Donnerstag, 19. Mai 2022

Transparenzerfordernis an eine Indexklausel bei Fremdwährungsdarlehen

Prof. Dr. Hervé EdelmannFachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

In seinem Urteil vom 18.11.2021, Az. C – 212/20 (WM 2022, 73 m. Anm. Gruber, WuB 2022, 104), entschied der EuGH in Wiederholung seiner Transparenzgrundsätze, dass die in dem betreffenden Fremdwährungsdarlehensvertrag enthaltene Indexklausel missbräuchlich und daher nichtig sei.

In diesem Zusammenhang erinnert der EuGH daran, dass das Erfordernis der Transparenz so zu verstehen sei, dass die betreffende Vertragsklausel nicht nur in formeller und grammatikalischer Hinsicht für den Verbraucher nachvollziehbar sein muss, sondern dass ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher auch in die Lage versetzt werden muss, die konkrete Funktionsweise dieser Klausel zu verstehen und somit auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die möglicherweise beträchtlichen wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen einzuschätzen (Rn. 42). Insofern, so der EuGH, seien die Kreditinstitute bei Kreditverträgen verpflichtet, dem Kreditnehmer Informationen zur Verfügung zu stellen, die ausreichen, um diesen in die Lage zu versetzen, umsichtige und besonnene Entscheidungen zu treffen. Dieses Erfordernis bedeute insbesondere, dass die Klausel eines Kreditvertrages, nach welcher ein Kredit in derselben Fremdwährung zurückzuzahlen ist, in der er gewährt wurde, für den Verbraucher sowohl in formeller und grammatikalischer Hinsicht, als auch hinsichtlich ihrer konkreten Tragweite in dem Sinne verständlich sein muss, dass ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher, auf welchen es entscheidend ankommt, nicht nur die Möglichkeit einer Auf- oder Abwertung der Fremdwährung, an die der Kredit gekoppelt ist, erkennen und einschätzen muss, sondern auch die – möglicherweise erheblichen – wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen (Rn. 43). Dabei soll es nach Auffassung des EuGH für die Wahrung des Transparenzerfordernisses von wesentlicher Bedeutung sein, ob der Darlehensvertrag in transparenter Weise den Anlass und die Besonderheiten des Verfahrens zur Umrechnung der Fremdwährung sowie dessen Verhältnis zu dem Verfahren, die andere Vertragsklauseln vorschreiben, so transparent darstellt, dass ein Verbraucher in die Lage versetzt wird, die sich daraus für ihn ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien zu verstehen (Rn. 49).

Nachdem der EuGH unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze die betroffene Indexklausel für missbräuchlich erklärt hatte, erinnerte dieser noch daran, dass nationale Gerichte, welche die Missbräuchlichkeit einer Klausel festgestellt haben, diese missbräuchliche Klausel unangewendet lassen müssen (Rn. 57). Insofern sei es den nationalen Gerichten nicht erlaubt, den die missbräuchliche Klausel enthaltenen Vertrag durch Abänderung des Inhalts der Klausel anzupassen (Rn. 68). Stünde es nämlich den nationalen Gerichten frei, den Inhalt der missbräuchlichen Klausel in einem solchen Vertrag abzuändern, trüge dies dazu bei, den Abschreckungseffekt zu beseitigen, der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbräuchlichen Klauseln gegenüber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben (Rn. 69).

 

PRAXISTIPP

Der EuGH stellt einmal mehr klar, dass das Transparenzerfordernis i. S. d. Europarechts nicht nur in formeller und grammatikalischer Hinsicht zu verstehen ist, sondern umfassend in dem Sinne, dass der Kreditnehmer die konkrete Funktionsweise verstehen und seine Verpflichtungen auf der Grundlage konkreter und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen vermögen muss. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher überhaupt jemals in der Lage sein wird, trotz umfassend erteilter Informationen entsprechend dem Wunsch des EuGH die konkrete Funktionsweise der Indexklausel zu verstehen oder die sich für ihn aus dem konkreten Fremdwährungsdarlehen ergebenden wirtschaftlichen Folgen und Risiken zutreffend einzuschätzen, woran gewisse Zweifel bestehen.

Was wiederum die Ausführungen des EuGH zur Unanwendbarkeit missbräuchlicher Klausel anbelangt, so ist festzuhalten, dass diese den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nach deutschem Recht nicht entgegenstehen. Dies deshalb, weil ihre Anwendung die Feststellung der Unwirksamkeit der Klausel gerade voraussetzt. Hiervon unabhängig knüpfen die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung auf der Grundlage eines objektiv generalisierenden Maßstabs an die typischen Vorstellungen und an das Interesse der typischerweise am Vertrag beteiligten Verkehrskreise an, wodurch die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien unter Berücksichtigung ihrer beiden Interessen durch eine materielle Ausgewogenheit ersetzt und so ihre Gleichheit wiederhergestellt wird.


Beitragsnummer: 21695

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