Eduard Meier, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner
Mit Urt. v. 06.05.2021 – IX ZR 72/20 hat der Bundesgerichtshof seinen bislang in ständiger Rechtsprechung vertretenen Standpunkt aufgegeben, wonach allein aus der vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit auch auf dessen Kenntnis eines Benachteiligungsvorsatzes des Insolvenzschuldners zu schließen war. Gleiches soll auch für die Feststellung des Benachteiligungsvorsatzes selbst gelten. Auch hierfür könne nicht mehr allein darauf abgestellt werden, dass der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit kannte.
Vielmehr setze der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund der ihm bekannten objektiven Umstände wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können. Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spräche für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz aber dann, wenn sie ein Ausmaß angenommen habe, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lasse, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheine.
Der Gläubiger wisse dann vom Benachteiligungsvorsatzes des Insolvenzschuldners, wenn er die zu dessen Annahme führenden Umstände kenne. Auch hier solle allein die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit zum Vollbeweis der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nicht mehr ausreichend sein.
Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechungslinie, wonach die Fortdauer einer einmal eingetretenen Zahlungseinstellung grundsätzlich zu vermuten ist, hat der Bundesgerichtshof zudem eine Präzisierung vorgenommen. So solle für Stärke und Dauer der Vermutungswirkung künftig darauf abgestellt werden, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit – insbesondere unter Beachtung des Erkenntnishorizonts des Gläubiger – zu Tage getreten sei. Gerade bei nur geringfügigen Rückständen sei die Vermutungswirkung daher eingeschränkt. Etwas anderes gelte aber etwa dann, wenn das Ausmaß der offenbar gewordenen Illiquidität aus objektiver Sicht erfahrungsgemäß ein Insolvenzverfahren erforderlich erscheinen lasse.
PRAXISTIPP
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung die Anforderungen für eine Vorsatzanfechtung besonders bei kongruenten Deckungen erhöht. So wird Insolvenzverwaltern der „einfache Weg“ über den bloßen Nachweis der Kenntnis einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit künftig verschlossen. Hierdurch wird der neu geschaffene Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO verstärkt in den Vordergrund rücken. Es wird sich zeigen, inwieweit dessen Anwendung die tatsächlichen praktischen Auswirkungen der Entscheidung – insbesondere bei unternehmerisch tätigen Schuldnern – möglichweise geringhalten wird. Zumindest aber verbessert der Rechtsprechungswechsel aufgrund der Widerlegbarkeit der Vermutung die Verteidigungsmöglichkeiten auf Gläubigerseite.
Zu begrüßen ist auch die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Konkretisierung der Vermutungswirkung einer einmal eingetretenen Zahlungseinstellung. So war nach bisheriger Rechtsprechung der Anfechtungsgegner uneingeschränkt für die Wiederaufnahme der Zahlungen beweispflichtig. Der Bundesgerichtshof zeigt überzeugend auf, dass dies nicht für jede Form der Zahlungseinstellung angemessen ist. So ist gerade bei verhältnismäßig geringen Rückständen der Schluss auf die Fortdauer eines einmal bestehenden finanziellen Unvermögens nicht angemessen.
Beitragsnummer: 18292