Andrea Neuhof, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner
Im Rahmen seines Urteils vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20 – hat der Bundesgerichtshof bekanntlich seine bisherige Rechtsprechung unter anderem zur Vermutung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes sowie der Kenntnis hiervon aufgegeben (vgl. hierzu Eduard Meier in Banken-Times SPEZIAL Sanierung/Insolvenz Oktober/November 2021, Beitrag Nr. 18292, abrufbar unter https://www.fch-gruppe.de/Beitrag/18292/bgh-konkretisiert-anforderungen-fuer-vorsatzanfechtung-). Zur Begründung hat der BGH unter anderem ausgeführt, dass sich der Schluss von der erkannten Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und auf die Kenntnis von diesem nicht ohne Bruch in die Systematik der Anfechtungstatbestände einfüge. Entsprechendes gelte für die Systematik des § 133 Abs. 1 InsO selbst. Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung allein aufgrund erkannter Zahlungsunfähigkeit lasse vor diesem Hintergrund einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers zweifelhaft erscheinen. Entscheidend sei, dass der Schuldner wisse oder jedenfalls billigend in Kauf nehme, dass er auch künftig nicht zur Befriedigung all seiner Gläubiger in der Lage sein werde.
Diese neue Rechtsprechung haben in der Zwischenzeit auch bereits einige Instanzgerichte aufgegriffen, wie etwa das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Urteil vom 22.07.2021 – 3 U 8/20 – und das Saarländische Oberlandesgericht Saarbrücken mit Urteil vom 15.07.2021 – 4 U 67/18. Letzteres weist zudem im Grundsatz zutreffend darauf hin, dass für die Beurteilung des Vorliegens eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes auf Schuldnerseite insbesondere das Ausmaß der zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung bestehenden Deckungslücke von Bedeutung ist sowie gegebenenfalls, ob der Schuldner einem seiner Gläubiger eine inkongruente Deckung gewährt hat. Beide Aspekte sieht das OLG als Indiz für das tatsächliche Bestehen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes, was mit der bisherigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung durchaus im Einklang steht. Inwieweit diesbezüglich vor dem Hintergrund der neuen BGH-Rechtsprechung künftig eine noch weitere Ausdifferenzierung erfolgen wird, bleibt abzuwarten.
PRAXISTIPP
Aus Gläubigersicht bringt die Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs zur Vorsatzanfechtung durchaus Erleichterungen mit sich. Zwar besteht beispielsweise die Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO natürlich weiterhin. Diese bezieht sich jedoch lediglich auf die Frage der Vermutung einer Kenntnis des Gläubigers vom (bestehenden) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und richtigerweise nicht schon auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners selbst. Soweit also auf Grundlage der neuen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung schon nicht von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ausgegangen werden kann, läuft naturgemäß auch die Vermutungsregel des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO leer (vgl. ähnlich Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, InsO § 133 Rn. 55). Bezüglich des Vollbeweises der Kenntnis des Gläubigers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gelten zudem die seitens des Bundesgerichtshofs aktuell nachgeschärften Voraussetzungen.
Wenngleich die BGH-Entscheidung vom 06.05.2021 zur alten Rechtslage vor der Reform des Insolvenzanfechtungsrechts 2017 ergangen ist, dürfte sie durchaus auch Geltung für die aktuelle Rechtslage beanspruchen können. Gründe, die dem entgegenstehen, sind nicht ersichtlich (ebenso wohl auch Gehrlein, WuB 2021, 362).
Insgesamt wird es bei der Vorsatzanfechtung künftig weiterhin und mehr denn je auf die genaue Arbeit am Sachverhalt im konkreten Einzelfall ankommen. Wie so oft bleibt auch hier die weitere Entwicklung in der Praxis abzuwarten.
Beitragsnummer: 19412