Donnerstag, 17. Juni 2021

Vereinbarkeit der ergänzenden Vertragsauslegung mit EU-Recht

Prof. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

In seiner Entscheidung vom 25.11.2020, Az. Rs.C-269/19 (WM 2020, 2366 ff.), hält der EuGH fest, dass es dem nationalen Gericht nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 untersagt sei, den Vertrag durch Abänderung des Inhalts der für missbräuchlich erachteten Klausel anzupassen (Rn. 30). Allerdings sei es dem nationalen Gericht nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 erlaubt, die missbräuchliche Klausel wegfallen zu lassen und sie in Anwendung vertragsrechtlicher Grundsätze durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts zu ersetzen (Rn. 32). Auf der anderen Seite führt der EuGH auch aus, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 einer Schließung von Lücken eines Vertrages, die durch den Wegfall der darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln entstanden sind, dann entgegenstehe, wenn dies allein auf der Grundlage von allgemeinen nationalen Vorschriften geschehe, die nicht Gegenstand einer besonderen Prüfung durch den Gesetzgeber im Hinblick auf die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen allen Rechten und Pflichten der Vertragspartner waren und die daher nicht unter die Vermutung fallen, dass sie nicht missbräuchlich sind, da sie vorsehen, dass sich die in einem Rechtsgeschäft zum Ausdruck gebrachten Wirkungen auch nach den Grundsätzen der Billigkeit oder der Verkehrssitte bestimmen, bei denen es sich weder um dispositive Bestimmungen noch um Vorschriften handelt, die im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbar sind (Rn. 35). Auf der anderen Seite erachtet der EuGH das nationale Gericht bei der Feststellung missbräuchlicher Klausel für berechtigt, die Parteien zu Verhandlungen aufzufordern, um die Modalitäten zur Berechnung des Zinssatzes festzulegen; dies allerdings nur so lange, wie das Gericht den Rahmen für diese Verhandlungen vorgibt und diese darauf abzielen, ein tatsächliches Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien herzustellen (Rn. 42).

 

PRAXISTIPP

Vorstehende Ausführungen wurden in der Literatur teilweise dahingehend interpretiert, dass der EuGH die ergänzende Vertragsauslegung nach deutschem Recht den nationalen Gerichten untersagt hat, weswegen die deutsche Rechtsprechung sehr bald die Frage klären müsste, ob sie die EuGH-Rechtsprechung mit Blick auf § 306 Abs. 2 BGB als „Acte-claire“ behandelt, der eine Vorlagepflicht an den EuGH ausschließt (vgl. von Westphalen, NJW 2021, 277, 278 ff.). Andere wiederum sind der Auffassung, dass der EuGH mit vorstehender Entscheidung lediglich die materiellen Anforderungen an die zur Lückenschließung vorzunehmenden ergänzenden Vertragsauslegung aufgestellt und den nationalen Gerichten damit alle Kriterien an die Hand gegeben hat, mit denen diese die bisherige judikative ergänzende Vertragsauslegung zur Lückenschließung bei unwirksamen AGB-Klauseln im deutschen Recht vornehmen können (vgl. hierzu Herresthal, NJW 2021, 589). Für letztere Meinung spricht, dass der EuGH die nationalen Gerichte ausdrücklich für verpflichtet erachtet hat, bei Aufforderung der Parteien zur Aufnahme von Verhandlungen diesen Kriterien an die Hand zu geben, um die Herstellung eines tatsächlichen Gleichgewichts zwischen allen Rechten und Pflichten der Vertragsparteien sicherzustellen, was auch Sinn und Zweck der ergänzenden Vertragsauslegung im deutschen Recht ist. Hinzu kommt, dass es gerade auch dem Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 entspricht, im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung eine materielle Ausgewogenheit zwischen den Interessen beider Parteien herbeizuführen.  

Letztendlich wird jedoch der BGH über dieses Problem zu entscheiden haben. 

 

 


Beitragsnummer: 18247

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