Freitag, 19. August 2022

Prospekthaftung/Kausalitätsvermutung/entgangener Gewinn/Vorsatz

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

In einem Fall, in welchem ein Kapitalanleger, gestützt auf deliktsrechtliche Ansprüche, ein Vorstandsmitglied einer zwischenzeitlich in Insolvenz gegangenen Aktiengesellschaft wegen unrichtiger Angaben im Wertpapierprospekt infolge einer fehlerhaften bilanziellen Bewertung einer risikobehaften Forderung und der hierdurch bedingten Erteilung eines fehlerhaften Bestätigungsvermerks auf Schadensersatz in Anspruch genommen hatte, hält der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 05.05.2022, III ZR 131/20 (WM 2022, 1.267 m. Anm. Zoller, DB 2022, 1.707) fest, dass es sich bei der Norm des § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB um ein Schutzgesetz zugunsten des einzelnen Kapitalanlegers i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB handelt und dass entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung eine Haftung nach diesen Normen insbesondere vor dem Hintergrund des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte sowie der dem Schutzzweck des § 264a StGB unabhängig davon in Betracht kommt, ob das Wertpapier über den Primär- oder über den Sekundärmarkt erworben wurde (Rn. 22 f.; vgl. hierzu auch BGH-Urteil vom 05.05.2022, III ZR 135/20, WM 2022, 1.273).

Was die Ursächlichkeit eines Prospektfehlers für die Anlageentscheidung des Kapitalanlegers anbelangt, so erinnert der Bundesgerichtshof sodann daran, dass es nach seiner ständigen Rechtsprechung der Lebenserfahrung entspricht, dass ein Prospektfehler für die Anlageberatung ursächlich geworden ist und dass diese Vermutung sowohl für die quasi-vertragliche Prospekthaftung als auch für Schadensersatzansprüche wegen falscher Prospektangaben auf deliktischer Grundlage gleichermaßen gilt (Rn. 37). In diesem Zusammenhang hält der Bundesgerichtshof weiter fest, dass diese Vermutung widerlegt werden könne. Hiervon sei grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat. Demgegenüber reiche für das Eingreifen der Vermutung allein die Tatsache nicht aus, dass der Prospekt im Internet abrufbar war (Rn. 37).

Hieran anschließend führt der Bundesgerichtshof weiter aus, dass die Vermutung der Ursächlichkeit des unrichtigen Testats für die Kapitalanlageentscheidung nicht allein dadurch als widerlegt angesehen werden kann, dass der Kapitalanleger das Wertpapier erst ein paar Jahre nach Erstellung des unrichtigen Testats gezeichnet hat. Sei nämlich, wie im konkreten Fall, in einem Emissionsprospekt ein von einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen mit uneingeschränktem Bestätigungsvermerk versehener Jahresabschluss abgedruckt, werde zumindest das Vertrauen begründet, dass die Anlage in dem bestätigten Umfang zu dem maßgeblichen Zeitpunkt keine Mängel aufwies, die zur Verweigerung oder Einschränkung des Testats hätte führen müssen. Dieses Vertrauen wirke wiederum insoweit fort, als der Anleger nur mit einer seither eingetretenen Veränderung der Verhältnisse rechnen muss, nicht aber damit, dass zu den im Prospekt wiedergegebenen Bestätigungsvermerk maßgeblichen Prüfungszeitpunkt strukturelle Mängel der Anlage bestanden, die sich noch auswirken. Erst wenn zwischen Prüfungsstichtag und Anlageentschluss eine so lange Zeit verstrichen ist, dass mit wesentlichen, auch die Grundlagen des Unternehmens erfassenden Änderungen der Lebensverhältnisse gerechnet werden muss, kann die durch Lebenserfahrung begründete Vermutung der Ursächlichkeit für die Anlageentscheidung nicht mehr eingreifen (Rn. 42). Welcher Zeitraum zwischen Prüfungsstichtag und Anlageentschluss wiederum verstrichen sein muss, damit die durch Lebenserfahrung begründete Vermutung der Ursächlichkeit für die Anlageentscheidung nicht mehr eingreift, müsse nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (Rn.  44). 

Was wiederum den Vorsatz des Vorstandes anbelangt, so hält der Bundesgerichtshof weiter fest, dass bei einer auf eine fehlerhafte bilanzielle Bewertung einer möglicherweise risikobehafteten Forderung zurückzuführenden unrichtigen vorteilhaften Angabe in einem Prospekt i. S. v. § 264a Abs. 1 StGB die Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks durch einen Wirtschaftsprüfer bei einem redlichen Vorstandsmitglied einer Kapitalgesellschaft, dass alle Aufklärungen und Nachweise, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind, erteilt oder durch nachgeordnete Mitarbeiter oder von ihm beauftragte Dritte erteilen lässt, zwar die Annahme eines den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtums begründen kann. Dies gelte allerdings nur, wenn der für einen solchen Irrtum darlegungs- und beweisverpflichtete Vorstand nachweisen kann, dass er den Abschlussprüfern alle Aufklärungen und erforderlichen Informationen sowie Nachweise gegeben hat, die für eine sorgfältige Prüfung der Werthaltigkeit der betreffenden Forderungen erforderlich sind. (Rn. 30).

Was schließlich den geltend gemachten entgangenen Gewinn anbelangt, so erinnert der Bundesgerichtshof zunächst daran, dass der Geschädigte für den entgangenen Gewinn darlegungs- und beweispflichtig ist, wobei diesem hierbei die die Regelung des § 287 Abs. 1 ZPO ergänzende Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB zugutekommt. Daher könne sich der Geschädigte zwar auf die Behauptung und den Nachweis der Anknüpfungstatsachen beschränken, bei deren Vorliegen die in § 252 Satz 2 BGB geregelte Vermutung eingreift. Die Wahrscheinlichkeit einer Gewinnerzielung i. S. v. § 252 Satz 2 BGB aufgrund einer zeitnahen alternativen Investitionsentscheidung des Geschädigten und deren Umfang müsse allerdings der geschädigte Kapitalanleger selbst darlegen. Insbesondere müsse er darlegen, für welche konkrete Form der Kapitalanlage er sich ohne schädigendes Ereignis entschieden hätte und welchen Gewinn er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit dieser Anlage hätte erzielen können (Rn. 47).

 

PRAXISTIPP

In seiner vorstehenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mehrere Aussagen zur Prospekthaftung getätigt. So hat er festgehalten, dass § 264a StGB von seinem Schutzbereich her auch für solche Kapitalanleger gilt, die ihre Anlage über den Zweitmarkt erworben haben. Dabei könne sich der Anleger, der auf der Grundlage des Prospektes seine Kapitalanlage gezeichnet hat, auf die Vermutung stützen, dass ein Prospektfehler für seine Kapitalanlageentscheidung ursächlich gewesen ist. Was die Geltendmachung des entgangenen Gewinns anbelangt, so ist der geschädigte Kapitalanleger wiederum gut beraten, wenn er bei der Geltendmachung eines solchen vermeintlichen Schadens substantiiert darlegt, für welche konkrete Form der Kapitalanlage er sich ohne das schädigende Ereignis entschieden hätte und welchen Gewinn er mit dieser Anlage nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte erzielen können. Vorstände sollten schließlich, um sich auf einen den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum berufen zu können, dem Jahresabschlussprüfer sämtliche Unterlagen, Aufklärungen, Informationen und Nachweise vorlegen, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind und dies auch dokumentieren.


Beitragsnummer: 21795

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