Mittwoch, 10. Mai 2023

Straffreiheit trotz Kapitalanlagebetrug gem. § 264a StGB

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

Liebe Leserinnen und Leser des BP, ich habe Ihnen im BP 05/2023 versprochen, dem „tröstlichen Ausblick“ des Erlangens von Straffreiheit, obwohl die Tat des Kapitalanlagebetrugs (§ 264a StGB) vollständig „begangen“ war, anhand eines Beispiels aus der Praxis näher zu bringen. Warum der Strafgesetzgeber diese Möglichkeit für Täter geschaffen hat, habe ich im letzten Beitrag schon genannt und anhand von Beispielen erläutert: Die dem Betrug (§ 263 StGB) vorgelagerte Strafnorm, bei der ein Schaden im Vermögen des mit der Werbung für eine Kapitalanlage getäuschten Anlegers nicht nur nicht eingetreten, bei dem vielmehr nicht einmal ein einziger Anleger getäuscht sein muss (es reicht, dass die Werbung am Markt angekommen ist), geht weit. Sehr viele Werbeaussagen beim Vertrieb von Kapitalanlagen sind geeignet, deren Verantwortliche den Folgen eines (Anfangs-)Verdachtes (vgl. BP 03/2022, S. 52 f.) auszusetzen. Ich hatte freilich schon in diesem Beitrag darauf hingewiesen, dass die praktische Relevanz der Strafnorm – gemessen an den Verurteilungszahlen – sehr gering ist. Dies ändert nichts daran, dass schon die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ganz erhebliche wirtschaftliche, aber auch persönliche Beeinträchtigungen für die Betroffenen mit sich bringt. Deshalb hat der Gesetzgeber für die am Absatz einer Kapitalanlage Beteiligten die Möglichkeit geschaffen, Straffreiheit zu erlangen. Dafür müssen sie aber zunächst die durch ihre unrichtige Werbeaussage (nicht vorhandene Vorteile angepriesen, Nachteile verschwiegen zu haben) für das Funktionieren des Kapitalmarkts geschaffene Gefahr beseitigen.  

Die Strafnorm stellt dafür in § 264a Abs. 3 StGB zwei Möglichkeiten zur Verfügung: 

Nach den Absätzen 1 und 2 wird nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, daß auf Grund der Tat die durch den Erwerb oder die Erhöhung bedingte Leistung erbracht wird. Wird die Leistung ohne Zutun des Täters nicht erbracht, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Erbringen der Leistung zu verhindern.

Daraus können Sie entnehmen, dass für beide Möglichkeiten dieser „Strafbarkeits-Verhinderung/Verfolgungsbegrenzung/-beendigung“ entweder eine Verhinderungsleistung des Täters oder dessen freiwilliges und ernsthaftes (freilich dennoch fehlgeschlagenes) Bemühen, den Eintritt des Vertriebserfolges zu verhindern, erforderlich ist. Viele Wörter mit Interpretationsweite! Lassen Sie uns also einen Blick auf die Wirklichkeit werfen:

Ich will Ihnen einen Fall vorstellen, der den Kapitalanlage-Vertrieb einer Bank und deren Mitarbeiter als Berater (bezüglich eines erfahrenen Kunden) betrifft und der die Gerichte über 3 Instanzen (LG Hamburg, OLG, BGH) beschäftigt hat. Er betrifft den Vertrieb von Zertifikaten, lässt sich aber nach den folgenden Erläuterungen ohne weiteres auf andere Kaptalmarktprodukte Ihres Portfolios übertragen, die unter die Aufzählung des § 264a Abs. 1 Nr. 1 und 2 fallen:

1. Vertrieb von Wertpapieren, Bezugsrechten oder von Anteilen, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, oder

2. dem Angebot, die Einlage auf solche Anteile zu erhöhen.

Dass der Fall einen Zivilrechtsstreit (wegen behaupteter fehlerhafter Beratung) betrifft, verdeutlicht (worauf ich Sie in meiner Kolumne wiederholt hingewiesen habe), dass die zivil- und arbeitsrechtlichen Folgen strafbaren Handelns, die des Strafrechts häufig übersteigen. Dabei dürfen allerdings die Belastung durch strafrechtliche Ermittlungen und die der Verurteilung nachfolgende Stigmatisierung, ein „Krimineller“ zu sein (und die Folgen für ihre Familien), gerade bei Straftätern des Wirtschaftsstrafrechts nicht unterschätzt werden. Vor allem lässt der Fall einerseits Strukturen der Vorwürfe sich geschädigt fühlender Kunden bei wirtschaftlichem Misserfolg der angeratenen Investition erkennen, andererseits zeigt er auch mögliche Vermeidungsstrategien einer betroffenen Bank und deren Verantwortlicher auf. Zudem ist er geeignet, Kunden unter Hinweis auf (vor allem Beweis-)Risiken, aber auch auf Zeit und Kosten eines solchen Verfahrens vom Klageweg abzuhalten, wenn ihnen die Schwächen ihrer Argumentation verdeutlicht werden können.

Das LG Hamburg (Urteil v. 21.06.2011 – 334 O 255/09) hatte erstinstanzlich den Antrag der Kläger zurückgewiesen. Diese hatten vorgetragen, bei der dem Kunden überlassenen „Informationsbroschüre habe es sich um einen (von der Bank mitzuverantwortenden) unrichtigen Prospekt (§ 44 BörsG) gehandelt. Ebenso lehnte das LG eine Haftung aus § 13 VerkProspG (a.F.) und eine Verletzung der (anleger- und anlagegerechten vertraglichen) Beratungspflicht ab. Dabei stützt sich die Entscheidung auf das Argument der ständigen Rechtsprechung, nicht „jegliche Art von Äußerungen und Veröffentlichungen, sondern nur solche in allgemein anerkannten Publikationen für Wirtschaftsfragen oder des hier fraglichen Marktsegmentes“ müssten einer beratenden Bank bekannt sein. Schließlich verneinte das Landgericht auch den Vorwurf des Betruges (§ 263 StGB) als Grundlage eines Schadensersatzes aus §§ 823 Abs. 2, 831 Abs. 1 S. 1, 398 BGB: Es fehle am Nachweis der Angabe einer falschen Tatsache (die auch Rechtsgrundlage des Kapitalanlagebetrugs nach § 264a StGB ist). Dieser Vorwurf wurde allerdings vom Landgericht schon deshalb zurückgewiesen, weil die Anlageentscheidung nicht auf Grund schriftlicher Unterlagen getroffen wurde. Nachdem das Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg die Berufung des Anlagekunden (Urteil v. 15.02.2012 – 13 U 124/11) zurückgewiesen hatte, bestätigte der („Bankensenat“ des) BGH (Beschl. v. 25.06.2013– XI ZR 110/12) das Urteil des OLG Hamburg und schloss damit den Rechtsstreit ab.

Wenn der Kapitalanlagebetrug in der strafrechtlichen Diskussion als „kupierter Betrug“ bezeichnet und damit der Schutz des Vermögens des Kapitalanlegers (ohne den Nachweis eines Vermögensschadens) hervorgehoben wird, so zeigt der soeben vorgestellte Fall, dass durchaus nicht alle Kapitalmarktinstrumente dem Schutz des § 264a unterfallen. Auch die aus ihm abgeleitete zivilrechtliche Haftung muss sich hier an die strenge Wortlaut-Grenze des Strafrechts halten: Die in der Norm aufgezählten Schutzgegenstände, besser „Täuschungsinstrumente (Wertpapiere, Bezugsrechte oder Anteile, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen) beschreiben zwar bedeutende Teile des Kapitalmarktes, erfassen aber durchaus nicht alle. Daher ist es nützlich, bei etwaigen Vorwürfen von Anlegern die Zuordnung des Produktes der angegriffenen Werbung zum vom Gesetzgeber konzipierten Schutzbereich einer genauen Prüfung zu unterziehen. Insbesondere sollte dies bei Banken und Kreditinstituten auch im Hinblick auf Beratung (nur schriftliche Beratung unterfällt der Strafnorm!) im Zusammenhang mit der Vermittlung gesellschaftsrechtlicher Beteiligungen an (Publikums-)Kommanditgesellschaften, Immobilien-Fonds oder auch der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Treuhandvermögen Bedeutung erlangen. 

Vom straf- und zivilrechtlichen Haftungsbereich sind auch „rein individuelle Angebote“, also Einzelangebote und individuelle unrichtige Anlageberatung, ausgenommen. Hier darf aber nicht übersehen werden, dass – wenn Aussage/Verschweigen beim Kunden zu einem Irrtum führen und ihm durch die Kaufentscheidung ein Vermögensschaden – entsteht, Strafbarkeit wegen Betrug (§ 263 StGB) droht.

Schweigen schützt auch nicht zuverlässig vor der straf- und zivilrechtlichen Haftung, hat der Gesetzgeber doch in § 264a Abs. 1 (letzte Alternative) das Verschwiegen nachteiliger Tatsachen ebenso unter Strafdrohung gestellt, wie die unrichtige vorteilhafte Angabe. Praxisrelevant sind z. B. Fälle des Verschweigens von Innenprovisionen bei den genannte Anlageformen. Auch erheblich überdurchschnittliche Vertriebs-/Innenprovisionen des Aufgeldes (Agio als nicht genannter Teil des Gesamtaufwandes) können die Anleger eines „Renditeobjektes“ in die Irre führen. Die konkrete Eignung hierzu muss im Einzelfall aber nachgewiesen werden. 

Erneut will ich auch auf „Organisationsverantwortung“ für Organmitglieder, Bereichsleiter und speziell hierfür Beauftragte (BP 12-01/2023, S. 436 f.) und auf die Reichweite des „bedingten Vorsatzes“ (BP 07-08/2022, S. 244 f.) hinweisen: Beim Kapitalanlagebetrug muss dem Täter nicht nur die Kenntnis von Unrichtigkeit/Nachteiligkeit seiner Angaben über das Anlageprodukt nachgewiesen werden. Nachzuweisen ist vielmehr auch, dass er sich – im Sinne des bedingten Vorsatzes – die rechtliche Wertung der Erheblichkeit zumindest als möglich vorgestellt hat und dennoch warb. 

Doch zurück zur „tätigen Reue“: Nicht wegen Kapitalanlagebetrugs wird bestraft, wer den Anleger bis (spätestens) zur tatsächlichen Leistung der Einlage „aufklärt“ (Abs. 3 S. 1) und auch, wer (wird die Leistung ohne Zutun des Täters nicht erbracht) sich nach seinen Vorstellungen freiwillig und ernsthaft bemüht, die Leistung des Adressaten abzuwenden. 

Wie bereits angekündigt, will ich meinen Blick in das „Vertriebsstrafrecht im engeren Sinne“ damit abschließen und in den nächsten Heften Ihres BankPraktiker den Schritt in das „Kapitalmarktstrafrecht im weiteren Sinne“ (das auch sehr viel mit „Vertriebs-/Werbestrafrecht“ zu tun hat) des BörsG, WpHG, WpPG, VermAnlG und des KWG wagen.  


Beitragsnummer: 22136

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