Mittwoch, 19. April 2023

EuGH zu missbräuchlichen Vertragsklauseln in Fremdwährungsdarlehen

Vereinbarkeit der nationalen Grundsätze der geltungserhaltenden Reduktion, der Ergänzenden Vertragsauslegung sowie der Verjährung mit EuGH-Rspr.

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart/WissMit. Carla Löchel

In seiner ein polnisches Fremdwährungsdarlehen betreffenden Entscheidung vom 08.09.2022, C – 80/21, 81/21 und 82/21 (BKR 2023, 184), hält der EuGH zunächst fest, dass Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 1 der RL 93/13 es dem nationalen Gericht nicht verwehren, nur den missbräuchlichen Bestandteil einer Klausel eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags aufzuheben, wenn das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel der Abschreckung durch nationale gesetzliche Vorschriften gewährleistet wird, die ihre Verwendung regeln, sofern dieser Bestandteil in einer gesonderten vertraglichen Verpflichtung besteht, die Gegenstand einer individualisierten Prüfung Ihrer Missbräuchlichkeit sein kann (Rn. 62).

Diese Normen hindern allerdings das nationale Gericht daran, nur den missbräuchlichen Bestandteil einer Klausel eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags aufzuheben, wenn diese Aufhebung darauf hinausliefe, den Inhalt dieser Klausel grundlegend zu ändern, was wiederum vom vorlegenden nationalen Gericht zu beurteilen ist (Rn. 62–64).

Sodann weist der EuGH darauf hin, dass Art. 6 der RL 93/13, nach seinem Sinn und Zweck her nicht darauf abzielt, die Nichtigkeit sämtlicher Verträge, die missbräuchliche Klauseln enthalten, herbeizuführen, sondern darauf, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so ihre Gleichheit wieder herzustellen, wobei der betreffende Vertrag - abgesehen von der Änderung, die sich aus dem Wegfall der missbräuchlichen Klauseln gibt -  grundsätzlich unverändert bestehen bleiben muss. Sofern daher letztere Bedingung erfüllt ist, könne der betreffende Vertrag nach Art. 6 der RL 93/13 bestehen bleiben, soweit ein solcher Fortbestand der Verträge ohne die missbräuchlichen Klauseln nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich ist, was anhand eines objektiven Ansatzes zu prüfen ist (Rn. 66). In diesem Zusammenhang weist der EuGH weiter darauf hin, dass diese ausnahmsweise bestehende Möglichkeit, eine für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel durch eine dispositive nationale Vorschrift zu ersetzen, auf Fälle beschränkt ist, in denen die Streichung dieser missbräuchlichen Klausel den Richter zwingen würde, den Vertrag in seiner Gesamtheit für unwirksam zu erklären, was für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, so dass dieser dadurch geschädigt würde (Rn. 67).

Hieran anschließend führt der EuGH aus, dass Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 1 der RL 93/13 dahingehend auszulegen sind, dass diese einer nationalen Rechtsprechung entgegenstehen, nach der das nationale Gericht, nachdem es die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klauseln in einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden festgestellt hat, die zur Nichtigkeit dieses Vertrags insgesamt führt, die für nichtig erklärte Klausel entweder durch eine Auslegung des Willens der Vertragspartner ersetzen kann, um eine Nichtigerklärung des Vertrags zu vermeiden, oder durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts, auch wenn der Verbraucher von den Folgen der Nichtigkeit des Vertrages in Kenntnis gesetzt wurde und diese akzeptiert hat (Rn. 84).

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Effektivitätsgrundsatz führt der EuGH sodann aus, dass die Frage, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei müssten gegebenenfalls die Grundsätze berücksichtigt werden, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Rn. 87). Zudem führt der EuGH aus, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, die Effektivität der Rechte des Verbrauchers sicherzustellen, das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes impliziert (Rn. 88).

Dies Zugrunde legend führt der EuGH, was die nationalen Verjährungsfristen anbelangt, zunächst aus, dass Fristen von 3, 5 oder 10 Jahren grundsätzlich ausreichend sind, um es dem Verbraucher zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzulegen, um die Rechte, die ihm aus dieser Richtlinie erwachsen, insbesondere in Form von auf die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel gestützten Restitutionsansprüchen geltend zu machen (Rn. 92 f.). Unter Hinweis darauf, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt (Rn. 94) hält der EuGH sodann jedoch fest, dass unabhängig von vorstehenden Ausführungen eine nationale Verjährungsfrist nur dann mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist, wenn der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von seinen Rechten Kenntnis zu nehmen, bevor diese Frist zu laufen beginnt oder bereits abgelaufen ist (Rn. 98). Hieran anknüpfend führt der EuGH anschließend aus, dass dann, wenn einer Klage eines Verbrauchers auf Rückerstattung von auf der Grundlage einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträgen eine zehnjährige Verjährungsfrist entgegengehalten wird, die mit dem Zeitpunkt jeder von ihm erbrachten Leistung in Lauf gesetzt wird, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt die Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel nicht selbst beurteilen konnte oder keine Kenntnis von ihrer Missbräuchlichkeit hatte, ohne zu berücksichtigen, dass der Vertrag einen Rückzahlungszeitraum – im vorliegen Fall 30 Jahre – vorsah, der weit über die gesetzliche Verjährungsfrist von 10 Jahren hinausgeht, dem Verbraucher kein wirksamer Schutz gewährleistet wird, weswegen eine solche Frist gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt (Rn. 99).

 

PRAXISTIPP

Vorstehende vom EuGH aufgestellten Grundsätze entsprechend nach hiesiger Auffassung im Grundsatz durchgehend den nationalen deutschen Regelungen. So verbietet auch das deutsche Recht eine geltungserhaltende Reduktion und zwar auch im kaufmännischen Verkehr, weswegen grundsätzlich bei Feststellung der Missbräuchlichkeit/der Nichtigkeit einer Klausel deren Unwirksamkeit im Ganzen nach sich zieht (vgl. Grüneberg, in Grüneberg, BGB-Kommentar, 82. Auflage 2023, § 306 Rn. 6). Eine Ausnahme wird, und auch dies entspricht vorstehenden vom EuGH aufgestellten Grundsätzen, im deutschen Recht nur dann gemacht, wenn die Klausel neben der unwirksamen Bestimmung auch unbedenkliche, sprachlich und inhaltlich abtrennbare Bestimmungen enthält. Voraussetzung für eine solche Teil-Aufrechterhaltung ist allerdings, dass das Wegstreichen der unwirksamen Teilregelung ein aus sich heraus verständlicher Klauselrest verbleibt (sogenannter „Blue-Pencil-Test"; Grüneberg, a. a. O., Rn. 7 m. w. N.). Schließlich ist auch die Möglichkeit der Lückenschließung im nationalen deutschen Recht durch die ergänzende Vertragsauslegung mit vorstehenden Ausführungen des EuGH vereinbar (so BGH, Urteile vom 06.10.2021, XI ZR 234/20 sowie vom 01.06.2022, VIII ZR 287/20 Rn. 45; Herresthal, NJW 2021, 589 sowie Schultheiß, BKR 2023, 190 in seiner Anmerkung zu vorstehender EuGH-Entscheidung). 

Was wiederum die Ausführungen des EuGH zum Beginn der zehnjährigen Verjährung anbelangt, so könnten diese Ausführungen Zweifel an der Rechtswirksamkeit nicht nur der 3-jährigen Kenntnis abhängigen deutschen Verjährung nach § 199 Abs. 1 BGB aufkommen lassen, sondern auch hinsichtlich der zehnjährigen Kenntnis unabhängigen Verjährung gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB. Dies deshalb, weil nach den Ausführungen des EuGH Verjährungsfristen nur dann dem Effektivitätsgrundsatz genügen, wenn die Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von seinen Rechten Kenntnis zu nehmen, bevor die Frist zu laufen beginnt oder abgelaufen ist. Diesbezüglich wurde allerdings bereits an anderer Stelle aufgezeigt, dass die nationalen deutschen Verjährungsregelungen insbesondere unter Berücksichtigung des "Unzumutbarkeitsgrundsatz" des Bundesgerichtshofs dem europäischen Effektivitätsgrundsatz genügen (vgl. hierzu Herresthal, ZHR 186 (2022) 373, 404–406; Freise, Juris PR-BKR 3/2023 Anmerkung 1; Edelmann/Schultheiß/Weil, BB 2022, 1.548 ff.).


Beitragsnummer: 22115

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