Montag, 15. November 2021

Verbraucherseitiger Verzicht auf Schutz bei missbräuchlichen Klauseln

Prof. Dr. Hervé EdelmannRechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

In einem Fall, in welchem die Vertragsparteien eine missbräuchliche Klausel bei einem Fremdwährungsdarlehen durch Abschluss einer Zusatzvereinbarung „geheilt" hatten, hält der EuGH in seinem Urteil vom 29.04.2021, Az. C–19/20, fest, dass das Recht des Verbrauchers auf wirksamen Schutz nach der Missbrauchsrichtlinie 93/13 auch die Befugnis des Verbrauchers einschließt, auf die Geltendmachung seiner Rechte zu verzichten (Rn. 46). Demgemäß könne ein Verbraucher auf die Geltendmachung der Missbräuchlichkeit einer Klausel durch Abschluss eines Novationsvertrages oder einer Zusatzvereinbarung verzichten; dies jedenfalls dann, wenn der Verbraucher im Wissen um die Unverbindlichkeit einer missbräuchlichen Klausel gleichwohl freiwillig erklärt, dass er auf die Wirkungen verzichtet, die die Feststellung der Missbräuchlichkeit der Klausel nach sich ziehen würde (Rn. 48 f.).

In diesem Zusammenhang weist der EuGH sodann darauf hin, dass dann, wenn das nationale Gericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass dem Verbraucher die Rechtsfolgen, die sich für ihn aus einem solchen Verzicht ergeben, nicht bewusst waren, die für missbräuchlich erklärte Vertragsklausel grundsätzlich als von Anfang an nicht existent anzusehen ist mit der Konsequenz, dass die Sach- und Rechtslage wiederhergestellt wird, in der sie sich ohne diese Klausel befunden hätte (Rn. 50).

Hieran anschließend führt der EuGH aus, dass dann, wenn das nationale Gericht die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag feststellt, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahingehend auszulegen ist, dass er es dem nationalen Gericht verwehrt, diesen Vertrag durch Abänderung des Inhalts dieser Klausel zu ergänzen (Rn. 67). Dies deshalb, weil das nationale Gericht ansonsten dazu beitragen würde, den Abschreckungseffekt zu beseitigen, der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbräuchlichen Klauseln gegenüber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben; die Gewerbetreibenden wären in einem solchen Fall vielmehr versucht, die betreffende Klausel trotz Kenntnis von deren Unwirksamkeit zu verwenden. Denn sie wüssten, dass selbst wenn die Klausel für unwirksam erklärt werden sollte, der Vertrag gleichwohl im erforderlichen Umfang vom nationalen Gericht angepasst werden könnte, sodass ihr Interesse auf diese Art und Weise zumindest im vom Gericht erachteten zulässigen Maße gewahrt würde (Rn. 68).

Ungeachtet dessen hält der EuGH weiterhin fest, dass Art. 6 Abs. 1 2. Halbsatz der Richtlinie 93/13 nicht selbst die Kriterien festlegt, nach denen ein Vertrag ohne missbräuchliche Klauseln fortbestehen kann, sondern es der nationalen Rechtsordnung überlässt, die Kriterien unter Beachtung des Unionsrechts festzulegen. Demgemäß sei es Sache der Mitgliedsstaaten, durch ihr nationales Recht die Bedingungen festzulegen, unter denen die Festlegung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel erfolgt und die konkreten Rechtswirkungen dieser Feststellung eintreten, wobei eine solche Feststellung jedenfalls ermöglichen muss, die Sach- und Rechtslage wiederherzustellen, in der sich der Verbraucher ohne diese missbräuchliche Klausel befunden hätte (Rn. 84).

 

PRAXISTIPP

Aufgrund vorstehender EuGH-Entscheidung steht nunmehr fest, dass es einem Verbraucher erlaubt ist, auf den ihm durch die Klausel-Richtlinie zur Verfügung gestellten Schutz zu verzichten, wenn er dies freiwillig und in Kenntnis der Tragweite seines Verzichts tut (so auch EuGH-Urteil vom 02.09.2021, Az. C-932/19, Rn. 47).

Was wiederum die Rechtsfolgen einer missbräuchlichen Klausel anbelangt, so teilt der EuGH offenkundig den im deutschen Recht seit jeher geltenden Grundsatz des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion. Dadurch, dass der EuGH darüber hinaus festhält, dass das vom Gesetzgeber mit der Richtlinie 93/13 verfolgte Ziel darin besteht, den Verbraucher zu schützen und Ausgewogenheit zwischen den Parteien dadurch herzustellen, dass solche für missbräuchlich erachteten Klauseln unter Aufrechterhaltung des sonstigen wirksamen Vertrags unangewendet gelassen werden, spricht Einiges dafür, dass der EuGH die deutsche ergänzende Vertragsauslegung für europarechtskonform erachtet. Hierfür spricht auch, dass der EuGH in seiner Entscheidung vom 02.09.2021 (a.a.O.) in Rn. 49 ausführt, dass grundsätzlich anhand der im nationalen Recht vorgesehenen Kriterien zu prüfen ist, ob in einem konkreten Fall ein Vertrag aufrechterhalten werden kann, wenn einige seiner Klauseln für unwirksam erklärt werden.


Beitragsnummer: 19414

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