Thomas Franz Kornitzer, Bereichsleiter Kredit, Volksbank Ulm-Biberach eG
Risikofrüherkennung – wichtiger denn je
Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld für Kreditinstitute wird von drei Faktoren stark beeinflusst:
- Zinsanstieg, in einer Dimension und auf ein Niveau, wie es vor zwölf Monaten kaum jemand prognostiziert hatte
- Inflation in einem Ausmaß, wie es die heute arbeitende Generation bisher nicht erlebt hatte
- Eine für Deutschland in 2023 erwartete Rezession, kaum dass der Covid-Schock durchstanden war
Diese Faktoren in Kombination erfordern von Banken, aktuell besonders wachsam zu sein.
Während Deutschland im Jahr 2020 im Vergleich zu vielen anderen Ländern die Covid-Krise gut überwunden hat, ist zu erwarten, vor allem beeinflusst von der starken Energieabhängigkeit, dass für Deutschland die Situation besonders herausfordernd werden wird (GDP Germany 2023/-0,6%[1]).
Neben dieser konjunkturellen Herausforderung wird der Zinsanstieg im Jahr 2022 bei manchen Instituten dazu führen, dass das Zinsbuch bei der barwertigen Betrachtung unter Druck gerät[2]. Daher ist ein sensibler Blick auf die Entwicklungen im Kreditportfolio wichtig – die eigene Risikotragfähigkeit dabei das Maß der Dinge.
Risikofrüherkennung – wo stehen viele Institute heute?
Getragen von den Anforderungen der MaRisk haben alle Kreditinstitute IT-gestützte Verfahren implementiert, die ermöglichen sollen, Risiken im Kreditgeschäft frühzeitig zu erkennen. So soll aktives Handeln zu einem Zeitpunkt, zu dem der Handlungsspielraum noch größer vermutet wird, ermöglicht werden.

Schaubild zur Funktionsweise Risikofrüherkennung
Regulatorische und ökonomische Anforderungen
Die für das Jahr 2023 anstehende 7. MaRisk-Novelle stellt bei der Risikofrüherkennung einen klaren Fokus auf die Betrachtung der zukünftigen Entwicklung eines Kreditnehmers. Dabei wird in der BTO 1.3.1[3] auf die EBA-Guidelines (EBA/GL/2020/06 – Tz. 274) verwiesen. Diese sind in ihrem Wortlaut sehr klar:
Negative makroökonomische Ereignisse, die sich auf die künftige Rentabilität auswirken, sollten berücksichtigt werden.[4]
Damit wird deutlich gemacht, dass ein bloßer Blick zurück bei der Risikofrüherkennung nicht genügt, um die regulatorischen Vorgaben zu erfüllen. Die zukunftsgerichtete Komponente der Risikofrüherkennung ist relevant. Wie man dies in der Praxis lösen kann, soll in den folgenden Ausführungen skizziert werden.
Natürlich ist es das Bestreben, mögliche entstehende Risiken bei Kreditnehmern möglichst frühzeitig und präzise zu identifizieren, gleichzeitig muss der damit einhergehende Aufwand auch leistbar sein, so dass es nahe liegt, einen Ansatz zu entwickeln, der dem Proportionalitätsgrundsatz folgt.
Vorangestellt für die folgenden Überlegungen bietet es sich an, je nach Risiko-Kultur des Instituts für das Kreditportfolio Größenklassen zu definieren:
- Bedeutende Engagements: besitzen eine Portfoliorelevanz. Deren Schwelle kann bspw. in Relation zum Betriebsergebnis (vor Bewertung) definiert werden. Hier erfolgt eine detaillierte Analyse – über die Mindestanforderungen der MaRisk hinausgehend
- Engagements über der Risikorelevanzgrenze: mit Blick auf die Anforderungen der MaRisk ist eine zukunftsgerichtete Analyse notwendig
- Engagements unterhalb der Risikorelevanzgrenze: werden aufgrund der Granularität nach dem Ansatz der Proportionalität bearbeitet.
Innerhalb der Größenklasse werden zwei Toleranzschwellen definiert, basierend auf der aktuellen Rating-Einstufung des Engagements. Schwelle 1 steht für den Einstieg in die Aktivität. Schwelle 2 löst den Einstieg in eine Detailanalyse aus.
Am Ende der Analyse steht ein präziseres und aktuelleres Bild über die erwartete wirtschaftliche Entwicklung. Eine überarbeitete Rating-Note (als Ergebnis einer Simulation) und Warnsignale, bspw. aufgrund erwartet nicht gegebener Kapitaldienstfähigkeit, sind die Parameter, welche zu einer Einschätzung des Risikos dienen – auf Basis der bestehenden Frühwarngrenzen (oder bei höherer Risikosensitivität ist auch eine Anpassung der Kriterien möglich).
Um die mathematisch stochastische Wirkweise eines kalibrierten Frühwarnsystems zu nutzen, ist es wichtig, bei bedeutenden Engagements mit einer Ratingsimulation zu arbeiten. Ein vorliegender Independent Business Review (IBR) hilft dabei nicht nur eine Simulation von Bilanzbild und Gewinn- und Verlustrechnung vorzunehmen, sondern auch, den im Großkundenbereich sehr wichtigen Bereich der qualitativen Faktoren aktuell zu beantworten (Strategie, Markt, Wettbewerb).
Bei Engagements oberhalb der Risikorelevanzgrenze sollte ebenso der Fokus darauf liegen, für die Kreditadresse ein individuelles Risikoprofil zu erarbeiten. Auch hier soll idealerweise mittels Planbilanz und Plan-GuV zumindest eine Ratingsimulation für das Finanzrating ermöglicht werden.
Für Engagements unterhalb der Risikorelevanzgrenze wird es kaum möglich sein, mit gerechtfertigtem Aufwand eine individuelle Ratingsimulation vorzunehmen. Um dennoch differenziert vorzugehen, kann bei den definierten Branchen eine branchenabhängige Rating-Abschwächung (Downgrade) vorgenommen werden, um auf der Basis zu erkennen, für welche Adressen aufgrund der erwarteten Rating-Wanderung eine Risiko-Auffälligkeit entsteht.
Bei all den Überlegungen ist es wichtig, diese zu dokumentieren und nach einem definierten Zeitraum, welcher aufgrund der sehr dynamischen Situation mit drei Monaten bewusst kurz gewählt werden kann, einen Review vorzunehmen.

Schaubild zu den Überlegungen
Der bereits genannte IBR stellt bei bedeutenden Engagements eine sehr gute Möglichkeit dar, einen Blick auf das Geschäftsmodell des Unternehmens und dessen Zukunftsfähigkeit zu bekommen. In einem separaten Artikel soll die besondere Bedeutung des IBR herausgearbeitet werden.
PRAXISTIPPS
- Definieren Sie für Ihr Kreditportfolio Größenklassen, die zu Ihrer Risikokultur passend sind
- Ziehen Sie zwei Toleranzschwellen ein:
- Stufe 1: Aktivität erforderlich
- Stufe 2: Detailanalyse erforderlich
- Simulieren Sie bei relevanten Engagements ein Rating auf Basis Ihrer Erkenntnisse
- Unterhalb der Risikorelevanzgrenze kann „branchenorientiert“ vorgegangen werden
- Definieren Sie bei dynamischen Situationen kurzfristige Wiedervorlagetermine
[1] European Ecomonic Forecast – Autumn 2022 – Institutional Paper 182 November 2022 – S. 92 ff.
[2] Schleweis, Helmut – Redaktionsgespräch in Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 14/2022 S. 12.
[3] MaRisk Konsultation Fassung vom 16.08.2022 – BaFin.
[4] EBA Guideline GL 2020/06 Tz. 274.
Beitragsnummer: 21925