Dienstag, 13. Juni 2023

Anfangsverdacht und Ermittlungen bei Verdacht von Insiderstraftaten

Anfangsverdacht und Ermittlungen bei Verdacht von Insider-/Manipulationsstraftaten

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

Den Einstieg in das „Kapitalmarktstrafrecht im weiteren Sinne“ aus der Sicht der Strafverfolger habe ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser des BP, im vorangegangenen Heft 06 angekündigt. Das ist allerdings leichter versprochen als ausgeführt – habe ich Ihnen doch in meiner Kolumne bislang von der Aufklärung und Ahndung über strafrechtlich relevante Angriffe auf Vermögen berichtet. So haben Sie am Beispiel der Untreue (§ 266 StGB) den schädigenden Umgang durch einen Treunehmer mit dem ihm anvertrauten Vermögen eines Treugebers und den rechtswidrigen Angriff auf Vermögen durch „Lug und Trug“ am Beispiel des Betruges (§ 263 StGB) kennen gelernt und dabei gesehen, dass zur Strafbarkeit der in den Normen geschilderten Handlungen immer auch der Nachteil/Schaden, also die konkrete, betriebswirtschaftlich zu bestimmende Minderung des Wertes des jeweils betroffenen Vermögens als gewollte oder doch „billigend“ hingenommene Folge solchen Handelns gehört. Vermögen – manche werden es wissen – stammt begrifflich aus einem Können („was jemand vermag“). Damit meinten schon die alten Römer „was einer an Steuern zu zahlen vermag“. Es geht also um Wertbestimmung (nicht nur von Gegenständen, sondern auch von Fähigkeiten). Legt „die Obrigkeit“ (wer auch immer die Gemeinschaft/den Staat repräsentiert) diesen Wert nicht autoritär fest – das haben wir hoffentlich hinter uns gelassen –, so ist es „der Markt“ mit seinem Dualismus von Angebot und Nachfrage. Zur Trennung von Vermögens- und Kapitalmarkt-Strafrecht reicht es nicht aus, die auf den jeweiligen Märkten gehandelten Gegenstände zu bestimmen und zuzuordnen: Die der Kapitalmärkte haben eine über den Wert ihres Nutzens für den jeweilig rechtlich Berechtigten hinausgehende gesamtwirtschaftliche Bedeutung: Auf diesen Märkten wird die Maßeinheit der Wertbestimmungen im fairen Austausch von Erwartungen gefunden. Deshalb ist es genau dieser Prozess des Findens eines konkreten Preises, der selbst zum Schutzgegenstand (die Strafrechtswissenschaft sagt hierzu besser: Rechtsgut – aber damit will ich Sie nicht behelligen) des Strafrechts wird. Um auf diesem Markt Handlungen (Tun und Unterlassen) mit dem schärfsten Schwert des Staates als Übelszufügung und Stigmatisierung zu ahnden, kommt es danach nicht (jedenfalls nicht in erster Linie) darauf an, ob bei Betroffenen (Menschen, Personenvereinigungen, juristische Personen) eine Vermögenseinbuße festzustellen ist. Wir alle sind als Gemeinschaft von einem auf diesen Märkten festgestellten falschen Preis betroffen – wie etwa in Kriegs- und Notzeiten vom Brotpreis. 

Diese Bedeutung und den Wertungshintergrund habe ich bei unserem Einstieg in das Kapitalmarktstrafrecht anhand des Kapitalanlagebetrugs (§ 264a StGB) zu verdeutlichen versucht, der seinen Weg in das deutsche Kernstrafrecht des StGB gefunden hat: Als „kupierter Betrug“ verzichtet die Norm zwar auf den Nachweis einer Vermögensschädigung, richtet sich aber doch an der (auch hierauf gerichteten) Gefahr aus, deren Beseitigung zur Straffreiheit führen kann (§ 264a Abs. 3 StGB). Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass „Kapitalmarkt“ keinen „Monolith“ bezeichnet, sondern ganz unterschiedliche Märkte mit verschiedenen Voraussetzungen meint, weshalb der beschriebene Schutz auf die Besonderheiten der Einzelmärkte, der Marktbeteiligten und der Marktüberwachung abgestellt sein muss. Schädigungen des Rechtsgutes „(ungestörte) Preisbildung“ lassen sich aber regelmäßig auf Täuschungshandlungen zurückführen. Daraus resultiert die Nähe zum Werbestrafrecht und zum Strafrecht des Rechnungswesens (als Grundlage von Werbeaussagen). Dass es sich hierbei überwiegend um „Strafrecht im weiteren Sinne“, also um das Recht der Ordnungswidrigkeiten („Bußgeldrecht“) zur Durchsetzung konkreter Maßnahmen der Marktaufsicht durch die BaFin handelt, dass sich erst langsam zum Kriminalstrafrecht i. e. S. entwickelt, vermag nicht zu erstaunen. 

Damit ist nun der Rahmen gespannt und ich will nun den Boden legen, für das Verständnis der wichtigsten Kriminalstrafnormen des Kapitalmarktes, dem (Markt-)Manipulations- und Insiderstrafrecht des WpHG. Zunächst einige Hinweise auf die insofern üblichen Ermittlungsmaßnahmen. Dieses Strafrecht ist in vielfacher Hinsicht symptomatisch für das Kapitalmarktstrafrecht insgesamt: Das betrifft schon die Arbeit der Strafjustiz zur Aufklärung des hierauf bezogenem Tatverdachts, aber auch die Gesetzessystematik mit ständigem Wechsel des (hoch komplexen) Wortlautes der Strafrechtsnormen (auch) aufgrund ihrer Anbindung an die europäische Rechtssetzung. 

Wie in dieser Kolumne mehrfach dargestellt, unterliegt die Staatsanwaltschaft der Aufklärungspflicht beim Vorliegen eines Anfangsverdachtes, dem Legalitätsprinzip. Dies gilt uneingeschränkt auch für das Kakpitalmarktstrafrecht. Dieser Verdacht kann (offenen und/oder anonymen) Hinweisen von Marktteilnehmern oder beliebig anderen, aus Zeitungsanzeigen oder „aus den Netzen“ (Social Media), entnommen werden. Soweit Verantwortliche oder Mitarbeiter von Kreditinstituten betroffen sind, kommen solche Hinweise (meist anonym) aus dem Kreis ihrer Kollegen, Mitarbeiter oder Kunden. Ganz überwiegend liegen diesen Verfahren allerdings Informationen der Wertpapieraufsicht als (Frankfurter) Teil der BaFin zugrunde. Diese (nicht etwa auch die der Bank- und Versicherungsaufsicht) sind nach § 11 WpHG verpflichtet, „Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat nach § 119 begründen, der zuständigen Staatsanwaltschaft unverzüglich anzuzeigen“. Ob daraus ein strafrechtlich begründeter – und zu Ermittlungen verpflichtender – Anfangsverdacht abzuleiten ist, hat die Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Die Mitarbeiter der BaFin setzten sich selbst der Strafbarkeit aus, wenn diese Meldungen unterlassen und dadurch Ermittlungsverfahren nicht oder verspätet eingeleitet werden. Für die BaFin-Mitarbeiter bleibt es im Hinblick auf Ordnungswidrigkeiten bei deren Pflicht zur Aufklärung. Umgekehrt ist aber auch die Staatsanwaltschaft (und sind auch die Strafgerichte) nach § 122 WpHG zur Information der BaFin bei eigener Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, oder wenn Erkenntnisse bei der StA auf „Missstände im Geschäftsbetrieb eines Wertpapierdienstleistungsunternehmen hinweisen, wegen der Straftaten nach § 119 WpHG verpflichtet. Strafgerichte müssen vor Abschlussentscheidungen die BaFin informieren und auf Termine der Hauptverhandlung hinweisen. Die praktische Bedeutung dieser Pflicht hat sich schon erwiesen, als die StA Frankfurt/Main ein Ermittlungsverfahren aus Opportunitätsgesichtspunkten (wegen geringer Schuld) mit Zustimmung des Gerichtes einstellen wollte und die BaFin mit ihrer Stellungnahme dies verhinderte. Die Mitarbeiter der BaFin haben auch Anwesenheits- und Frage-/Stellungnahme-Rechte in der strafrechtlichen Hauptverhandlung. Vor allem die Mitteilung eines Anfangsverdachtes gegen Mitarbeiter von Banken durch die StA an die BaFin schafft immer wieder für die Mitarbeiter Probleme, vor allem wenn die Bankaufsicht Anlass sieht, die ordnungsgemäße Compliance der Bank nach einer solchen Mitteilung bei den Leitungspersonen der Bank zu hinterfragen.

Hat die StA einen Anfangsverdacht einer Straftat nach dem WpHG bejaht, wird sie in aller Regel eng mit der Wertpapieraufsicht zusammenarbeiten: Sie wird Informationen über die Tatverdächtigen und deren Unternehmen, über betroffene Wertpapiere u. a. von der Aufsichtsbehörde anfordern, die bei dieser möglicherweise auch über ausländische Unternehmen und Börsen vorliegen. Sie wird die betroffenen Handelsgegenstände und -umstände analysieren und durch spezielle Mitarbeiter der BaFin notwendige Sachverständigengutachten erstellen lassen. Mitarbeiter der BaFin werden eingeladen, bei Durchsuchungen und Vernehmungen durch Polizei/StA mit ihrem Sachverstand und ihrer Kenntnis der sprachlichen Besonderheiten zu unterstützen. Insbesondere werden Analysen der Handels-Spezifika und der Auswirkung bestimmter inkriminierter Handels-Aktivitäten Beschuldigter und/oder Dritter angefordert. Konkret fordern StA Informationen über Unternehmensprofile, Eckpunkte der Finanzinstrumente, frühere Auffälligkeiten, Stellungnahmen zu Verteidiger-Schriftsätzen, Analysen zur Informationslage im Tatzeitraum und zur Funktionsweise von Finanzinstrumenten an. Diese müssen – nach gewährter Akteneinsicht durch deren Verteidiger – sachkundig hinterfragt werden.

Im nächsten Heft Ihres BankenPraktiker werde ich zunächst Fälle mit Bankbezug zum Manipulationsstrafrecht (§ 119 WpHG) vorstellen, um Ihnen Gefahrensituationen in Ihrem Arbeitsfeld zu verdeutlichen. Sie werden erkennen, dass dieser Teil des Kapitalmarktstrafrechts auf die Informationen aufbaut, die ich Ihnen zu den Ermittlungen zum Betrug (§ 263 StGB) gegeben habe: Erforderlich ist eine Manipulationshandlung durch irreführende Angaben (die auch in einem Unterlassen durch Verschweigen), kann aber auch durch (reine) Handlungen (durch ein irreführendes Verhalten oder sonstige Täuschungshandlungen) erfolgen. Erforderlich ist aber – um den geschilderten Unrechtsgehalt, die Möglichkeit einen „falschen Preis“ herbeizuführen – die „Bewertungserheblichkeit“ bzw. „Preisrelevanz“ der Täuschungshandlung. Sie erkennen die Nähe zum Betrug: Bei diesem führt die Täuschungshandlung zur vermögensschädigenden Entscheidung des Getäuschten, bei der Manipulation muss eine tatsächliche Einwirkung (zur Preiserhöhung, zur Preisreduzierung oder zur Beibehaltung des Preises, der sich ohne die Manipulationshandlung verändert hätte) bewiesen werden. Dieses – und die Möglichkeit, dass eine Marktmanipulation als Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) verfolgt werden kann (mit den Möglichkeiten einschneidender Ermittlungsmaßnahmen) – sollen Ihnen die Beispiele im nächsten BankenPraktiker verdeutlichen.


Beitragsnummer: 22169

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