Freitag, 10. März 2023

„Kapitalmarktstrafrecht“ – Ein Einstieg

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

Liebe Leserinnen und Leser des BP, mit großer Freude habe ich die positiven Reaktionen auf meine „ständige Kolumne“ zu den Grundlagen der Arbeit, der Motivation und der Handlungsmaximen eines Wirtschaftsstaatsanwaltes und deren Einordnung in das Gefüge der Justiz und der Verantwortlichkeit und Vorgehensweise der in die Aufklärung eines Tatverdachtes eingesetzten Kriminalpolizei zur Kenntnis genommen. Besonderes Gewicht habe ich dabei auf Fallgestaltungen gelegt, bei denen – wie naheliegend für den BP – Banken und Kreditinstitute besonders betroffen sind. Auf dieser Grundlage will ich Ihnen in den folgenden Ausgaben Ihrer Zeitschrift einen Einblick in eine Strafrechtsmaterie geben, in der die vom Strafrecht zu sichernden Grenzen marktkonformen Verhaltens – nicht nur, aber auch und besonders – Sie als Verantwortliche bedeutender „Player“ angesprochen sind: Den Kapitalmarkt.

Christian Schröder bezeichnet dieses Strafrecht in seinem „Handbuch Kapitalmarktstrafrecht“ (4. Aufl. 2020 Einleitung, S. 1) völlig zu Recht als „Querschnittsdisziplin“. Dass Strafrecht menschlichem Handeln mittels Schuldzuweisung und mit der Folge einer Übelszufügung (Entzug von Konsummöglichkeiten und Freiheit) Grenzen aufzeigen soll, deren Überschreiten durch Entscheidungen des demokratischen Gesetzgebers als für die Gesellschaft nicht hinnehmbar gekennzeichnet sind, ist sicher Konsens. Dass es der Folge eines Verstoßes gegen bußgeldgesicherte Handlungs-/Unterlassungspflichten des Ordnungswidrigkeiten-Rechts, der Geldbuße, am sozialethischen Ernst fehlen soll, mag diskutiert werden – dass aber die schlichte Höhe solcher Ahndung, wie sie der Gesetzgeber aus dem Kartellrecht in immer breitere Bereiche des Kapitalmarktrechtes überträgt, selbst Weltkonzerne beeindruckt, ist kaum streitig. Kapitalmarktstrafrecht kann daher nur im weiteren Sinne, also unter Einschluss des Ordnungswidrigkeitenrechtes verstanden werden.

Vor allem aber führen die der poenalen Folge vorgelagerten Pflichtbeschreibungen, also die jeweiligen Handlungs-/Unterlassungsgebote für am Kapitalmarkt Agierende, seien es nun „natürliche Personen“, also Menschen oder deren mehrere, gemeinschaftlich handelnde (Gesellschaften) oder juristische Personen, zu einem breit angelegten Weg quer durch unsere Rechtsordnung. Deshalb müssen sich meine folgenden Beiträge auf Kernelemente der jeweiligen Rechtsgebiete beschränken. Die Grundzüge strafrechtlicher Verantwortung und die praktische Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden und der gerichtlichen Schuldfeststellung im Hinblick auf die die Bankmitarbeiter/-verantwortlichen besonders betreffenden Strafnormen habe ich Ihnen mit meinen Beiträgen bereits nähergebracht. Im Vordergrund standen dabei Strafnormen des Individualrechts-Güterschutzes, also etwa des Vermögens (wie Betrug und Untreue), aber auch des Lebens und der Gesundheit, Rechtsgüter die neben dem Vermögen vor allem durch unterlassene/fehlerhafte Compliance verletzt werden können.

Auf die vielfältigen Formen und Differenzierungen des Kapitalmarktes als Synonym oder Unterfall des Finanzmarktes – und so als Oberbegriff oder Teilbereich (neben dem Geld-/Kreditmarkt) verstanden – soll unter dem Begriff des Strafrechts i. w. S. nicht eingegangen werden. Wohl aber muss hier in den Blick genommen werden, dass die Überwachung eines Teilbereichs dieses Marktes einer Aufsichtsbehörde zugeordnet ist, die hier (aus der Sicht des Strafrechts i. w. S.) zugleich Aufklärungs- und Ahndungsbehörde in durchaus hierarchischer Struktur (EU-Behörde ESA mit der Banken- [EBA], Versicherungs-/Pensions- [EIOPA] und der Wertpapieraufsicht [ESMA]; national BaFin und daneben die Börsenaufsicht der Finanzministerien der Bundesländer) ist. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es schlüssig, dem „regulierten (und damit „überwachten“) den nicht regulierten (und deshalb der Überwachung nicht unterliegenden, grauen) Kapitalmarkt gegenüberzustellen. Bei dieser – aus der Sicht des Strafrechts erfolgten – Kategorisierung ist der schwarze Kapitalmarkt der „rein“ kriminellen, nämlich „betrügerischen“ Betätigung von Marktteilnehmern zugeordnet.

In diesem Geflecht bleiben – auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung und Ahndung Abgrenzungsbedürfnisse, die betroffenen/geschädigten Marktteilnehmern die Wahrnehmung ihrer Rechte erschweren. 

Deshalb will ich Ihnen zunächst den Weg der Bußgeldbescheide jedenfalls skizieren: 

  • Gehen einerseits die Kapitalmarktbefugnisse der ESA grundsätzlich denjenigen der BaFin und diejenigen der BaFin der Börsenaufsicht vor, so bleibt den Marktaufsichtsbehörden im Hinblick auf Straftaten (i. e. S.) weder eine Aufklärungs- noch eine Ahndungskompetenz. Diese obliegt den nationalen Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten; die Aufklärung und Ahndung von deutschen Bußgeldsachverhalten wiederum ist alleinige Aufgabe der BaFin
  • Deren Entscheidungen unterliegen der gerichtlichen Prüfung – im Falle der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit des Kapitalmarktstrafrechts i. w. S. durch einen Bußgeldbescheid den deutschen Strafgerichten. Danach entscheidet über dessen Rechtmäßigkeit (nach zulässigem Einspruch binnen zwei Wochen durch den Betroffenen und dessen Prüfung durch die BaFin) zunächst der Strafrichter (als Einzelrichter) des örtlich zuständigen Amtsgerichtes ohne Hauptverhandlung durch Beschluss oder nach Hauptverhandlung (in der die Staatsanwaltschaft Antragsbehörde ist) durch Urteil
  • Gegen beide Entscheidungen können sowohl der Betroffene als auch die Staatsanwaltschaft (nicht auch die BaFin, weil deren Rechte im gerichtlichen Verfahren von der StA wahrgenommen werden) Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht einlegen (§ 79 OWiG). Diese entspricht inhaltlich in etwa einer Revision im Strafverfahren. Sie dient der einheitlichen Rechtsanwendung und führt daher ausschließlich zu einer Prüfung, ob der Amtsrichter das materielle und das prozessuale Recht richtig angewandt hat. 

Eindeutig scheint zunächst die Aufklärungs- und Ahndungszuständigkeit: Bußgeldrecht ist nationales Strafrecht (i. w. S.), weshalb nur die BaFin (nicht auch die ESA und nicht die Börsenaufsicht) alleinige Aufklärungs- und Ahndungsbehörde ist. Besteht allerdings der Verdacht (auch) einer Straftat ist insoweit allein die Staatsanwaltschaft zuständig. Wie ich Ihnen in BP 03/22 näher dargelegt habe, ist die Schwelle für einen strafrechtlichen Anfangsverdacht sehr niedrig: Es bedarf nur des Vorliegens von Tatsachen, die – wenn sie wahr und erweislich wären (was im Verfahren abzuklären ist) – den Inhalt der Strafnorm belegen. Dies gilt sinngemäß auch für den Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit. 

Soweit Tatsachen (auch oder allein) den Verdacht einer Straftat als auch den einer (Kapitalmarkt-)Ordnungswidrigkeit begründen, ist nicht nur die Ermittlungs-, sondern schon die Prüfzuständigkeit der Staatsanwaltschaft zugeordnet (vgl. etwa § 11 WpHG: schon „Tatsachen, die den Verdacht … begründen, (sind) der zuständigen Staatsanwaltschaft unverzüglich anzuzeigen“, worauf die Staatsanwaltschaft über den (strafrechtlichen) Gehalt des Verdachtes und damit die Ermittlungszuständigkeit zu entscheiden hat. Solche Mitteilungen begründen in der Praxis die weitaus meisten Verfahren der Staatsanwaltschaften.

Bedeutsam – vor allem für Mitarbeiter im Bankenbereich – ist auch der umgekehrte Fall: Eine Staatsanwaltschaft ermittelt aufgrund einer Anzeige oder sonstiger Erkenntnisse, die einen Anfangsverdacht begründen. In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer (bundesweit geltenden Mitteilungspflicht (Nr. 24 MiStra – Mitteilungen in Strafsachen; vgl. aber auch etwa § 122 WpHG für das Wertpapierrecht) die Pflicht zur Information der BaFin. Auch soweit diese an deren Wertpapieraufsicht in Frankfurt gerichtet werden, müssen Sie als Mitarbeiter einer Bank damit rechnen, dass diese Information an die Bankenaufsicht der BaFin in Bonn weitergereicht wird. Unbeschadet der geltenden Unschuldsvermutung und der geringen Anforderungen an einen Anfangsverdacht wird dies jedenfalls dann zu Nachfragen der Bankenaufsicht an die Leitung der betroffenen Bank führen, wenn hierdurch keine Gefährdung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (mehr) zu befürchten ist – eine höchst missliche Lage für den Bankmitarbeiter, vor allem, wenn sich später herausstellt, dass der Verdacht nicht belegt werden kann.

 

Ich hoffe, liebe Leserinnen und Leser, ich habe Sie neugierig genug gemacht, dass Sie mit mir in den folgenden Heften des BP in die vielfältigen Bereiche des Straf- und Bußgeldrechtes in seiner praktischen Anwendung durch Staatsanwaltschaften und BaFin als Bußgeldbehörde (einschließlich deren konkreter Zusammenarbeit bei der Aufklärung) eintauchen wollen. Ich will mit „klassischem“ Kapitalmarktstrafrecht, dem Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB) beginnen, der sowohl für Handel mit Kapitalanlagen auf dem „überwachten“ als auch auf dem „grauen“ Kapitalmarkt Anwendung findet. Es sollen dann die in der Praxis so wichtigen Fälle des ganz europarechtlich geprägten Strafrechts (i. w. S.) des WpHG mit dem Insider- (§§ 119 Abs. 3, 4, 120 WpHG, Art. 14, 89 MAR) und (Markt-)Manipulationsstrafrecht (§§ 119 Abs. 1 Nr. 1–4, Abs. 4–6, 120 WpHG, Art. 15, 20 MAR) sowie die „verbotenen Geschäfte“ des KWG (§ 54 KWG) und die Börsenspekulationsgeschäfte (§§ 26, 49 ff. BörsG) ebenso vorgestellt werden, wie die in den letzten Jahren stets verschärften Rechtsfolgen bei Täuschungen im Vertrieb von Kapitalanlagen und insbesondere dabei Mängel der Rechnungslegung, der Rechnungsprüfung, etwa im Vermögensanlagengesetz und HGB. Ich freue mich auf unsere Diskussion und Ihre Anregungen in den folgenden Monaten in Ihrem BankPraktiker


Beitragsnummer: 22050

Beitrag teilen:

Produkte zum Thema:

Produkticon
Arbeitsbuch Prüfung Beauftragtenwesen 2. Auflage

89,00 € inkl. 7 %

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

01.02.2024

Beitragsicon
Das „klassische“ Kapitalmarktstrafrecht“

Der Beitrag behandelt Fallgestaltungen der Strafbarkeit eines Kapitalanlagebetrugs gem. § 264a StGB in Banken.

13.04.2023

Beitragsicon
Neue Anforderungen an Vergütungssysteme – Ein arbeitsrechtlicher Blick

Die BaFin hat neue Vorgaben für angemessene Vergütungssysteme. Es werden die arbeitsrechtlichen Instrumentarien zur Umsetzung der Vorgaben vorgestellt.

01.03.2024

Beitragsicon
Straffreiheit trotz Kapitalanlagebetrug gem. § 264a StGB

Der Beitrag gibt Einblick in Strafrechtsrisken der Bank, hier das „Vertriebsstrafrecht im engeren Sinne“ beim Kapitalanlagebetrug.

12.05.2023

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.