Mittwoch, 31. Mai 2023

Rechtsprechung des BGH zur Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO

Der BGH hat bei seiner Entscheidung vom 12.01.2023 über die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde nochmals zur Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO Stellung genommen

Marcus Schaich, Leiter Spezialkredite, Sparkasse Lörrach-Rheinfelden

 

Die sogenannte Vorsatzanfechtung ist in § 133 Abs. 1 InsO wie folgt geregelt:

„Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.”

Der BGH hatte mit seinem Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20 – die Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO bekanntlich neu ausgerichtet, indem er die Anforderungen an eine Vorsatzanfechtung zu Gunsten der Gläubiger verschärfte (vgl. hierzu Andrea Neuhof in Banken-Times SPEZIAL Sanierung/Insolvenz, Beitrag Nr. 19412 vom 17.11.2021, abrufbar unter https://www.fch-gruppe.de/Beitrag/19412/zur-neuausrichtung-der-vorsatzanfechtung-nach--133-inso). 

In der Urteilsbegründung führte der BGH seinerzeit u. a. aus, dass die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs 1 InsO nicht allein darauf gestützt werden kann, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder billigend in Kauf nahm, seine Gläubiger auch zukünftig nicht vollständig befriedigen zu können, dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen. Entsprechendes gilt für den Vollbeweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. 

Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.

In der Entscheidung vom 12.01.2023 – IX ZR 71/22 hat der BGH nun im Rahmen seiner Darlegungslast bei der Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Hamburg vom 07.03.2022 eine Klarstellung zur Anwendung des § 133 InsO und der Vermutung der Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht nach § 133 Abs. 1 Satz 2 vorgenommen. In der Begründung führt der BGH mit Bezugnahme auf das Urteil vom 06.05.2021 u. a. aus:

Der Nachweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz wird allerdings durch die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO erleichtert. Die Voraussetzungen des Vermutungstatbestands sind von der Neuausrichtung der Rechtsprechung des BGH nicht betroffen. Für das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz muss der Anfechtungsgegner demnach nicht wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch zukünftig nicht wird befriedigen können.

Der BGH hat bei seiner Entscheidung vom 12.01.2023 über die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde explizit mit Bezugnahme auf das Urteil vom 06.05.2021 nochmals zur Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO Stellung genommen, obwohl er hierzu nicht verpflichtet gewesen wäre.

Zugleich hat der BGH nochmals darauf hingewiesen, dass die mit dem Urteil vom 06.05.2021 eingeleitete Neuausrichtung der Rechtsprechung nicht die Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 betrifft, welche nach wie vor den Nachweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz erleichtert. 

Offensichtlich war es dem BGH ein Bedürfnis, bei dieser Gelegenheit für mehr Rechtssicherheit zu sorgen, was insgesamt begrüßt wird.

Für die Begründung der Vermutung reicht es aus, wenn der Insolvenzverwalter nachweist, dass der Anfechtungsgegner die (drohende) Zahlungsunfähigkeit und die Gläubigerbenachteiligung zum Zeitpunkt der Rechtshandlung kannte.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass den Insolvenzverwalter tendenziell eine verstärkte Beweislast trifft. Grundsätzlich spielen jedoch die Aussagen des Schuldners zu einer Prognose eine wichtige Rolle.

 

PRAXISTIPPS

  • Wiederholte Überziehungen und Zahlungsstockungen können in einer Anfechtungslage vom Insolvenzverwalter bereits als starke Vermutungsanzeichen für eine Zahlungsunfähigkeit herangezogen werden, ebenso Moratorien bzw. Forbearance-Maßnahmen. Bei Kreditentscheidungen und Sicherheitenverstärkungen in der Unternehmenskrise ist eine potenzielle Gläubigerbenachteiligung einer genauen Prüfung zu unterziehen.
  • Die Glaubhaftmachung einer ernsthaft in Angriff genommenen Sanierung durch den Schuldner ist nach der laufenden Rechtsprechung für eine Entlastungswirkung in einer Anfechtungslage sehr hilfreich. 
  • Im Idealfall widerlegt die Vorlage eines schlüssigen Sanierungskonzeptes die Vermutung der Kenntnis eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes. Zumal der Gläubiger auf schlüssige Angaben des Schuldners vertrauen darf und die laufende Umsetzung des Konzeptes von ihm nicht überprüft werden muss. Allerdings dürfen keine substanziellen Anhaltspunkte für ein offensichtlich aussichtsloses Sanierungskonzept und damit einer Täuschung der Gläubiger durch den Schuldner vorliegen.
  • Ansonsten ist generell eine saubere Dokumentation zu empfehlen, z. B. durch einen substantiierten entlastenden Vortrag des Schuldners bei der Mitwirkung zu diversen Maßnahmen in einer vermeintlichen Unternehmenskrise, z. B. bei einer Ratenzahlungsvereinbarung.
  • Verschaffen Sie sich bei kritischen Unternehmenssituationen einen Gesamtüberblick über die zu würdigenden Umstände für eine möglichst rechtssichere Entscheidungsbasis.

Beitragsnummer: 22158

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