Donnerstag, 10. November 2022

Zeugen und Angeklagte im deutschen Strafprozess

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

Nahezu das gesamte Jahr habe ich Sie, liebe Leserinnen und Leser des BP, monatlich mit der Aufklärung nach strafrechtlich relevantem Anfangsverdacht durch die Organe der Strafverfolgung unter der verantwortlichen Leitung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte vertraut gemacht. Sie wissen nun, dass diese Mitglieder der (hierarchisch organisierten) Staatsanwaltschaften sind, die jeweils vom (weiblichen/männlichen) Generalstaatsanwalt verantwortlich geleitet werden. Ausgeführt habe ich, dass dieser Verdacht die strafbewehrte staatsanwaltschaftliche Aufklärungspflicht begründet und – ebenfalls strafbewehrt – auch begrenzt. Unter dem Blickwinkel der Betroffenheit Verantwortlicher/Mitarbeiter von Banken und Kreditinstituten wurde dies anhand konkreter Fälle und Handlungssituationen erläutert. Dabei bin ich von möglichem Fehlverhalten von Geschäftsleitern anhand der für das gesamte Wirtschaftsstrafrecht zentralen, aber für das Handeln von Bank-Entscheidungsträgern besonders in der Judikatur des BGH zur Untreue gem. § 266 StGB ausformulierten Beweismuster ausgegangen. Sie haben erfahren, wie das Strafrecht Risikoentscheidungen behandelt. Diese sind für eine Wettbewerbswirtschaft mindestens ebenso zentral und unverzichtbar, wie deren Finanzierungs-Entscheidungen in den Banken. In Abgrenzung hiervon fanden Sie Definition und Ahndung der den Wettbewerbsgedanken konterkarierenden Marketinghandlungen (spez. Geschenke u. ä.). Weitere Beiträge – unter der Strafnorm des Betruges gem. § 263 StGB (Stichwort: Spesenabrechnung und Täuschung von Vertragspartnern/-anbahnung) – schlossen sich an. Die Kombination dieser beiden Zentralnormen, die Straftaten des Bankrotts (§ 283 ff. StGB) und das Teilnahmestrafrecht der Anstiftung (§ 26 StGB), der Beihilfe (§ 27 StGB) und die jeweilige Tatsachenanknüpfung zum Nachweis der Schuld (Vorsatz/Fahrlässigkeit – § 15 StGB) sowie eines relevanten Irrtums (§§ 16, 17 StGB) sind in den Blick genommen.

Die beiden letzten Hefte Ihres BP (10/ und 11/2022) haben die Praxis der strafprozessualen Informations-Beschaffung beleuchtet, bei der Sie in erster Linie mit den Beamten der Kriminalpolizei konfrontiert sind, die in dieser Funktion in der Verantwortlichkeit der Staatsanwaltschaft handeln. Neben der Vernehmung (auch von Staatsanwälten/Richtern) mit Aussagepflichten und Auskunfts-/Aussageverweigerungsrechten habe ich Ihnen vor allem die besondere Situation einer Durchsuchung von Geschäfts- oder auch Wohnräumen praktisch und rechtlich (mit Duldungs- und Abwehrrechten) näher und mit Beispielen erläutert. Hinweise auf die in diesem straf- und strafprozessualrechtlichen Umfeld notwendigen Compliance-/Organisations-Maßnahmen mit den Grenzen „interner Ermittlungen“ (Internal Investigation) können naturgemäß nur eine Richtungsvorgabe enthalten. Wenn ich nun – wie angekündigt – die Gerichtsorganisation im Strafprozess vorstelle und für diesen Bereich eine Grundlage für die Wahrnehmung eigener Rechte, aber auch die Einhaltung von Pflichten vor Gericht gebe, verbindet sich dies mit der Hoffnung, Ihnen mit den insgesamt vorgestellten Beiträgen einen Überblick in einem Kompendium über den Umgang mit dem Strafrecht und seiner Praxis in Ihrem Arbeitsfeld vorgelegt zu haben. 

Erfahrungen in meinen Vorlesungen und Seminaren zeigen mir zum einen, dass dort die gerichtsorganisatorische Ordnung der Justiz nicht immer hinreichend bewusst ist und die Unterschiede zwischen Zivil- und Strafgerichten verwischt werden. Zum anderen wird mir bestätigt, dass eine graphische Darstellung geeignet ist, die an sich vorhandenen Kenntnisse besser zuordnen zu können.

Die erste Graphik zeigt die Gerichtsbarkeiten in und (supranational) für Deutschland, die zweite Übersicht die Strafgerichtsbarkeit mit der ihr zugeordneten Organisation der Staatsanwaltschaften und die hier möglichen Rechtsmittel gegen Entscheidungen. Ich hoffe, Sie kommen mit den Abkürzungen zurecht (viele kennen noch die früher zweigeteilte „freiwillige Gerichtsbarkeit“, bestehend aus den Familiengerichten (FamG) und dem FGG, die seit 2008 im „Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (FamFG) zusammengefasst sind. Auch die Finanz- (FG), Sozial- (SG) und die Arbeitsgerichtsbarkeit (ArbG) dürften ebenso geläufig sein, wie die in Bundesländern unterschiedlich bezeichneten Obergerichte als Oberlandes-/Kammergericht (OLG/KG) bzw. Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof (OVG/VGH). Auch die Hierarchie der Staatsanwaltschaften ist mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt (LOStA), der Bundesanwaltschaft mit seinem Leiter, dem Generalbundesanwalt (GBA), selbsterklärend. Die sog. „Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftsstraftaten“ – für die Verfolgung der in meinen Kolumnen genannten Straftaten regelmäßig zuständig – sind zwar stets in eine konkrete Staatsanwaltschaft organisatorisch eingegliedert, aber für einen erweiterten örtlichen Zuständigkeitsbereich für diese Strafrechtsmaterie (z. B. für ein ganzes Bundesland oder – wie in Baden-Württemberg jeweils für einen Teilbereich) eingerichtet worden. Die Staatsanwaltschaft entscheidet jeweils nach den gesetzlichen Vorgaben (grundsätzlich nach der Tatschwere und der deshalb von ihr erwarteten Strafe), wohin sie Anklage erhebt. Das so mit der Anklage angerufene Gericht prüft diese Entscheidung ebenso wie den von der Staatsanwaltschaft angenommenen „hinreichenden (also eine Verurteilungswahrscheinlichkeit belegenden) Tatverdacht“ und lässt sodann die Anklage zu oder weist sie ab. 

Mein nächster und letzter Beitrag (BankenPraktiker 02/2023) soll Ihnen die in der zweiten Folie dargestellten Rechtsmittel von Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen Entscheidungen der Strafgerichte, die Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft zum Abschluss von Ermittlungsverfahren ohne öffentliche Hauptverhandlung und die Motivlage Beschuldigter speziell in Wirtschaftsstrafsachen/der hier zuständigen Staatsanwälte erläutern.


Beitragsnummer: 21904

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