist, einen Zinssatz für langfristige Spareinlagen als Referenz für die Verzinsung von Spareinlagen heranzuziehen (so auch BGH-Urteil vom 24.01.2023, XI ZR 357/21, Rn. 18). Hiervon ausgehend sowie gestützt auf das Sachverständigengutachten des Herrn Prof. T, gelangt das OLG Naumburg, ebenso wie das OLG Dresden auch, zum Ergebnis, dass die Anpassung des variablen Zinssatzes auf der Grundlage der von der Bundesbank veröffentlichten Zinssätze des Kapitalmarktes für börsenorientierte Bundeswertpapiere mit 8 bis 15-jähriger Restlaufzeit vorzunehmen ist (vgl. hierzu Schultheiß/Widany, WM 2023, 601, 608 f.; so bereits OLG Dresden, Urteil vom 22.03.2023, 5 MK 1/22; vgl. hierzu auch Piekenbrock, EWiR 6/2023, 161, 162, welcher sich darüber wundert, dass der BGH in seinem Urteil vom 24.01.2023, XI ZR 257/21, zur Verfahrensbeschleunigung gemäß § 411a ZPO die Verwertung eines vom OLG Dresden in einem Parallelverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens für zulässig erachtet hat; dies obwohl der Gutachter dort auf Papiere mit 8 bis 15-jähriger Restlaufzeit abgestellt hat, statt und nicht wie der BGH bisher, auf Zinssätze, welche einer Laufzeit von 15 Jahren möglichst nahe kommen). 

In diesem Zusammenhang weist das OLG Naumburg noch darauf hin, dass im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung aufgrund der gebotenen ex ante-Betrachtung als Referenzzinssätze nur solche Zeitreihen in Betracht kommen, die zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse bereits veröffentlicht waren. Schließlich legt das OLG Naumburg ausführlich dar, aus welchen Gründen weder der gleitende Durchschnittszinssatz als Referenzzinssatz in Betracht kommt noch die von der Klägerseite vorgeschlagenen Zinssätze für aus der Zinsstruktur abgeleiteten Renditen für Bundeswertpapiere mit jährlichen Couponzahlungen mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren/gleitende Durchschnitte.


PRAXISTIPPS

1)         Während sich das OLG Dresden sowie das OLG Naumburg in vorstehend erwähnten Entscheidungen für 8 bis 15-jährige Bundeswertpapiere als im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu Grunde zu liegenden Referenzzinssatz entschieden haben, hat sich das Oberlandesgericht Bamberg in seiner ebenfalls vorstehend zitierten Entscheidung für die Spareinlagenzinsreihen entschieden und zugleich die Auffassung vertreten, dass seine diesbezüglich abweichende Rechtsauffassung nicht revisibel sei. Insofern bleibt abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof die von den unterschiedlichen Oberlandesgerichten nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eigenständig festgelegten Referenzzinssätze als solche akzeptiert, auch wenn diese sich voneinander unterscheiden, oder ob sich der BGH mit den unterschiedlichen von den Oberlandesgerichten vorgegebenen Referenzzinssätzen auseinandersetzt und unter Einholung von Sachverständigenrat einen bzw. zwei der von den Oberlandesgerichten vorgeschlagenen Referenzzinssätzen für maßgeblich erachtet.

Im Hinblick darauf, dass sich der BGH in seiner Entscheidung vom 24.01.2023 (a. a. O.) mit der Verwertung des vom OLG Dresden eingeholten Gutachtens im Wege des § 411a ZPO einverstanden erklärt und sich hierbei für einen risikolosen Zinssatz ausgesprochen hat, spricht einiges dafür, dass der Bundesgerichtshof die vom OLG Dresden sowie vom OLG Naumburg favorisierten Referenzzinssätzen für 8 bis 15-jährige Bundeswertpapiere für den passenden Referenzzinssatz erklärt.


2)         Was wiederum die grundsätzliche Wirksamkeit der Kündigung von langfristigen Prämiensparverträgen anbelangt, so bleibt abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof die vom Oberlandesgericht Nürnberg in seinem vorstehend erwähnten Urteil (WM 2022, 768 mit Anm. Herresthal, WUB 2022, 233) vertretene Auffassung bestätigt, wonach bei sogenannten fortgeschriebenen Prämienstaffeln bis zum Zeitpunkt der im Vertragsdokument aufgeführten Staffel ebenfalls die Vereinbarung eines konkludenten Kündigungsausschlusses anzunehmen ist, wovon nicht auszugehen sein dürfte. Denn selbst bei Fortschreiben der Zinsstaffel über die Prämienhöchststufe hinaus besteht für den Sparer der bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe bestehende besondere Sparanreiz nicht mehr, welcher allein und ausschließlich Grund dafür war, dass der Bundesgerichtshof ausnahmsweise die Vereinbarung eines konkludenten Kündigungsausschlusses angenommen hat; dies obwohl sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Sparvertrages die Vereinbarung eines solchen konkludenten Kündigungsausschlusses bis zur höchsten Prämienstufe herleiten ließ.


3)         Was wiederum die Verjährung von Zinsnachforderungsansprüchen anbelangt, so ist nicht davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof über seinen Schatten springt und eine zeitliche Grenze für Zinsnachforderungsansprüche von Sparern einführt, so wie dies in der Literatur vielfach favorisiert wird (vgl. hierzu nur Herresthal, ZIP 2022, 921 m. w. N. sowie mit ausführlicher Begründung dazu, warum die BGH-Verjährung-Rechtsprechung bei Sparverträgen wenig überzeugend ist). 


Beitragsnummer: 22177

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