Dienstag, 10. Januar 2023

Integration von ESG-Risiken in Risikoklassifizierungsverfahren

Dominik Leichinger, Prüfungsleiter, Referat Bankgeschäftliche Prüfungen 2, Hauptverwaltung in NRW, Deutsche Bundesbank[1]

 

Bereits Ende 2019 hat die BaFin in ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken Anforderungen an die Integration von ESG-Risiken in das Risikomanagement der Institute formuliert. Die Anforderungen bezogen sich auf den gesamten Risikomanagement-Kreislauf, also die Identifizierung, Beurteilung, Steuerung, Überwachung und Berichterstattung von ESG-Risiken.[2] Für Zwecke der Risikobeurteilung im Kreditgeschäft nennt die BaFin u. a. den Einsatz von Risikoklassifizierungsverfahren.[3]

 

Auch die EZB greift in ihrem Ende 2020 veröffentlichten Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken die Erwartung auf, „Klima- und Umweltrisiken als Treiber bestehender Risikokategorien in das Rahmenwerk für das Risikomanagement“[4] zu integrieren. Mit Bezug zum Kreditrisiko sehen die Erwartungen der EZB auch eine Anpassung der eingesetzten Risikoklassifizierungsverfahren vor, um Klima- und Umweltrisiken zu bewerten.[5]

 

Zwar richtet sich der EZB-Leitfaden an die signifikanten Institute innerhalb des SSM und das seitens der BaFin veröffentlichte Merkblatt hat den Charakter „unverbindlicher Verfahrensweisen“.[6] Im Zuge der aktuellen Novellierung der MaRisk (Konsultationsfassung vom 26.09.2022) werden allerdings konkrete Anforderungen zum Umgang mit ESG-Risiken aufgenommen. Die Anforderungen gehen u. a. auf das BaFin-Merkblatt zurück, aber auch auf europäische Regulierungen – z. B. die EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung (EBA/GL/2020/06), die ESG-relevante Vorgaben im Zusammenhang mit Kreditprozessen beinhalten.

 

Gemäß BTO 1.2.1 Tz. 1 der Konsultationsfassung der MaRisk sind mit Blick auf die Kreditvergabe „die für die Beurteilung des Risikos wichtigen Faktoren und die Auswirkungen von ESG-Risiken unter besonderer Berücksichtigung der Kapitaldienstfähigkeit des Kreditnehmers bzw. des Objektes/Projektes zu analysieren und zu beurteilen.“[7] Eine wichtige Informationsgrundlage bei der Kreditwürdigkeitsprüfung stellen die Ergebnisse der von den Instituten verwendeten Risikoklassifizierungsverfahren dar.[8]

 

ESG-Risiken zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nicht nur kurz- bis mittelfristig auswirken können, sondern vor allem auch in der weiteren Zukunft. Da das Kreditrisiko üblicherweise nicht über einen längerfristigen Zeithorizont beurteilt wird, ist für eine angemessene Erfassung von ESG-Risiken die Berücksichtigung zukunftsorientierter Kennzahlen von hoher Bedeutung.[9]

In ihrem Bericht zum Management und zur Beaufsichtigung von ESG-Risiken bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (EBA/Rep/2021/18) sieht die EBA die Integration von materiellen ESG-Faktoren in die Risikoklassifizierungsverfahren als einen möglichen methodischen Ansatz vor, ESG-Risiken im Kreditgeschäft zu berücksichtigen.[10]

 

Für Zwecke der Kreditrisikomessung werden die Ratingergebnisse üblicherweise in Ausfallwahrscheinlichkeiten (PD, probability of default) überführt. Diese geben die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein Kreditnehmer innerhalb des nächsten Jahres ausfällt.

 

Auf den ersten Blick stellt die Anforderung, auch längerfristige Auswirkungen von ESG-Risiken innerhalb von Risikoklassifizierungsverfahren zu berücksichtigen, einen Widerspruch zum Risikohorizont der PD dar. In Einklang mit den Anforderungen des EZB-Leitfadens für interne Modelle ist für Ratingverfahren der Säule I (IRBA-Verfahren) allerdings eine Kalibrierung auf den langfristigen Durchschnitt der beobachteten Ausfallrate (long-run average, LRA) vorzunehmen.[11] Gemäß Art. 48 des EBA/RTS/2016/03 haben Institute in diesem Zusammenhang sicherzustellen, dass der herangezogene langfristige Durchschnitt der Ausfallraten repräsentativ in Bezug auf eine mögliche Variabilität der Ausfallraten ist.[12]

 

So spricht sich auch das BCBS dafür aus, relevante Informationen über die Auswirkungen von ESG-Risiken im Rahmen von Risikoklassifizierungsverfahren zu berücksichtigen.[13] Bezogen auf den Zeithorizont sollten Auswirkungen betrachtet werden, die im Laufe eines Konjunkturzyklus eintreten und sich auf die Leistungsfähigkeit eines Schuldners auswirken können.[14] Insofern ist bei der Zuordnung von Kreditnehmern zu Ratings ein Zeithorizont von mehr als einem Jahr zu verwenden.[15]

 

Sollten Kreditnehmer nicht unwesentlichen ESG-Risiken ausgesetzt sein, aber es mangelt an Informationen, die Betroffenheit verlässlich zu beurteilen, sollte dieser Unsicherheit bei der Risikoklassifizierung konservativ begegnet werden. Denkbar sind hier Überschreibungen (Override) von Ratingergebnissen hin zu schlechteren Ratingnoten.

 

PRAXISTIPPS

  • Sammlung von ESG-Risiko-relevanten Informationen im Kreditgeschäft.
  • Identifizierung von (trennscharfen) ESG-Risiko-Informationen, die sich wesentlich auf die Leistungsfähigkeit eines Kreditnehmers auswirken können.
  • Berücksichtigung wesentlicher ESG-Risiken im Rahmen der Risikoklassifizierung von Kreditnehmern.
  • Entsprechende Aktualisierung der Organisationsanweisungen mit Bezug zu Risikoklassifizierungsverfahren.



[1]  Die in diesem Beitrag vertretenen Auffassungen geben die persönliche Meinung des Autors wieder und sind nicht notwendigerweise Positionen der Deutschen Bundesbank oder einer anderen Bankenaufsichtsbehörde.

[2]  Vgl. BaFin, Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, Abschnitt 6.

[3]  Vgl. Ebenda, Abschnitt 6.3.1.

[4]  EZB, Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken, Erwartung 7.

[5]  Vgl. Ebenda, Erwartung 8.2.

[6]  BaFin, Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, S. 9.

[7]  BaFin, Konsultationsfassung 7. MaRisk-Novelle vom 26.09.2022, BTO 1.2.1 Tz. 1.

[8]  Vgl. EBA, EBA/GL/2020/06 Tzn. 128 lit. d. und 150 lit. e.

[9]  Vgl. EBA, EBA/Rep/2021/18, Tz. 359.

[10] Vgl. Ebenda, Tz. 361.

[11] Vgl. EZB, EZB Leitfaden zu internen Modellen, Abschnitt 4.2.3.

[12] In gleicher Weise finden sich hierzu Regelungen in den EBA-Leitlinien zur PD-Schätzung, LGD-Schätzung und Behandlung ausgefallener Positionen (EBA/GL/2017/16), Abschnitt 5.3.4.

[13] Vgl. BCBS, Frequently asked questions on climate-related financial risks, FAQ 9.

[14] Vgl. Ebenda.

[15] Vgl. Ebenda, FAQ 10.


Beitragsnummer: 21981

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