Dr. Bettina E. Breitenbücher, Restrukturierungsexpertin, BREITENBÜCHER Rechtsanwälte
Störungen im Markt
Mit Corona ging es los: Lieferketten brachen zusammen, Materiallieferungen kamen verzögert und nicht nur Unternehmen, die ihre Dispositionen „just in time“ treffen, konnten plötzlich nicht mehr produzieren. Ganze Belegschaften wurden in Kurzarbeit oder Quarantäne geschickt. Dank massiver Überbrückungshilfen wurde vieles abgefedert. Wie der Begriff schon ausdrückt, sollte damit der Zeitraum überbrückt werden, bis sich die Märkte wieder normalisieren. Daraus wurde nichts. Erstens haben die Auswirkungen von Corona länger die Märkte beeinflusst, als anfänglich erwartet und zweitens brach der Ukraine-Krieg aus, der neue und irreversible Verwerfungen brachte. Nicht nur die befürchtete Energienot macht den Unternehmen zu schaffen. Die Lieferketten sind immer noch oder schon wieder gestört, wenn sich auch die Wirtschaft aktuell robuster zeigt als angenommen. Die Auswirkungen der dramatischen Inflation und den damit verbundenen Kostensteigerungen, die zum Teil noch gar nicht an die Endkunden weitergegeben sind, und der schon deutlich werdende Kaufkraftverlust der Verbraucher führen zu düsteren Prognosen auch für die nahe Zukunft. Hinzu kommt der sich verschärfende Fachkräftemangel. Auch die Zeiten billiger Energie dürften passé sein und in eine unabhängige, erneuerbare Energieversorgung müssen noch gewaltige Investitionen gemacht werden, die finanziert sein wollen.
Aus einer überbrückbar scheinenden Störung im Markt haben sich gravierende Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland ergeben.
Geschäftsmodelle müssen überdacht werden
Langjährig bewährte Geschäftsmodelle verändern sich daher rasant und müssen überdacht werden. Man kann dies allerorten sehen: Restaurants z. B. öffnen nicht mehr an allen Wochentagen. Unternehmen und Behörden sind telefonisch schlechter erreichbar, da Mitarbeiter vermehrt im Home-Office arbeiten, mit allen Vor- und Nachteilen. Und das Konsumverhalten der Kunden ändert sich. Neben Krisengewinnern gibt es zahlreiche Krisenverlierer, oft auch kleinere mittelständische Unternehmen, die in ihrer Summe aber wichtig sind für die deutsche Wirtschaft.
Eine Veränderung des Geschäftsmodells führt zu Kosten, die sich für das Unternehmen nicht mehr rentieren, wie bspw. lang laufende Verträge für einen Geschäftszweig, den man besser einstellen würde und damit einen Teil des Unternehmens auflöst. Zugleich erfordert die Neuausrichtung eines Geschäftsmodells Investitionen in neue Geschäftsfelder oder neue Betriebsabläufe, die in dieser Situation vom Unternehmen nicht mehr erwirtschaftet, sondern nur noch fremdfinanziert werden können. Unternehmen, die lange Jahre positive Ergebnisse erwirtschaftet haben und gesund waren, machen plötzlich Verluste.
Stille Liquidation statt Insolvenz
Dies wirft für die betroffenen Unternehmer die Frage auf, wie sie ihr Unternehmen in der Zukunft durchfinanzieren wollen. Bei der Aufnahme von Bankkrediten müssen sie damit rechnen, dass auch private Sicherheiten verlangt werden. Oder die Unternehmer geben gleich eigenes Geld in das Unternehmen, wie es bei inhabergeführten Unternehmen in der Vergangenheit oft zu sehen war. Dies ist jedoch in der Regel verbunden mit einer Auflösung der eigenen Altersvorsorge. Derartige Investitionen lohnen sich daher nur, wenn in einem definierten Zeitraum die realistische Perspektive besteht, das Unternehmen wieder gewinnbringend führen und diese Finanzierungen wieder zurückführen zu können. Jeder Unternehmer muss sich daher die Frage stellen, ob er dieses Investment riskiert – in Zeiten dramatischer Veränderungen, deren Ende in vielen Branchen nicht absehbar ist, oder ob er eine Unternehmensschließung prüft. Verschärft wird dieses Risiko durch den Fachkräftemangel.
Deshalb stehen viele Unternehmer unvermittelt vor der Frage, das Unternehmen ganz zu schließen – zumal wenn eine Unternehmensnachfolge wie so oft nicht in Sicht ist und die Unternehmensführung auch einen hohen persönlichen Einsatz erfordert. Soweit das Unternehmen und der dahinter stehende Inhaber hinreichende Mittel aufbringen, das Unternehmen still zu liquidieren, wird eine Insolvenz mit all ihren Risiken und ihrem Makel oft vermieden.
Wenn also die Statistik aktuell zeigt, dass sich trotz aller schwierigen Rahmenbedingungen noch keine Insolvenzwelle gebildet hat, heißt dies nicht, dass es keine Betriebsaufgaben gibt. Insbesondere solche Unternehmen, die wirtschaftlich so gut aufgestellt sind, dass sie sich auch eine stille Liquidation leisten können, verschwinden lautlos vom Markt. Sie erscheinen in keiner Statistik, aber die von ihnen geschaffenen Arbeitsplätze sind unwiederbringlich verloren. Dies wird die deutsche Unternehmenslandschaft nachhaltig verändern.
PRAXISTIPPS
- Bei Finanzierungen Feststellung der langfristigen Perspektiven des Unternehmens.
- Prüfung der Kosten einer stillen Liquidation bei Betriebsaufgabe.
- Prüfung der Risiken einer Insolvenz einschließlich aller Haftungs- und Anfechtungsrisiken.
Beitragsnummer: 21882