Samstag, 30. Juli 2022

ESG-Konformität: Neue Anforderung für Sanierungskonzepte?

Eine Betrachtung aus Bankensicht

Dieter Holtkötter, Diplom-Kaufmann, Restrukturierungsleiter bei einer Bank sowie Lehrbeauftrager für Unternehmenssanierung, Münster

 

ESG-Faktoren (Environment – Social – Governance) verstehen sich als Obergriffe für viele unterschiedliche EU-weite und nationale Initiativen in den letzten Jahren. Hierzu gehören auch die EBA-Leitlinien für die Kreditvergabe und -überwachung (EBA/GL/2020/06), die von Banken die Berücksichtigung von ESG-Faktoren in ihren Strategien für das Kreditrisikomanagement und im Rahmen einer ökologischen nachhaltigen Kreditvergabe fordern.

Unter den ESG-Faktoren lassen sich viele aktuelle Herausforderungen bündeln, die sich z. B. aus dem Klimawandel, einer notwendigen Ressourcenschonung sowie Aspekten wie Gesundheits- und Arbeitsschutz, Produktqualität und -sicherheit sowie einer intakten Unternehmensführung ableiten. 

Bei der Einbeziehung dieser ESG-Faktoren in die Praxis des Kreditgeschäfts herrschen derzeit aber Unsicherheiten. Die Beurteilung der ESG-Konformität erfordert nicht nur tiefergehendes technisches Verständnis für Produkte und Wertschöpfungsketten, sondern unterliegt zudem auch einem ständigen gesellschaftspolitischen Wandel. Beispielhaft seien hier nur die aktuellen Neubewertungen aus dem Konflikt mit Russland als Folge des Krieges mit der Ukraine genannt (z. B. fossile Rohstoffversorgung, Rüstungsindustrie etc.). Zudem sind ESG-Faktoren nicht für alle Unternehmen relevant. 

Schon die Folgen der Corona-Krise ließen das Erfordernis von Neubewertungen bestehender Geschäftsmodelle in vielen Branchen erkennen (z. B. stationärer Handel, Hotellerie etc.). Was gilt zukünftig als wertorientierte Unternehmensstrategie? Die Einbeziehung von ESG-Faktoren macht eine Beurteilung der Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen und Geschäftsstrategien für finanzierende Banken komplexer.

Die Neujustierung von Geschäftsmodellen bonitätsschwacher Unternehmen ist dabei besonderes herausfordernd. Enge Ressourcen und knappe finanzielle Mittel sowie hoher Zeitdruck lassen eine kurzfristige konsequente Neuausrichtung in Krisenzeiten kaum zu. Notwendige Maßnahmen zur Erreichung einer nachhaltigen ESG-Konformität können dabei einen höheren Investitions- und Finanzierungsbedarf nach sich ziehen, der für Kreditgeber in Sanierungssituationen nicht tragbar ist. Zudem ist häufig der Zugang zu öffentlichen Fördermitteln verwehrt, da es sich beihilferechtlich um „Unternehmen in Schwierigkeiten“ handeln kann. Sanierungen könnten sich durch ESG-Transformationsprozesse verzögern oder drohen ganz zu scheitern.

 

Sanierungsziele von Banken unverändert

In der Restrukturierungspraxis werden aktuell Meinungen vertreten, ESG-Konformität sei als Ziel in die Sanierungsplanung von Sanierungskonzepten zu integrieren, die Sanierung solle ESG-orientiert erfolgen. 

Die gegenwärtige Beurteilung der Sanierungsfähigkeit eines Krisenunternehmens orientiert sich zwar maßgeblich an der nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit des Geschäftsmodells, diese richtet sich derzeit aber an klassischen betriebswirtschaftlichen Kriterien wie gesicherte Liquidität, angemessene Rentabilität, angemessenes Eigenkapital sowie nachhaltige Kapitaldienstfähigkeit aus. An dieser Betrachtung wird sich auch zukünftig aus Sicht von kreditgebenden Banken kaum etwas ändern. Im Vordergrund von Sanierungsbemühungen der Banken wird weiterhin die zeitnahe Wiederherstellung der materiellen Kreditwürdigkeit des Krisenunternehmens stehen. Bekannte und bewährte Sanierungsprozesse bleiben erhalten, regulatorische Anforderungen an die Problemkreditbearbeitung werden sich absehbar durch die angestrebte ESG-Konformität von Unternehmen nicht weiter erhöhen.

Wesentlich wird insoweit zukünftig das frühzeitige Erkennen und das Bewerten bestehender ESG-Handlungsfelder bei der Neukreditvergabe und der turnusmäßigen Überwachung von Kreditengagements durch Banken sein, d. h. zu einem Zeitpunkt bestehender Kreditwürdigkeit des Unternehmens.

 

ESG-Transformation bei Krisenunternehmen 

Gleichwohl werden sich in der Praxis für eine derzeit noch nicht absehbare Übergangsphase ESG-Transformationsprozesse auch bei Krisenunternehmen einstellen. Sanierungskonzepte haben in dieser Übergangsphase insbesondere die Einhaltung von ESG-Mindeststandards zu beurteilen. Hierunter fallen Standards, die zur Aufrechterhaltung der operativen Betriebsfortführung während der Sanierungsphase des Krisenunternehmens unerlässlich sind. Beispielhaft sind dies Anforderungen, deren Nichtbeachtung zu gesetzlichen Verstößen der Geschäftsführung führen oder Auswirkungen auf Betriebsgenehmigungen, Lizenzrechten oder Umweltschutzauflagen haben. Eine zeitnahe vollständige ESG-Konformität ist sicherlich wünschenswert, sollte aber insbesondere im Falle eines zusätzlichen Kreditbedarfes nicht Bestandteil der eigentlichen Sanierungsplanung sein. Ihre Umsetzung hat nach Möglichkeit im Zeitraum nach Erreichen der o. g. Sanierungsziele zu erfolgen. Dies angemessen, ausgewogen und treffsicher in Sanierungskonzepten zu berücksichtigen, obliegt zukünftig dem Konzeptersteller. Seine Anforderungen werden sich weiter erhöhen. 

 

Nachgelagerte ESG-Transformationsphase ergänzt Sanierungsplanung

Eine alternative Verlängerung von Sanierungszeiträumen zur Erreichung einer möglichst hohen ESG-Performance wird bei kreditgebenden Banken gleichfalls nur im Einzelfall erreichbar sein. Mit der Verlängerung des Planungszeitraums erhöhen sich die Unwägbarkeiten und die derzeit ohnehin hohen Umsetzungsrisiken im Rahmen von Sanierungsplanungen. Damit steigen auch die Ausfallwahrscheinlichkeiten der Kreditgeber. Banken orientieren die Aufhebung der (internen) Ausfallsetzung und damit die Wiedergesundung von Kreditengagements maßgeblich am Erreichen der o. g. betriebswirtschaftlich orientierten Sanierungsziele, ESG-Faktoren bleiben bislang unberücksichtigt. Bis dahin sind die finanziellen Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen deutlich eingeschränkt. 

Unabhängig hiervon sind insbesondere Gesellschafter aber auch potenzielle Investoren an weiteren Unternehmenswertsteigerungen interessiert. Sanierungskonzepte können daher Meilensteine zur Erreichung einer vollständigen ESG-Konformität nach dem oben beschriebenen Turnaround im Rahmen eines Grobkonzeptes ergänzend erarbeiten und aufzeigen. Transparenz hinsichtlich der weiteren ESG-Transformation und ihrer potenziellen Investitions- und Finanzierungserfordernissen dürfte spätere Unternehmensbewertungen sowie den erfolgreichen Einstieg bonitätsstarker Investoren erleichtern. 

 

Sanierungsstandards anpassen

Die entsprechenden Sanierungsstandards des IDW beurteilen die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit eines sanierten Unternehmens. Sie sollten in diesem Punkt wie oben beschrieben überprüft und ggf. klargestellt werden. Im konkreten Einzelfall kann dann eine Bank abwägen, ob sie aufgrund einer Sanierungsfähigkeitsbestätigung Sanierungskredite vergeben will. Alternativ könnte sie auch ein Stillhalteszenario, ggf. ohne Sanierungskreditvergabe, für einen begrenzten Überbrückungszeitraum als Handlungsoption erwägen. Diese Alternative bietet sich insbesondere dann an, sofern eine bonitätsverbessernde Investorenlösung zeitnah außerhalb einer Insolvenz absehbar ist.

 

 

PRAXISTIPPS

  • Frühzeitiges Erkennen von ESG-Handlungsfeldern bei der Neukreditvergabe und im Rahmen der turnusmäßigen Überwachung von Kreditengagements, die sich aufgrund bestehender Kreditwürdigkeit in der Normalbetreuung der Bank befinden.
  • Sicherstellung der operativen Betriebsfortführung von Krisenunternehmen während der eigentlichen Sanierungsphase im Sanierungskonzept bestätigen lassen.
  • Berücksichtigung in Checklisten, die in der bankinternen Problemkreditbearbeitung zur Plausibilisierung von Sanierungskonzepten eingesetzt werden.
  • Ergänzend Einleitung eines zeitnahen Investorenprozesses erwägen, z. B. auf Grundlage eines zeitlich nachgelagerten Grobkonzeptes zur weiteren Umsetzung der ESG-Konformität.

Beitragsnummer: 21666

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