Samstag, 20. März 2021

Corona-Krisen-Branche: Einzelhandel

Corona offenbart schonungslos den durch Onlineplattformen im Gang befindlichen Strukturwandel – Geschäftsmodell Analyserelevante Besonderheiten.

Thomas, Kohlhase, Senior Credit Analyst, Fixed Income, Ampega Asset Management GmbH

 

Der Einzelhandel hat eine zentrale Rolle in der deutschen Wirtschaft und zählt gemessen an seiner Bruttowertschöpfung und seinem Beschäftigungsanteil zu den Top 3 Wirtschaftssektoren in Deutschland

 

Dieser sehr heterogene Sektor befindet sich seit Jahren vor allem durch Digitalisierung und stark wachsenden Onlinehandel sowie sich verändernder Konsumgewohnheiten in einem kontinuierlichen Strukturwandel. Damit einhergehen massive Veränderungen der Geschäftsmodelle, die sich in den Bilanzstrukturen und der Kreditqualität der Unternehmen widerspiegeln.

 

Corona als Beschleuniger des Strukturwandels

 

Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie gerieten nicht nur kleine, sondern auch große Einzelhandelsketten mit langer Tradition in schwieriges Fahrwasser bis hin zur Insolvenz. Durch die Coronakrise wurden zahlreiche dieser Trends massiv beschleunigt und Stärken und Schwächen der Geschäftsmodelle schonungslos offengelegt

 

Die Unternehmensnachrichten und Presseberichte zu bekannten Filialketten, welche die Haupteinkaufsmeilen deutscher Innenstädte bislang prägten und in wirtschaftlich schwieriges Fahrwasser bis hin zur Insolvenz gerieten, wurde zuletzt länger (z. B. Adler, Esprit, Galeria Karstadt Kaufhof, Pimkie, Sinn, Appelrath Cüppers, Hallhuber usw.). 

 


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Auf der anderen Seite profitieren durch die „Amazonifizierung“ des Handels nicht nur große multinationale Player, sondern auch solche Unternehmen, die ihre Wertschöpfungskette am Kunden ausrichten und gezielt ihre Einkaufs- und Vertriebsstrategien digitalisieren.

Mit Ausnahme des Lebensmitteleinzelhandels steht vor allem der stationäre Handel unter großem Veränderungsdruck. Damit einhergehen kreditrelevante Implikationen für die Finanzierung durch Banken und andere Gläubiger. Während sich der anhaltende Strukturwandel vor allem bei der oft langjährigen immobilienbesicherten Darlehnsvergabe niederschlägt, hat die Corona-Krise die (Betriebsmittel-)Finanzierung der oft schnell wechselnden Warenlager in den Mittelpunkt gerückt. Modekollektionen aus der Winter- und Frühjahrsware sowie andere Artikel mussten bei vielen Händlern massiv abgeschrieben werden.

 

Analyserelevante Besonderheiten

 

Bei der Bilanzanalyse eines Händlers stellen typischerweise das Vorratsvermögen, die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie das Sachanlagevermögen bilanzkritische Aktivposten dar. Beim Vorratsvermögen spielt eine zentrale Rolle, welches Bewertungsvereinfachungsverfahren zur Anwendung kommt. Bereits seit vielen Jahren sind nur die LiFo- und FiFo-Methode zulässig. Allerdings gilt, dass bei verderblichen Waren, wie sie im LEH umgesetzt werden, FiFo zur Anwendung kommt. Bei anderen Bestandserzeugnissen hingegen besteht ein erheblicher bilanzpolitischer Ermessensspielraum.

 

Dementsprechend kann somit der Ausweis des Eigenkapitals bei Händlern mit nicht verderblicher Ware entsprechend gesteuert werden bzw. sind diese bilanzpolitischen Stellschrauben im Rahmen der Vorratsbewertung bei der Wettbewerberanalyse zu bedenken.

 

Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen nehmen ebenfalls eine bedeutende Stellung ein. Hier sind Effekte zu berücksichtigen, die ebenfalls bilanzpolitisch motiviert sein können. Beispielsweise kann ein Unternehmen durch den Verkauf der Forderungen an Dritte (Factoring), mit in der Regel zunächst negativen Effekten auf die Ertragslage (wobei die Finanzierungseffekte aus geringeren Zinskosten kompensatorisch wirken können), seine Liquidität erhöhen. Denn Factoring führt ebenfalls zu einer Bilanzverkürzung und somit regelmäßig zu einer Erhöhung der Eigenkapitalquote. Ebenso sollte der Anteil und die Veränderung der uneinbringlichen Forderungen analysiert werden, um Anhaltspunkte für das Risiko- und Forderungsmanagement eines Unternehmens zu erhalten. 

 

Ebenso müssen dabei die strategische Ausrichtung und das Geschäftsmodell berücksichtigt werden. Denn ein Händler, der beispielsweise von Deutschland aus nach Osteuropa expandiert, hat dort aus verschiedensten Gründen mit einem anderen Zahlungsverhalten (Kreditrisiko) zu tun. Außerdem gilt es Saisonalitäten zu berücksichtigen, da nicht nur der Lager- sondern auch der Forderungsbestand unterjährig stark schwanken kann, was entsprechende Liquiditätseffekte nach sich ziehen kann. 

 

Schließlich spielt das Sachanlagevermögen, insbesondere die Positionen Grundstücke und Gebäude, eine wesentliche Rolle beim stationären Handel. Nicht selten mieten Händler Standorte, anstatt sie zu kaufen und auf die eigene Bilanz zu nehmen bzw. verkaufen bestehende Standorte, um sie dann zurück zu mieten (sogenannte Sale-and-Lease Back Geschäfte). Die entsprechenden Bilanz- und GuV relevanten Faktoren sind dabei nicht unerheblich für die Berechnung verschiedenster Kennzahlen. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Durch zunächst bilanzschonende Miet- und Leasingmaßnahmen wird tendenziell die Eigenkapitalquote durch die Bilanzverkürzung höher dargestellt als bei einem Händler, der die Aktiva auf der Bilanz hat. Ebenso werden durch Leasing traditionelle Finanzierungskennzahlen, wie z. B. der Anlagedeckungsgrad, besser dargestellt. In der GuV bzw. Cashflow-Analyse sind die Abschreibungen beim Mieten eines Vermögensgegenstandes ebenfalls niedriger. Daher muss beim Leasing der entstehende Mietaufwand parallel zu den für ein fiktiv fremdfinanziertes Gut anfallenden Abschreibungen und Zinskosten berücksichtigt werden. Beispielsweise ist der operative Cashflow entsprechend, um diese Größen für Vergleiche zu bereinigen.



 

PRAXISTIPPS

 

  • Analysieren Sie, wie sich die wichtigsten mikro- und makroökonomischen Einflussfaktoren (kurzfristig wirkende Faktoren: Binnenkonjunktur, verfügbare Einkommen, Arbeitslosigkeit; langfristig wirkende Faktoren: Demographie; Konsumgewohnheiten) bei Ihrem Kunden auswirken.
  • Schauen Sie sich an, welcher Markt (lokal, regional, überregional) für Ihren Kunden tatsächlich relevant ist.
  • Welche Engpassfaktoren existieren auf der Kunden- und Lieferantenseite?
  • Leiten Sie Quick-Check-Frühwarnindikatoren aus der Bilanz- und Geschäftsmodellanalyse ab.
  • Entwickeln Sie Vertriebsansatzmöglichkeiten als Win-Win für Bank und Unternehmer, z. B. zur Working Capital Optimierung.

 

 


Beitragsnummer: 17092

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