Donnerstag, 27. Oktober 2022

Allgemeine Grundsätze zur Anlagenberatung

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

In seiner Entscheidung vom 26.01.2022, 3 U 26/20, wiederholt und konkretisiert das Oberlandesgericht Stuttgart (WM 2022, 1808) einige Grundsatz-Themen zur anleger- und objektgerechten Beratung.

So grenzt das Oberlandesgericht zunächst den Anlageberatungsvertrag vom Anlagevermittlungsvertrag ab und führt aus, dass ein Anlageberatungsvertrag auf die Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter gerichtet ist, die sich auf Geschäfte mit Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird. Zudem stellt das OLG klar, dass dann, wenn ein Anlageinteressent an jemand herantritt, um in diesem Sinne über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden, das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen wird. Klarstellend führt das OLG hieran anschließend u. H. a. OLG Frankfurt (Urteil v. 05.07.2013, 10 U 166/12, BKR 2013, 391) noch aus, dass der Umstand, dass der „Anlagevermittler" als Vertriebspartner bezeichnet wird, nicht ohne weiteres zu einer anderen Bewertung führt. Eine solche Bezeichnung könne zwar ein Indiz dafür darstellen, dass lediglich eine Vermittlerstellung vorlag; dieser Einordnung könne aber, wie im konkreten Fall auch, das Auftreten des Vertragspartners des Kunden und der Inhalt des zwischen ihnen geführten Gesprächs entgegenstehen.

Ausgehend vom Vorliegen eines Anlageberatungsvertrages führt das OLG sodann u. H. a. OLG Bremen (Urteil v. 14.06.2013, BeckRS 2013, 13088) klarstellend aus, dass ein Anlageberatungsvertrag auch dann zustande kommen kann, wenn der Anleger vor Gesprächsbeginn schon eine Anlageentscheidung im Sinn hatte und der Berater ihm sodann Alternativangebote unterbreitet und eine vergleichende Gegenüberstellung unterschiedlicher Anlagemöglichkeiten erfolgt; dies selbst dann, wenn der Anleger die Alternativangebote ausschlägt.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob das bei der streitgegenständlichen Anlage unstreitig bestehende Totalverlustrisiko verharmlosend dargestellt wurde, erinnert das OLG wiederum daran, dass nach den Grundsätzen des BGH (vgl. BGH-Urteil v. 24.04.2014, III ZR 389/12 Rn. 23) anerkannt sei, dass dann, wenn dem Anlageinteressenten statt einer mündlichen Aufklärung im Rahmen des Vertragsanbahnungsgespräches ein Prospekt über die Kapitalanlage überreicht wird, dies als Mittel der Aufklärung genügen kann, wenn der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen vollständig, wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und der Prospekt dem Anleger rechtzeitig ausgehändigt wurde. In einem solchen Fall könne sich allerdings ein Aufklärungsmangel daraus ergeben, dass die im Prospekt dargestellten Risiken im persönlichen Beratungsgespräch verharmlost werden. Denn der Inhalt des Beratungsgesprächs dürfe nicht im Widerspruch zum Prospektinhalt stehen und müsse den Kunden jedenfalls in groben Zügen von den im Prospekt geschilderten Risiken in Kenntnis setzen.

Was wiederum den Schaden des Anlegers anbelangt, so erinnert das OLG daran, dass der Schaden bei einer Anlageberatung in der Belastung mit den Verpflichtungen aus dem Abschluss eines nicht bedürfnisgerechten Vertrags über die Kapitalanlage liegen würden. Der Anleger, der aufgrund einer Verletzung der Aufklärungspflicht oder einer fehlerhaften Beratung eine für ihn nachteilige Kapitalanlage erwirbt, sei nämlich bei der gebotenen wertenden Betrachtung ohne Rücksicht auf die objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung bereits durch den schuldrechtlichen Erwerb der Kapitalanlage geschädigt, weil der ohne die erforderliche Aufklärung gefasste Anlageentschluss von den Mängeln der fehlerhaften Aufklärung beeinflusst ist.

Was wiederum die Kausalität einer pflichtwidrig erfolgten Beratung auf die Entscheidung des Kapitalanlegers anbelangt, so erinnert das OLG daran, dass der Zurechnungszusammenhang zwischen einer Beratungs- bzw. Auskunftspflichtverletzung und einer späteren Anlageentscheidung des Kunden dann fehlen könne, wenn diese Entscheidung, wie im konkreten Fall auch, adäquat kausal auf die pflichtwidrige Empfehlung zurückzuführen ist. Denn die Zurechnung erfahre eine Einschränkung bzw. Korrektur durch die Schutzzwecklehre, nach welcher eine Haftung nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen bestehen würde, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde (so BGH, Urteil v. 14.07.2016. III ZR 446/15 Rn. 29). Insofern müsse der geltend gemachte Schaden in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen. 

Dies zugrundelegend führt das OLG hieran anschließend aus, dass der Schutzzweck einer Auskunfts- oder Beratungspflicht nicht stets auf den ersten Erwerb einer Anlage nach dem Gespräch, in dem die Empfehlung ausgesprochen worden ist, begrenzt ist. Vielmehr sei der Schutzzweck anhand des konkreten Vertrags im Wege der Auslegung im Einzelfall zu ermitteln. Zwar bestünden im Normalfall einer Anlageberatung, die sich auf die Anlage eines Geldbetrages bezieht, Pflichten nur hinsichtlich dieser konkreten Anlageentscheidung. Es stehe jedoch den Vertragsparteien frei, auch größere oder unbestimmte Risiken einzugehen mit der Folge, dass in diesem konkreten Fall dann der Schutzzweck haftungserweiternd wirken kann.

Was schließlich die grob fahrlässige Unkenntnis des Anlegers i. S. d. Verjährungsvorschrift des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB anbelangt, deren Vorliegen der Anlageberater darlegen und auch beweisen muss, so erinnert das OLG daran, dass dem Gläubiger/Anleger persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden müsse, um grob fährlässige Unkenntnis bejahen zu können. Insofern muss das Verhalten des Anlegers schlechthin unverständlich bzw. entschuldbar sein.


PRAXISTIPP

In seiner vorstehenden Entscheidung nimmt das Oberlandesgericht Stuttgart zu unterschiedlichen Themen im Zusammenhang mit der Vermittlung der Zeichnung einer geschlossenen Beteiligung durch einen Anlageberater umfassend, überzeugend und zutreffend Stellung. Insofern kann die Entscheidung jedem als „Auffrischungs-Lektüre“ empfohlen werden, der mit Anlageberatungs- und Anlagevermittlungsfällen zu tun hat.


Beitragsnummer: 21877

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