Montag, 21. November 2022

Erste Anzeichen für den Weg in die Insolvenz

Keine Insolvenz ohne Vorankündigung und warum eine Beachtung der Vorzeichen wichtig ist

Jürgen Wieczorrek, Problemkreditbetreuer, Sparkasse Radevormwald-Hückeswagen

 

Spätestens seit Beginn des Krieges in der Ukraine häufen sich wieder die Unternehmensinsolvenzen. Nach mehr als einer Dekade in einem relativ stabilen konjunkturellen Umfeld müssen die Kreditinstitute wieder lernen, die Vorboten einer Insolvenz zu erkennen.

 

Am Anfang war der Kredit

Aus der Presse, aber auch aus eigener Erfahrung bekommen wir den Eindruck, dass es unserer Wirtschaft schlechter geht. Die seit Monaten steigende Zahl der Insolvenzen ist ein verlässliches Zeichen für diese Entwicklung. Selbstverständlich bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die Kreditbeziehungen.

Es sollte hierbei bedacht werden, dass nicht immer die aktuell sehr hohen Energie- oder Materialpreise maßgeblich für diese Entwicklung sind. Bei einer Vielzahl an Kreditnehmern kommen einfach andere, strukturelle Probleme hinzu, die bereits vorher vorhanden waren.

In der letzten, aber auch schon in der vorletzten Phase der Unternehmensentwicklung häufen sich Anzeichen, die ein Indiz für ernsthaftere Probleme sein können.

Die folgende Aufzählung ist nicht vollständig, sollte aber gut verständlich sein und bei kumulativem Auftreten einzelner Punkte hellhörig werden lassen.

 

Warnsignale auf Kontoebene

  • Nichtrückführung von Saison- oder befristeten Krediten;
  • Häufige, meist unabgestimmte Überziehungen;
  • Kontopfändungen, insbesondere wegen rückständiger Steuern und Sozialabgaben;
  • Zahlungen an Rechtsanwälte oder Gerichtsvollzieher (hier sollte durch den Kundenbetreuer unbedingt der Hintergrund erfragt und durch den Kreditkunden auch belegt werden!);
  • Rückgang der Kontoumsätze, häufig auch ohne Aufnahme einer zusätzlichen Bankverbindung.

 

Warnsignale auf Kreditebene

  • Häufung von Auskunftsanfragen/verschlechterte Bonitätseinschätzung im Rahmen von erhaltenen Auskünften;
  • Rückforderung von Sicherheiten, die die Gesellschafter gestellt haben;
  • Spürbare Verzögerungen bei der Einreichung von Unterlagen zur wirtschaftlichen oder finanziellen Situation;
  • Nachlassende Qualität der Bonitätsunterlagen, insbesondere Unklarheiten/Differenzen in den Unterlagen;
  • Verschiebung von Bilanzierungszeitpunkten innerhalb einer Unternehmensgruppe ohne nachvollziehbare Begründung (Stichwort: Liquiditätsverschiebungen zwischen den Unternehmen und den abweichenden Stichtagen!);
  • Fehlendes oder eingeschränktes Testat des Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters;
  • Weigerung des Geschäftsführers/Gesellschafters, Jahresabschlüsse im Original vorzulegen bzw. diese zu unterzeichnen;
  • Änderung von Abschreibungsmethoden;
  • Steigende Vorräte ohne Erhöhung der Außenstände oder Verbindlichkeiten;
  • Verringerung von Investitionen;
  • Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen;
  • Auflösung von Reserven (Wertberichtigungen oder Rückstellungen) ohne eine stichhaltige Begründung;
  • Aufdeckung stiller Reserven (z. B. durch sale-and-lease-back) ohne nachvollziehbare Begründung und/oder nachhaltige Reinvestition.

Ist das betroffene Kreditinstitut die Hauptbankverbindung, sollten insbesondere die kontospezifischen Punkte gut erkennbar sein. Ansonsten hilft nur eine regelmäßige Beiziehung von Unterlagen zur finanziellen und wirtschaftlichen Situation.

 

Anzeichen erkennen hilft Ausfälle vermeiden!

Zu jedem der einzelnen Punkte lässt sich eine Vielzahl an weiteren praktischen Beispielen bringen, da das (gewerbliche) Kreditgeschäft nunmal trotz aller internen Prozesse kein statisches Geschäft ist. Allerdings entpuppt sich unter diesen Vorzeichen eine vermeintlich gut gelungene Sicherheitenverstärkung in einer Krisensituation des gewerblichen Unternehmens schnell als Eigentor, da die Insolvenzverwalter gerne solche Rechtsgeschäfte anfechten. Das ist über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren möglich und birgt daher unter Umständen erhebliche Risiken.

Das deutsche Insolvenzrecht orientiert sich als oberste Maxime an dem Grundsatz, dass alle (unbesicherten) Gläubiger gleich behandelt werden. Vereinfacht gesagt sind daher alle Rechtshandlungen eines Schuldners anfechtbar, die die Gläubigermasse benachteiligen. Hierbei ist maßgeblich, dass der Schuldner von seiner Zahlungsunfähigkeit wusste und die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger bewusst oder auch nur billigend in Kauf nahm. Es reicht also schon der Umstand aus, dass dem Schuldner bekannt ist, dass nicht alle Gläubiger verabredungsgemäß befriedigt werden können. Hinzu kommt, dass der bevorzugte Gläubiger von der misslichen Lage des Schuldners Kenntnis hatte oder Kenntnis hätte haben können.

Gerade wenn Zusatzsicherheiten in einer krisenhaften Unternehmenssituation beigezogen werden, kommt der Grundsatz hinzu, dass solche Rechtshandlungen anfechtbar sind, wenn die Sicherheitenbestellung nicht in der Art, zu der Zeit und in dem Umfang hätten gefordert werden dürfen.

Es ist also unschwer erkennbar, dass gerade Sicherheitenbestellungen in Kenntnis einiger essentieller Warnzeichen echte Minenfelder sein können. Vor diesem Hintergrund ist es in jedem Fall ratsam, die Gesamtsituation des Kreditnehmers aufmerksam zu beobachten und bei möglichen Warnzeichen besondere Vor- bzw. Umsicht walten zu lassen.

 

PRAXISTIPPS

  • Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den jeweiligen Branchenkennziffern der Kreditnehmer ist sehr sinnvoll.
  • Bei Auffälligkeiten ist zu prüfen, ob mehrere Warnsignale auf einmal auftreten.
  • Jedes Kreditengagement ist einzeln zu betrachten. Es gibt keine abschreibefertigen Lösungen!
  • Die Aussagen der Kreditnehmer sind kritisch zu hinterfragen.
  • Der Kreditberater sollte sich nicht mit allgemeinen Floskeln abwimmeln lassen.

Beitragsnummer: 21917

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