Montag, 11. April 2022

Strafrecht und Haftungsrecht

Schadensfeststellung bei ermessensüberschreitenden Risikoentscheidungen

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

In den ersten beiden Beiträgen BP 03 und 04/2022 meiner ständigen Kolumne habe ich zunächst das zentrale Risikofeld der Straftat der Untreue (§ 266 StGB) durch Verantwortliche von Banken und Kreditinstituten in der Praxis der Strafverfolgung bei „Marketing-Entscheidungen“ (i. w. S.) beschrieben und anhand von Spesenabrechnungen und Geschenken (auch an Mitglieder von Überwachungsorganen) Hinweise auf typische „Quellen“ der Verdachtsschöpfung durch die Strafverfolgungsorgane gegeben. Bei allen Entscheidungsträgern gilt – wie ausgeführt – zum Schutz ihrer für unsere Wirtschaftsordnung notwendigen Handlungs-Motivation, dass nur unvertretbare Entscheidungen pflichtwidrig sind.

Bevor ich Ihnen die Feststellung des durch pflichtwidrige Handlungen eines Entscheidungsträgers verursachten Schadens („Vermögensnachteil“) vorstelle, sind Konstellationen näher in den Blick zu nehmen, bei denen das Element des für den Täter fremden Vermögens problematisch ist. Diese Fälle betreffen kaum die Vermeidung eigener Strafbarkeit der Bankmitarbeiter, ist doch für ihn das Vermögen der Bank und das seiner Kunden regelmäßig problemlos „fremd“. Die Feststellung des für den Täter fremden Vermögens kann jedoch im Hinblick auf mögliche Straftaten Verantwortlicher ihrer Kreditnehmer und daher für die Verfolgung zivilrechtlicher Haftungsansprüche beim vermögenden Entscheidungsträger statt beim vermögenslosen Kreditkunden von großer Bedeutung sein. Der überführte Untreue-Täter hat nicht nur eine (Kriminal-)Strafe zu gewärtigen, sondern haftet dem geschädigten Treugeber persönlich zum Ersatz des verursachten Schadens. Solche Vermögensentscheidungen stehen häufig im Zusammenhang mit (gescheiterten) Sanierungsversuchen bei mittelständischen Unternehmen. 

Schädigen kann ein Untreue-Täter nur fremdes Vermögen. Der Vermögensträger einer juristischen Person ist nicht identisch mit dem wirtschaftlichen Berechtigten: Das Vermögen „seiner“ GmbH ist daher (auch) für den Allein-Geschäftsführer/Gesellschafter fremd; Gesellschafter einer oHG (Komplementäre einer KG) verwalten (gesamthänderisch) eigenes Vermögen. Dies soll der folgende – stark vereinfachte – Stuttgarter Fall verdeutlichen:

  • R ist Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der R-GmbH, die alleinige Komplementärin der R-GmbH & Co. KG ist. Alleiniger Geschäftsführer und einziger Kommanditist der KG ist ebenfalls R – eine „one-man-show“. Das Vermögen der R-GmbH ist eine Forderung auf Darlehensrückzahlung in Höhe von 50 T€ (was auch ihrem Stammkapital) entspricht, Verbindlichkeiten bestehen bei ihr in Höhe von 10 T€. Einziger Vermögensgegenstand der KG ist der Kassenbestand in Höhe von 50 T€, Verbindlichkeiten bestehen in Höhe von 10 T€. Durch die Entnahme des R von 50 T€ ohne Gegenleistung aus dem Vermögen der KG wird diese überschuldet und zahlungsunfähig, die Forderung der GmbH gegen die KG wertlos und auch diese zahlungsunfähig und überschuldet. Kann sich R wegen Untreue gem. § 266 StGB strafbar gemacht haben?

Der Fall spricht (auch) Fragen des Insolvenz- und Bankrottstrafrechts an, die Gegenstand eines späteren Beitrages sein werden. R ist als Geschäftsführer tauglicher Täter der Untreue (BP 03.2022). Treugeber (Berechtigter des treuhänderisch zu verwaltenden Vermögens) i. S. d. Strafnorm können jedoch nur natürliche oder juristische Personen sein. Bei Personen-(Handels-)Gesellschaften, wie hier einer Kommanditgesellschaft, sind deshalb nur deren Gesellschafter mögliche Treugeber. Da R alleiniger Kommanditist ist, scheidet insofern Untreue aus, die nicht gegenüber eigenem Vermögen strafbar ist. Es bleibt hier somit nur das Vermögen des Komplementärs, der R-GmbH, also einer juristischen Person. Deren Vermögen ist für R „fremd“, obwohl er alleiniger Gesellschafter der GmbH ist.

Strafbare Untreue scheidet aus, soweit der Treugeber wirksam seine Einwilligung in die Vermögensminderung gegeben hat. Da die Geldentnahme bei der KG die Wertminderung der Forderung der GmbH gegen die KG zur Folge hat, müsste hierzu die Einwilligung der GmbH als Berechtigte der Forderung vorliegen. Unbeschadet der (aufgrund der Satzung der GmbH zu bestimmenden) Entscheidungs-Grenzen eines GmbH-Geschäftsführers auf Entscheidungen der „laufenden Geschäftsführung“ und deren Abgrenzung zu „Grundlagen-“ (oder „gewichtige“) Entscheidungen, ist jedenfalls für existentielle Entscheidungen der Gesellschaft die Gesellschafterversammlung (hier also der Alleingesellschafter R) zuständig. Dessen Einverständnis liegt hier problemlos vor. 

Zu prüfen bleibt allerdings, ob es auch für die Gesellschafterversammlung allgemeine (also nicht durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung zu regelnde) Grenzen der Vermögensentscheidung gibt und ob solche mit der Folge der Unwirksamkeit der Einwilligung übertreten wurden. Soweit die Entscheidung der Gesellschafter wirtschaftlich nicht (nur) das Vermögen der Gesellschaft (und damit das ihrer Gesellschafter) betrifft, sondern das ihrer Gläubiger, kann eine wirksame Einwilligung durch die Gesellschafter nicht erteilt werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch die Entscheidung die Insolvenzreife der Gesellschaft (deren – auch drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung) herbeigeführt oder vertieft wird. Eine umfassende Darstellung mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur geben hierzu wirtschaftsstrafrechtliche Handbücher und Kommentare (ich empfehle Ihnen Hadamitzky, in: Müller-Gugenberger, Gruhl, Hadamitzky, Hrsg., Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl. 2021, Kap. 32).

Als Ergebnis dieser Überlegungen ist für den vorgestellten Fall festzuhalten: Strafrechtlich kann sich R der Untreue zum Nachteil der R-GmbH schuldig gemacht haben (nachzuweisen wäre noch seine vorsätzliche Begehung). Aus der Straftat nach § 266 StGB folgt die zivilrechtliche Haftung des Täters nach § 823 Abs. 2 BGB.

Der vorgestellte Fall soll Ihnen als Verantwortungsträger einer Bank Hinweise zur Schadenskompensation durch Zugriff auf Entscheidungsträger kreditierter Unternehmen im Fall vermögensschädigender Eingriffe geben: Die Entnahme aus dem Vermögen der KG verdeutlicht nicht nur die (offenkundige) Haftung ihrer Komplementärin, sondern darüber hinaus auch auf deren Entscheidungsträger. Für die zivilrechtliche Beweisführung können in solchen Fällen die Strafverfolgungs-Akten wichtige Beweise für die klagende Bank enthalten, auf die (grundsätzlich) zugegriffen werden kann (vgl. BP 03.2022). 

Wie für Freispruch oder Verurteilung im Strafrecht, so ist auch für die Beweisführung des Geschädigten im Zivilrecht die genaue Bestimmung der Schädigungshandlung und der durch sie verursachten Schädigungsfolge von zentraler Bedeutung. Der folgende Beitrag im BP 06.2022 soll Ihnen die Feststellung des genauen Zeitpunktes der relevanten Handlung erleichtern. Zu genau diesem Zeitpunkt ist dann der rein betriebswirtschaftlich zu errechnenden Vermögensvergleich vor und nach der Tat vorzunehmen. Zeitbestimmung und Rechenvorgang will ich im nächsten Heft des BP verdeutlichen. Dem – wie allgemein bekannt – für die strafrechtliche Verurteilung erforderliche Nachweis des Vorsatzes sowohl zur Position des Treuepflichtigen, zur konkreten (Treue-)Pflicht, zum Verstoß gegen diese Pflicht als auch zur Schadensverursachung will ich Ihnen dann in einer weiteren Folge vorstellen. Gerade hier sind (nicht nur bei Nicht-Juristen) gravierende Fehlvorstellungen verbreitet.


Beitragsnummer: 20668

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