Freitag, 20. Mai 2022

Kündigung zur Unzeit: Damoklesschwert oder Phantomproblem?

Prof. Dr. Patrick Rösler, Rechtsanwalt, Vorstandsvorsitzender FCH Gruppe AG und Professor für Bankrecht an der Allensbach Hochschule

Kündigung von Darlehen 

Die Kündigung ist das wichtigste rechtliche Mittel zur vorzeitigen Beendigung eines Darlehensvertrages. Die allgemeinen gesetzlichen Kündigungsrechte beim Darlehen sind in §§ 488–490 BGB geregelt. Auch in Nr. 18 und 19 AGB-Banken bzw. Nr. 26 AGB-Sparkassen finden sich konkretisierende Regelungen zum Kündigungsrecht. Dabei muss danach unterschieden werden, ob die Bank oder der Kunde kündigen will und ob ein befristetes oder ein unbefristetes Darlehen vereinbart ist. Bei unbefristeten Krediten kann die Bank nach § 488 Abs. 3 BGB kündigen, bei befristeten nach § 490 Abs. 1 BGB oder §§ 313, 314 BGB, sofern nicht eine Kündigung zur Unzeit oder eine sonst rechtsmissbräuchliche Kündigung vorliegt. Die AGB der Banken und Sparkassen konkretisieren die gesetzlichen Regelungen[1].

Weitere Kündigungsgründe können der Bank bei besonderen Vereinbarungen oder der Verletzung von vereinbarten Regelungen zustehen. Bei Verletzung einer Pari Passu-Erklärung (Gleichstellungsverpflichtungserklärung) oder dem Nichteinhalten von Vorgaben aus Financial Covenants (Bilanzrelationsklauseln) ist dies z. B. möglich. 

Für Verbraucherdarlehen gelten eigene Regelungen in §§ 498, 499 BGB, in denen zum einen die Möglichkeiten der Bank geregelt werden, Kündigungsrechte in Verträgen zu vereinbaren, zum anderen eine exakte Vorgabe existiert, wann die Bank Teilzahlungskredite kündigen kann und welcher qualifizierten Voraussetzungen es dazu bedarf[2]

Im Folgenden werden Einschränkungen des Kündigungsrechts erläutert, die sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. 

Kündigung zur Unzeit 

Die Kündigung darf nicht gegen das Verbot der Kündigung zur Unzeit verstoßen. Unter diesem Begriff wird eine Kündigung subsumiert, die rechtsmissbräuchlich ist. Eine solche wäre rechtswidrig, was aus der analogen Anwendung der §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 675 Abs. 2 und 723 Abs 2 BGB hergeleitet wird. Rechtsmissbräuchlich wäre eine Kündigung, wenn die Bank vor der Kündigung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Diese wäre dann ein treuewidriges venire contra factum proprium (§ 242 BGB). Das Verbot der Kündigung zur Unzeit soll verhindern, dass der Kreditnehmer von der Kündigung völlig überrascht wird, weil er aufgrund einer Handlung der Bank darauf vertraut, dass sie derzeit keine Kündigung ausspricht. Mit einer Kündigungsandrohung kann die Bank den Vertrauenstatbestand zerstören und eine Kündigung zur Unzeit verhindern. 

Gebot der Rücksichtnahme 

Das Recht zur ordentlichen Kündigung steht ferner unter dem Gebot der Rücksichtnahme auf die berechtigten Belange des Kreditnehmers, welches aus § 242 BGB abgeleitet wird. Eine Kündigung kann daher unzulässig sein, wenn ein daraus resultierender Schaden des Kreditnehmers unverhältnismäßig groß wäre, jedoch die Unterlassung der Kündigung den Darlehensgeber nur geringfügig belastet, weil er z. B. ausreichend besichert ist. 

Bestimmte Zwecksetzung

Eine ordentliche Kündigung ist auch bei einem Kredit ohne Laufzeitvereinbarung ausgeschlossen, wenn die Bank mit dem Kreditnehmer eine bestimmte Zwecksetzung abgesprochen hat, aus der sich eine Einschränkung der Kündigungsmöglichkeit ergibt. Hier ergibt sich die Einschränkung des Kündigungsrechts also unmittelbar aus den Vereinbarungen zwischen Bank und Kunde. Wird z. B. mit einem Kredit ein bestimmter Zweck wie die Existenzgründung verfolgt, kann das ordentliche Kündigungsrecht abbedungen sein, wenn aufgrund der Kreditkündigung auch Darlehen von Förderbanken fällig würden. Etwas Ähnliches gilt bei einer Projektfinanzierung, die auf einen Cashflow wie z. B. Mieteinnahmen abgestellt ist. So lange der Cashflow vereinbarungsgemäß fließt und das Darlehen der Bank bedient wird, dürfte eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögenslage des meist ohnehin blutleeren SPV (Special Purpose Vehikel) schwierig zu begründen sein. 

Entsprechendes kann auch bei Sanierungskrediten anzunehmen sein. Im Hinblick auf den Sanierungszweck ist die ordentliche Kündigung nach Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken in der Regel mindestens so lange ausgeschlossen, wie sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nicht verschlechtert und die Sanierungsauflagen erfüllt werden[3]. Dennoch sind Banken grundsätzlich nicht verpflichtet, sich um den Verwendungszweck eines Darlehens zu kümmern und Kreditnehmer vor diesbezüglichen Risiken zu warnen. Nicht jede Darlehenszweckvereinbarung führt also zu einer Einschränkung des Kündigungsrechts. 

Konsequenzen unberechtigter Kündigungen 

Kündigungen, die zur Unzeit erklärt wurden, bei denen kein ausreichender Grund für eine außerordentliche Kündigung o. Ä. vorlag, sind rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit steht der Unwirksamkeit jedoch nicht gleich. Die Kündigung bleibt also wirksam; sie setzt aber z. B. bei fehlendem Grund für die außerordentliche Kündigung eine objektive Kündigungsfrist in Gang. 

Problematischer ist aber, dass der Kunde bei einer rechtswidrigen Kündigung Schadensersatzansprüche von der Bank für den Schaden geltend machen kann, der ihm aus der unberechtigten Kündigung entstanden ist. Zu ersetzen ist der direkte und indirekte Schaden, der durch die vorzeitige Rückzahlungspflicht des Darlehens kausal verursacht wurde. Das kann bis zum Schadensersatz führen, der aus einer Insolvenz entsteht.  

Ergebnis

Insgesamt darf man sich mit diesen Einschränkungen in der Praxis nicht verrückt machen lassen. Die Fälle sind selten und immer extreme Sachverhalte, bei denen es auf die Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ankommt. Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Für sehr extreme Fälle können die Regeln für die Kündigung zur Unzeit also in der Tat ein Damoklesschwert sein; für die ganz überwiegenden Fälle im Massengeschäft sind sie aber eher ein Phantomproblem. Sehr instruktiv dazu ist das lesenswerte Urteil des BGH vom 20.05.2003 -- XI ZR 50/02.

PRAXISTIPPS

  • Achten Sie darauf, dass Sie keinen Vertrauenstatbestand geschaffen haben, der Sie an einer Kündigung hindert. Haben Sie dies nicht, kündigen Sie bei Vorliegen eines Grundes und zögern Sie nicht wegen rechtlicher Restbedenken. Ansonsten zerstören Sie den Vertrauenstatbestand durch eine Kündigungsandrohung. 
  • Achten Sie darauf, dass Sie durch die Kündigung keinen unverhältnismäßigen Schaden beim Kreditnehmer anrichtet, sofern die Nicht-Kündigung für die Bank praktisch keinen Schaden auslösen würde. 
  • Achten Sie darauf, dass Sie nicht gegen den Sinn und Zweck eines Darlehens kündigen, also z. B. bei einem Sanierungsdarlehen vor einer Kündigung überlegen, warum die Sanierungsabsicht fehlgeschlagen ist und Sie damit Ihr Kündigungsrecht ausüben können.


[1] Dazu ausführlich Rösler, BankPraktiker 2019 S. 291 ff.

[2] Dazu Müller-Christmann/Rösler/Sauer, ForderungsPraktiker 2010 S. 208 ff.

[3] Krepold in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 5. Aufl. 2017, Band I., S. 2.619.


Beitragsnummer: 21691

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