Freitag, 19. August 2022

Rechtskraftdurchbrechung durch EuGH

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

In seiner Entscheidung vom und 17.05.2022, C – 600/19 (WM 2022, 1320) betont der EuGH zwar die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft sowohl nach nationalem Recht als auch nach Unionsrecht (Rn. 41) und hebt zugleich auch hervor, dass der Verbraucherschutz nicht absolut ist und der Grundsatz der Rechtskraft selbst dann zu respektieren ist, wenn dadurch ein Verstoß gegen eine Bestimmung gleich welcher Art der Richtlinie 93/13 herbeigeführt wird (Rn. 42). Allerdings relativiert der EuGH diese Ausführungen in ganz erheblichem Maße dadurch, dass er ausführt, dass diese bedeutenden nationalen Grundsätze der Rechtskraft nur unter dem Vorbehalt gelten, dass die Unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt sind (Rn. 42; nahezu identisch EuGH, Urteil vom 17.05.2022, C - 831/19, Rn. 57 f., WM 2022, 1.434 m. Anm. Edelmann, BTS, Juni 2022, 57 sowie C - 869/19 Rn. 33 f., WM 2022, 1.431).

Dies zugrundelegend meint der EuGH in seiner Entscheidung C - 600/19, dass der Grundsatz der Rechtskraft wegen Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes dann zum Zwecke der Gewährleistung des Verbraucherschutzes zu durchbrechen ist, wenn das nationale Gericht zwar von Amts wegen die Missbräuchlichkeit der streitrelevanten Klausel geprüft und für nicht gegeben erachtet hat, die Durchführung dieser Missbräuchlichkeitsprüfung jedoch in seiner Entscheidung unerwähnt gelassen hat. Dies deshalb, weil eine wirksame Kontrolle der etwaigen Missbräuchlichkeit der betreffenden Vertragsklausel nicht sichergestellt sei, wenn die Rechtskraft auch für solche gerichtlichen Entscheidungen gelten würde, denen sich eine solche Missbrauchskontrolle nicht entnehmen lässt (Rn. 48 ff.).

In seiner Entscheidung vom 17.05.2022, C - 693/19 und C - 831/19 (vgl. hierzu Edelmann, BTS, Juni 2022, 57) führt der EuGH wiederum aus, dass die Rechtskraft eines Mahn-/Vollstreckungsbescheides dann zu durchbrechen ist, wenn das mit der Vollstreckung des rechtskräftigen Mahnbescheides befasste Gericht nicht beurteilen kann, ob solche in dem dem Mahnbescheid zugrundeliegenden Vertrag enthaltenen Vertragsklauseln missbräuchlich i. S. d. Richtlinie sind oder ob das Mahngericht eine negativ ausgefallene Missbräuchlichkeitsprüfung vorgenommen hat, was jedenfalls im deutschen Mahnverfahren stets der Fall ist. Dies deshalb, weil im Mahnverfahren nicht erkennbar wird, ob und welche summarische Prüfung das Mahngericht vorgenommen hat.

Ähnlich entschied der EuGH in seiner 3. Entscheidung vom 07.05.2022, C - 869/19. Denn in einem Fall, in dem der Verbraucher gegen ein erstinstanzliches Urteil kein Rechtsmittel eingelegt hatte, entschied der EuGH, dass auch in diesem Fall die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils durchbrochen werden könne. Dies deshalb, weil die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bereits abgelaufen war, bevor der EuGH in einer späteren Entscheidung die Missbräuchlichkeit der auch im Verfahren des betroffenen Verbrauchers relevante Klausel für missbräuchlich erklärt hatte mit der Konsequenz, dass sich der Verbraucher während der Rechtsmittelfrist nicht mit dem Inhalt dieser Entscheidung auseinandersetzen und die Missbräuchlichkeit der Klausel hätte erkennen und geltend machen können.

 

PRAXISTIPP

Nimmt man vorstehende Entscheidungen des EuGH ernst, dann ist es durchaus möglich, dass deutsche Gerichte, welche den Verbraucherschutz für besonders wichtig erachten, die Rechtskraft von nationalen Entscheidungen dann nicht mehr akzeptieren oder gelten lassen werden, wenn die Missbräuchlichkeit einer Klausel entweder vom Bundesgerichtshof nach Rechtskräftigwerden einer Entscheidung festgestellt wird oder aber wenn das Gericht, welches die rechtskräftige Entscheidung erlassen hat, nicht offengelegt hat, dass es die Missbräuchlichkeit der Klausel geprüft und für nicht gegeben erachtet hat oder wenn ein Gericht die Missbräuchlichkeit überhaupt nicht prüft. Insofern bleibt zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof eine solche Rechtskraftdurchbrechung als mit dem deutschen Recht unvereinbar ansieht, wofür einiges spricht (vgl. hierzu Edelmann, BTS, Juni 2022, 57). 

 


Beitragsnummer: 21796

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