Freitag, 19. März 2021

Keine Vorhersehbarkeit der Wirecard-Insolvenz für die beratende Bank

Tilman Hölldampf, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

 

Im Skandal um die Pleite der Wirecard AG suchen Anleger, die ihr investiertes Kapital verloren haben, derzeit nach solventen Anspruchsgegnern. Sofern dem Investment in Aktien der Wirecard AG oder hierauf bezogenen Derivaten eine Beratung durch die Bank oder einen Anlagevermittler vorausgegangen ist, geraten diese zunehmend in den Fokus. Einer der erhobenen Vorwürfe lautet dabei, der Berater bzw. Vermittler hätte die mögliche Zahlungsunfähigkeit der Wirecard AG voraussehen und davor warnen müssen.

 

Ein genauerer Blick auf die (derzeit bekannten) Abläufe zeigt, dass dieser Vorwurf unbegründet ist. 

 

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Die Wirecard Aktie war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Spekulationen über Ungereimtheiten bei der Bilanzierung, welchen die Wirecard AG stets offensiv entgegentrat. Häufig erwähnt wird in diesem Zusammenhang ein im Januar 2019 erschienener Artikel der Financial Times, in welchem über Verdächtigungen gegenüber einem Wirecard Manager in Singapur berichtet wurde. Von Vorwürfen mit einer Schwere, die Zweifel an dem Fortbestand des Unternehmens selbst wecken würden, war dagegen nicht die Rede. Allgemein wurde am Markt davon ausgegangen, dass die Wirecard Aktie Gegenstand sogenannter Short-Attacken institutioneller Investoren war, was nicht zuletzt die BaFin dazu veranlasste, in einer Allgemeinverfügung vom 18.02.2019 ein bis zum 18.04.2019 gültiges Leerverkaufsverbot für die Wirecard Aktie zu erlassen. Auch von Seiten der Bundesregierung gab es keinerlei Anlass zu der Annahme, dass der Fortbestand der Wirecard AG insgesamt gefährdet sein könnte (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP Fraktion, BT-Drucks. 19/11349). Im Gegenteil stütze die Bundesregierung die Ansicht der BaFin und setzte sich noch im Herbst 2019 dafür ein, der Wirecard AG Zugang zum chinesischen Markt zu verschaffen, was letztlich mit der Übernahme des chinesischen Anbieters AllScore gelang und zu einem deutlichen Kursanstieg führte.

 

Etwa im gleichen Zeitraum führten neuerliche Vorwürfe seitens der Financial Times zu einer durch die Wirecard AG beauftragten unabhängigen Sonderprüfung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Diese hat in ihrem Sonderprüfungsbericht vom 27.04.2020 zwar darauf hingewiesen, dass eine abschließende Bewertung aufgrund teilweise nicht vorliegender Unterlagen sowie der fehlenden Bereitschaft Dritter Parteien an der Mitwirkung an der Sonderuntersuchung nicht möglich war und hat in diesem Zusammenhang auch die fehlende Kooperationsbereitschaft der Wirecard AG gerügt. Für die zu diesem Zeitpunkt im Raum stehenden Vorwürfe der Bilanzmanipulation (wohlgemerkt nicht der erst später aufgedeckte, vorsätzliche Bilanzbetrug) fand KPMG dagegen keine Belege. Erst die Verweigerung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, ständige Abschlussprüferin der Wirecard AG, ein Testat für den Jahresabschluss 2019 zu erteilen führte sodann zu der Ad-hoc-Meldung der Wirecard AG vom 22.06.2020, wonach Bankguthaben auf Treuhandkonten „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ nicht bestehen. Am 25.06.2020 stellte die Wirecard AG Insolvenzantrag. Erst im Nachgang hierzu kam Stück für Stück ans Licht, dass bei der Wirecard AG nicht nur von möglichen Unregelmäßigkeiten bei der Bilanzierung auszugehen ist, sondern von einem beispiellosen vorsätzlichen Betrugsfall einiger, nach wie vor nicht abschließend feststehender Beteiligter.

 

Daraus wird ersichtlich, dass im Hinblick auf die Wirecard AG differenziert werden muss zwischen den immer wieder im Raum stehenden Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten bei der Bilanzierung auf der einen und den Vorwürfen der vorsätzlichen, den Fortbestand des Unternehmens insgesamt gefährdenden Bilanzmanipulation auf der anderen Seite. Denn während die Unregelmäßigkeiten bei der Bilanzierung seit längerem bekannt waren und die Wirecard Aktie gerade für risikobewusste Anleger aufgrund ihrer Volatilität interessant machten, kam die vorsätzliche Bilanzmanipulation, welche zur Insolvenz des Unternehmens führte, erst nach der Stellung des Insolvenzantrags ans Licht (wobei bis heute nicht alle Einzelheiten bekannt sind). Nachdem weder die BaFin, die Bundesregierung, die beteiligten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und selbst die kritischsten Pressestimmen zu irgendeinem Zeitpunkt vor Stellung des Insolvenzantrags von einem derart massiven Betrugsfall mit einem Ausmaß ausgegangen waren, dass dadurch die Insolvenz des Unternehmens eintreten würde, war dies auch für Banken und Anlagevermittler bei der Prüfung der Plausibilität der vermittelten Anlage in die Wirecard Aktie nicht vorhersehbar. 

 

PRAXISTIPP

 

Da der Anlageberater/-vermittler gegenüber dem Anleger nur dafür haftet, dass seine Empfehlung ex ante gesehen auf Basis der objektiv bekannten Umstände vertretbar ist, er dagegen nicht für den Erfolg der Anlage haftet, wird es dem Kapitalanleger nicht möglich sein, für infolge der Wirecard-Insolvenz erlittene Verluste den Anlageberater/-vermittler mit dem Argument haftbar zu machen, dieser hätte voraussehen müssen, was sonst keiner der Beteiligten vorausgesehen hat.

 


Beitragsnummer: 18120

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