Freitag, 19. März 2021

Haftung von Ratingagenturen gegenüber Kapitalanlegern

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

In seiner Entscheidung vom 05.05.2020, Az. 11 O 5/19 (WM 2021, 444) gelangt das Landgericht Berlin zum Ergebnis, dass eine Ratingagentur gegenüber einem Kapitalanleger bei einem sog. Anleiherating auf Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB bzw. gemäß § 280 Abs 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter haftet (Rn. 28). Dabei leitet das Landgericht Berlin im konkreten Fall die Haftung der Ratingagentur aus der entsprechenden Anwendung der vom Bundesgerichtshof zu den Gewährspersonen entwickelte Rechtsprechung her, die – wie Treuhänder oder Wirtschaftsprüfer – in besonderem Maße ein Vertrauen für eine Anleihe oder eine Beteiligung beim Anleger hervorrufen. Denn auch die Ratingagenturen würden aufgrund der Autorität ihrer besonderen Stellung und/oder aufgrund eines bei ihnen gegebenen Wissensvorsprung im besonderen Maße Gewähr für die Sicherheit der Anleihe oder Beteiligung übernehmen und durch ihr Rating der gerateten Anlage, einem „Gütesiegel“ vergleichbar, eine zusätzliche Unbedenklichkeit bescheinigen sowie mehr Glaubwürdigkeit verleihen (Rn. 33 und 68). Hierbei stützt sich das Landgericht Berlin in erster Linie auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.06.2004, Az. X ZR 283/02 (NJW 2004, 3420, 3421 f.), in welcher der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, dass der Wirtschaftsprüfer bei fehlerhafter Prüfung von Prospektangaben aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter weniger für die Richtigkeit der fehlerhaften Angaben als vielmehr dafür haftet, dass er, der Wirtschaftsprüfer, mit seinem Prüfbericht Unbedenklichkeit bescheinigt bzw. Glaubwürdigkeit verleiht und dadurch die von dem fehlerhaften Prospekt ausgehende Gefahr für die Anlageinteressen erhöht (Rn. 30 u. 66).

 

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Hiervon ausgehend wirft das Landgericht Berlin der Ratingagentur, welche gerade im Auftrag der Emittentin zur Veröffentlichung im Wertpapierprospekt und für die Bewertung des konkreten Anleihe-Produkts ein positives Rating i. S. einer Unbedenklichkeitsbescheinigung erstellen sollte und auch erstellt hat, vor, es aus wirtschaftlichem Interesse bewusst in Kauf genommen und hiervon auch positive Kenntnis gehabt zu haben, dass der Emittent im Prospekt zweimal mit dem positiven „A-Rating“ für die Anleihe sowie mit ihrer Sachkunde als europäische Ratingagentur wirbt, wohingegen im Prospekt kein Wort über das von der Ratingagentur ebenfalls festgestellte niedrigste Rating „CCC+“ für noch solvente Unternehmen verloren wird. Auch würde der Prospekt mit keinem Wort auf den von der Ratingagentur ebenfalls erkannten Umstand eingehen, wonach das Rating in Bezug auf die Anlage ganz maßgeblich auf einem der Ratingagentur bekannten und im Auftrag der Emittentin erstellten und von der Ratingagentur auf dessen Richtigkeit nicht überprüften Kurzwertgutachten beruhte, in welchem noch ein Marktwert der Anlage mit ca. € 70 Mio. angegebenen war, während im Rahmen der Insolvenz der Emittentin die Kapitalanlage gerade einmal mit rund € 18 Mio. bewertet wurde.

 

PRAXISTIPP

 

Das Landgericht Berlin prüft in seiner Entscheidung umfassend (vgl. Rn. 46)., ob die für die Bejahung eines Schadensersatzanspruchs des Kapitalanlegers gegen die Ratingagentur nach § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter zwingend notwendigen vier Voraussetzungen vorliegen:

  • Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger selbst (sog. Leistungsnähe),
  • der Gläubiger muss ferner ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich eines Vertrages haben (sog. Einbeziehungsinteresse bzw. Gläubigernähe),
  • für den Schuldner muss die Leistungsnähe des Dritten und dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages hinreichend erkennbar und zumutbar sein (Erkenn- und Zumutbarkeit),
  • nach Treu und Glauben muss ein Bedürfnis für eine Ausdehnung des Vertragsschutzes bestehen, weil der Dritte sonst nicht genügend geschützt wäre (sog. Schutzbedürfnis)

 

Anders als die 4. Zivilkammer des LG Berlin im Urteil vom 31.10.2019, Az. 4 O 52/19, welche in einem vergleichbaren Fall die Voraussetzung der Schutzbedürftigkeit abgelehnt hatte, legt die 11. Zivilkammer des LG Berlin in seinem Urteil ausführlich und überzeugend dar, dass und aus welchen Gründen alle vier Voraussetzungen für die Einbeziehung des Kapitalanlegers in den Schutzbereich des Vertrages erfüllt sind (Rn. 43 ff.). Dabei differenziert das LG Berlin zwischen dem sog. Emittentenrating, bei welchem das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 08.02.2018, Az. I – 6 U 50/17 (WM 2018, 801 m. Anm. Edelmann BTS 2018, 61 f.) die Haftung der Ratingagentur abgelehnt hatte und dem sog. Anleiherating, bei welchem das OLG Düsseldorf offengelassen hatte, ob in einem solchen Fall eine Haftung der Ratingagentur in Betracht kommt, was das LG Berlin aufgrund der Unterschiede zwischen dem Emittentenrating und dem Anleiherating bejaht.

 

Ausgehend vom Vorliegen aller Voraussetzungen für eine Haftung der Ratingagentur nach § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter bejaht die 11. Zivilkammer des LG Berlin – ebenfalls anders als die 4. Zivilkammer des LG Berlin – dann auch das Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung der Ratingagentur, wobei umfassend dargelegt wird, dass und aus welchen Gründen der erkennende Richter von der schuldhaften Pflichtverletzung der Ratingagentur überzeugt ist (Rn. 73 ff.).

 

Nachdem vom LG Berlin eine Haftung der Ratingagentur nach § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter bejaht wurde, musste das LG Berlin nicht die Streitfrage entscheiden, ob sich die „Sachwalter- bzw. die Expertenhaftung“ nicht in erster Linie aus § 311 Abs. 3 BGB i. V. m. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ergibt, wozu das LG Berlin offenkundig tendiert (vgl. Rn. 41).

 

Insgesamt hat die 11. Zivilkammer des LG Berlin mit überzeugenden Argumenten bei einem sogenannte Anleiherating einen Schadensersatzanspruch des Kapitalanlegers gegenüber der Ratingagentur nach § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter bejaht. Ob die 11. Zivilkammer des LG Berlin, anders als das OLG Düsseldorf in vorstehend zitiertem Urteil vom 08.02.2018, auch bei einem Unternehmensrating einen entsprechenden Schadensersatzanspruch des Kapitalanlegers gegenüber der Ratingagentur bejaht hätte, ist offen (hierfür Edelmann, BTS 2018, 61). Letztendlich wird der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil entscheiden müssen, ob sich die Haftung einer Ratingagentur gegenüber Kapitalanlegern aus § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter oder aber aus § 311 Abs. 3 BGB ergibt, ob hierbei zwischen einem Unternehmensrating und einem Anleiherating zu unterscheiden ist und ob die Haftungsvoraussetzungen der jeweiligen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage bei einem Unternehmens- und/oder Anleiherating erfüllt sind bzw. sein können.


Beitragsnummer: 18125

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