Dienstag, 19. Oktober 2021

BGH entscheidet über Musterfeststellungsklage betreffend Sparverträge

Dr. Tilman Schultheiß, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

 

Der BGH hat mit Urteil vom 06.10.2021 über das erste der am OLG Dresden anhängigen Musterfeststellungsklageverfahren in Bezug auf langfristige Sparverträge entschieden (XI ZR 234/20) und die Entscheidung des OLG Dresden (Urteil vom 22.04.2020 – 5 MK 1/19) bis auf einen Punkt bestätigt. Damit dürfte nun auch die Richtung für die weiteren anhängigen Revisionen im PSF-Komplex vorgezeichnet sein.

Die streitgegenständlichen Sparverträge enthielten die branchenübliche Zinsanpassungsklausel: „Die Spareinlage wird variabel, z. Zt. mit … % p.a. verzinst.“. Neben der Feststellung der Unwirksamkeit dieser Klausel begehrte die klagende Verbraucherzentrale Sachsen mit den sieben Feststellungszielen die Feststellung der Parameter einer ergänzenden Vertragsauslegung wie

  • die verbindliche Bestimmung eines Referenzzinssatzes (auf Basis der Zeitreihe WX4260),
  • die Verpflichtung auf ein monatliches Zinsanpassungsintervall,
  • die Festlegung auf die Verhältnismethode („relativer Abstand“).

Darüber hinaus begehrte die Verbraucherzentrale Sachsen die Feststellung,

  • dass die Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden,
  • dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und
  • dass die widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist.

Das Oberlandesgericht hatte dieser Musterfeststellungsklage – wie in den Parallelverfahren auch – teilweise stattgegeben. Insbesondere hatte das OLG Dresden die Unwirksamkeit der Klausel festgestellt und die Feststellung eines Referenzzinssatzes aus prozessualen Gründen abgelehnt, da nicht für sämtliche Verträge ein einheitlicher Referenzzinssatz i. R. d. Musterfeststellungsklageverfahrens festgestellt werden konnte, sondern dies eine Frage des Einzelfalls sei.

Der BGH hat die streitgegenständliche Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB für unwirksam erklärt und nochmals festgestellt, dass die entstandene Lücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Insoweit bringt die Entscheidung nichts Neues (BGH, Urteil vom 10.06.2008 – XI ZR 211/07; BGH, Urteil vom 13.04.2010 – XI ZR 197/09; BGH, Urteil vom 14.03.2017 – XI ZR 508/15; Hölldampf, Die Rechtsprechung des BGH zu Zinsanpassungsklauseln im aktuellen Kontext, BB 2020, 266).

Allerdings hat der BGH die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat. Das OLG Dresden hatte zutreffend festgestellt, dass dieser Zinssatz gerade „nicht im Zuge einer Musterfeststellungsklage generalisierend für alle Verträge gleichermaßen festgestellt werden [kann], weil die Umstände, die zu dem Vertragsschluss geführt haben, auch bei Musterverträgen einer Sparkasse einen, schriftlich oder möglicherweise sogar nur mündlich vereinbarten, individuellen Einschlag haben können“ (Urteil vom 22.04.2020 – 5 MK 1/19 Rz. 60). Insofern ist der BGH der Auffassung, dass die vom OLG Dresden als Hindernis erkannten Individualvereinbarungen nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen seien und zwar die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren ausschließen. Der BGH hat die Sache in diesem Punkt zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge sei es dabei interessengerecht, einen Zinssatz für langfristige Spareinlagen als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen heranzuziehen. Auch dies ist in der Sache bereits geltende Rechtsprechung (s. etwa BGH, Urteil vom 21.12.2010 – XI ZR 52/08 Rz. 22), wobei hier festzustellen ist, dass der BGH die Besonderheiten der unterschiedlichen Vertragstypen nicht hinreichend würdigt (seinerzeit ging mit der Kündigung des Vertrages der Verlust der Prämie einher, was in der Tat für eine langfristige Halteabsicht spricht – dies ist bei dem klassischen PSF-Vertrag allerdings nicht der Fall). Es ist davon auszugehen, dass das OLG Dresden nun auf Basis seiner aktuellen Rechtsprechung einen Sachverständigenbeweis dazu erheben wird (vgl. etwa OLG Dresden, Beschluss vom 08.04.2021 – 5 U 2162/20).

Darüber hinaus hat der BGH entschieden, dass die Zinsanpassungen monatlich und unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind. Der BGH hat seine bisherige Rechtsprechung gegen die Anwendung des branchenüblichen absoluten Abstands damit trotz erheblicher Bedenken gegen diese Rechtsprechung (Hölldampf/Schultheiß, BB 2020, 651 ff.; Schultheiß, CRP 2020, 154; Omlor, ZBB 2020, 355 ff.; Furche/Götz, WM 2019, 2290 ff.) bestätigt. Das Argument des BGH, dass nur eine solche Auslegung gewährleiste, dass das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen ungünstig bleiben, kann nicht überzeugen. Denn es lässt sich Äquivalenz freilich ebenso über einen absoluten Abstand sicherstellen. Zudem verkennt die Rechtsprechung nicht nur in diesem Punkt einmal mehr die wirtschaftliche Tatsachenlage: Einen relativen Abstand gab es in der Verzinsungspraxis der Kreditwirtschaft letztlich nicht.

Der BGH hat zudem entschieden, dass Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens mit Beendigung der Sparverträge fällig werden und in diesem Punkt die Entscheidung des OLG Dresden bestätigt. Die in einem Sparguthaben enthaltenen Zinsen unterliegen derselben Verjährung wie das angesparte Kapital. Das gilt auch für den Verbrauchern bislang nicht gutgeschriebene Zinsbeträge. Damit hat der BGH ebenfalls entgegen den dagegen vorgebrachten gewichtigen Bedenken (LG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.01.2019, Az. 2-18 O 211/18; OLG Koblenz, Urteil vom 24.02.2012, Az.: 3 U 687/11; Trappe/Hölldampf, WM 2021, 1829 ff., Edelmann WuB 2021, 291; Herresthal, WM 2020, 1997, 2004; Furche/Götz, WM 2019, 2290, 2300) seine Rechtsprechung zu Altsparbuchfällen (BGH, Urteil vom 04.06.2002 – XI ZR 361/01) auf PSF-Verträge übertragen und damit letztlich auch das Schicksal der verjährungsfreundlichen Entscheidungen des LG Saarbrücken (Urteil vom 26.02.2021 – 1 O 197/20) sowie des LG Bamberg (Urteil 22.09.2020 – 13 O 120/20) besiegelt.

Immerhin hat der BGH wie zuvor das OLG Dresden klargestellt, dass die Grundsätze der Verwirkung auch hier greifen – ein Sonderregime kann für PSF-Verträge freilich nicht gelten. Die Anforderungen hieran sind derzeit unklar. Jedenfalls liegt im Nachtragen des Sparbuches nach der zutreffenden Rechtsprechung des OLG Dresden ein gewichtiges Indiz, das im Rahmen des Umstandsmoments berücksichtigt werden kann.

 

PRAXISTIPP

Wenn die Entscheidung des BGH auch nicht wirklich überraschend war, so enttäuscht sie dennoch in wesentlichen Punkten: Der absolute Abstand ist für PSF-Verträge ebenso gefallen wie die Verjährung. Auch das Argumentationspotential für Kurzfristkomponenten im Referenzzinssatz wird kleiner, wenn der BGH auch für PSF-Verträge ohne besondere Langfristanreize ausschließlich einen Langfristzinssatz für adäquat erachtet. Die Erhebung eines Sachverständigenbeweises durch die Instanzgerichte fällt sicherlich nicht in die Kategorie „Wunschprozessstrategie“. Aber es ist immerhin Vergleichsmasse und ein Schritt weg von dem Damoklesschwert der gerichtlichen Erkenntniskompetenz – das OLG Dresden hatte in seinem obiter dictum zu der Sache 5 MK 1/19 in Rz. 60 nämlich ursprünglich eine gefährliche Tür geöffnet: Mit der Bestimmung des Zinssatzes übernehme das Gericht die Aufgabe der ergänzenden Vertragsauslegung; es werde damit nicht wie ein Sachverständiger tätig, sondern bestimme den Zinssatz auf der Grundlage dessen, was die Parteien im Zuge ihrer zum Vertragsschluss führenden Verhandlungen vereinbart hätten, wenn sie den Punkt konkret als regelungsbedürftig bedacht hätten. Zwischenzeitlich am LG Dresden in einem (Ausreißer-)Urteil Wirklichkeit geworden – das LG Dresden hatte hier ohne Beweiserhebung auf Basis der Zeitreihe WX4260 verurteilt – ist das OLG Dresden erfreulicherweise auf die Notwendigkeit eines Sachverständigenbeweises eingeschwenkt und dies ist als prozessstrategischer Wellenbrecher nicht zu verachten. Das weitere Argument gegen die Berechnung der Verbraucherverbände (WX4260 mit gleitendem Durchschnitt) findet sich in Rz. 23 der BGH-Entscheidung vom 21.12.2010 (XI ZR 52/08). Die Institute müssen hier freilich abwägen, ob sie sich darauf berufen wollen.


Beitragsnummer: 18362

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