Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
Im Newsletter Banken-Times SPEZIAL Bankrecht, Ausgabe 2022, 97 f. wurde darüber berichtet, dass der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in mehreren Entscheidungen festgehalten hat, dass, anders als früher, die Haftung von Prospektverantwortlichen nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im engeren sowie im weiteren Sinne gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB unter dem Aspekt des Bestehens einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung durch die spezialgesetzliche Prospekthaftung verdrängt wird, die spezialgesetzliche Prospekthaftung somit nach diesen Normen in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich somit absoluten Vorrang vor der Prospekthaftung im engeren sowie im weiteren Sinne hat.
Seine dahingehende Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 20.09.2022, XI ZB 34/19, nochmals bestätigt und diese Vorrangrechtsprechung ausdrücklich auch auf den Haftungsadressaten des Treuhänders ausgeweitet; dies jedenfalls dann, wenn dieser zugleich auch als Gründungsgesellschafter tätig geworden ist (vgl. hierzu Anm. Zoller, BB 2023, 275 f.).
Diese Vorrangrechtsprechung der absoluten spezialgesetzlichen Prospekthaftung wurde vom XI. Zivilsenat in seiner Entscheidung vom 13.12.2022, XI ZB 10/21, erneut bestätigt; dies obwohl der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs kurz davor in seinem Beschluss vom 25.10.2022, II ZR 22/22, in einem „obiter dictum“ dieser Vorrangrechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausdrücklich widersprochen hat, ohne jedoch die Revision zuzulassen. Letzteres hat er nur deshalb nicht getan, weil die Zulassung der Revision mangels Entscheidungserheblichkeit der umstrittenen Rechtsfrage im konkreten Fall nicht in Betracht kam. Auch der XI. Zivilsenat sah sich in seiner Entscheidung vom 13.12.2022 nicht veranlasst, aufgrund der abweichenden Auffassung des II. Zivilsenates in seiner Entscheidung vom 25.10.2022 irgendetwas zu veranlassen. Dies zum einen deshalb, weil er der Auffassung ist, dass ihm im Anwendungsbereich der Prospekthaftung auch die ausschließliche Kompetenz darüber zustünde, über eine etwaige Anspruchskonkurrenz zu entscheiden (Rn. 16.). Zum anderen würde die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats, soweit der II. Zivilsenat in seinen Ausführungen auf andere Anknüpfungspunkte abstellen würde – wie etwa ein Beratungsgespräch oder die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens –, solche Sachverhaltskonstellationen auch nicht als vom Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung erfasst ansehen.
PRAXISTIPP
Es bleibt nunmehr mit Spannung abzuwarten, ob und wenn ja, welcher Senat aufgrund der offenkundig divergierenden Rechtsprechung des XI. sowie des II. Zivilsenates des BGH hinsichtlich des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung dem großen Senat des Bundesgerichtshofs die Rechtsfrage der Anspruchskonkurrenz vorlegt. Solange dies nicht geschieht, dürfte es bei der unterschiedlichen Rechtsprechung verbleiben, was unbefriedigend ist.
Beitragsnummer: 22041