Mittwoch, 2. Dezember 2020

Vermutung der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners

Thomas Wuschek, Rechtsanwalt, MBA, SanExpert-Rechtsanwalt

 

BGH, Urt. v. 07.05.2020, AZ: IX ZR 18/19:

 

Der BGH hatte folgenden Sachverhalt (verkürzt) zu entscheiden: 

 

Der Kläger ist Verwalter in dem auf einen Antrag vom 05.05.2017 am 20.06.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des S (Schuldner). Der Schuldner betrieb eine Gaststätte. Die beklagte Bank gewährte ihm mit Vertrag vom 02.12.2009 ein Darlehen über € 26.781,59. 

 

Die zur Rückzahlung vereinbarten monatlichen Raten in Höhe von zuletzt € 266,00 zog die Beklagte im Lastschriftverfahren von einem Konto des Schuldners ein. Bzgl. der Raten für die Monate April und Mai 2016 kam es bei vier Einzugsversuchen zu Rücklastschriften.

SEMINARTIPPS

Die am 01.06.2016, am 01.07.2016 und am 01.08.2016 fälligen Raten zog die Beklagte nicht ein. Mit Schreiben vom 03.08.2016 kündigte sie das Darlehen. In der Folgezeit schloss die Beklagte mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung.  

 

Aufgrund dieser Vereinbarung zahlte der Schuldner am 20.09.2016, am 17.10.2016 und am 15.11.2016 jeweils € 350,00 an die Beklagte.

 

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Rückzahlung der drei Raten im Gesamtbetrag von € 1.050,00 nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat nur hinsichtlich eines Teils der Zinsforderung Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Lösungsmöglichkeit

 

Der BGH urteilte, dass die Beklagte durch die angefochtenen Ratenzahlungen eine kongruente Deckung erlangte. Sie konnte aufgrund der mit dem Schuldner getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung die Zahlungen so, wie sie erfolgten, beanspruchen. 

 

Die Vermutung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO setzt voraus, dass die Beklagte, als sie die Zahlungen erhielt, Kenntnis von einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte.

 

Die Regelung in § 133 Abs. 3 S. 2 InsO enthalt eine widerlegliche gesetzliche Vermutung. Vermutungstatbestand ist der Abschluss einer Zahlungsvereinbarung, Vermutungsfolge die Nichtkenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zur Zeit der angefochtenen Handlung. 

Die Berücksichtigung solcher Umstände, wie die Kenntnis der Beklagten von den ausgebliebenen Darlehensraten vom April bis August 2016, schließt die Regelung in § 133 Abs. 3 S. 2 InsO nicht aus.


 


Der Bundesgerichtshof sah es jedoch als nicht erwiesen an, dass die Beklagte auch von der Benachteiligung anderer Gläubiger gewusst habe. 

 

Eine unternehmerische Tätigkeit des Schuldners rechtfertigt den Schluss auf eine Kenntnis des Anfechtungsgegners von anderen, durch die angefochtene Rechtshandlung benachteiligten Gläubiger nur dann, wenn der Anfechtungsgegner von dieser Tätigkeit weiß.

 

Die Beklagte war hier nicht die Hausbank des Schuldners, sondern reine Finanzierungsbank und hatte über die streitgegenständliche Finanzierung hinaus keinen geschäftlichen Kontakt mit dem Schuldner, so dass in dieser Konstellation keine Kenntnis von weiteren Gläubigern vom Berufungsgericht festgestellt wurde.

 

Das Urteil wurde vom BGH aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückgewiesen.

 

PRAXISTIPPS

  • Die Bank sollte sich beim Abschluss von Ratenzahlungsvereinbarungen stets vergewissern, ob der Schuldner sich nicht in einer Zahlungsunfähigkeit befindet. 
  • Nur bei Darlegung, dass die Bank keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatte und auch nicht von der Benachteiligung anderer Gläubiger wusste, kann sie den Anfechtungstatbestand nach § 133 InsO entkräften. 

Beitragsnummer: 13992

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