Mittwoch, 18. November 2020

Kein Widerruf v. außerhalb von Geschäftsräumen gestellten Bürgschaften

Kein Widerrufsrecht des Bürgen nach §§ 355, 312 b Abs. 1, 312 g Abs. 1 BGB n.F.

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

Entgegen seiner früheren Rechtsprechung zu § 1 HWiG bzw. § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB in der bis zum 12.06.2014 geltenden Fassung sowie entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung (vergleiche hierzu OLG Hamburg, Urteil vom 26.04.2019, Az. 13 U 51/18, WM 2020, 1066 mit kritischer Anmerkung Rümpker/Rüsing WUB 2020, 432) sowie entgegen einer in der Literatur stark vertretenen Meinung (vergleiche hierzu nur Grüneberg, in Palandt, BGB-Kommentar 79. Auflage 2020, § 312 Rn. 5; Schürnbrand WM 2014, 1157, 1159 f.), hält der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 22.09.2020, Az. XI ZR 219/19 (ZIP 2020, 2175) fest, dass es im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der ab dem 13.06.2014 geltenden Norm des § 312 Abs. 1 BGB, wonach das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen i. S. v. § 312b BGB nur bei Verbraucherverträgen im Sinne des § 310 Abs. 3 BGB gilt, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben, für die Anwendbarkeit der §§ 312 b, 312 g BGB in der ab dem 13.06.2014 geltenden Fassung nicht genügt, dass der Bürge sein Leistungsversprechen in der dem Gegner erkennbaren Erwartung abgibt, ihm selbst oder einem bestimmten Dritten werde daraus irgendein Vorteil erwachsen. Denn in einem solchen Fall erbringe der Unternehmer gerade nicht gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers die charakteristische Leistung im Sinne von § 312 Abs. 1 BGB (so Rn. 16 in diesem Sinne auch Hölldampf, in Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch des Kapitalanlagerechts 5. Auflage 2020, § 4 Rn. 13). 

 

In diesem Zusammenhang führt der Bundesgerichtshof weiter aus, dass auch die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB auf Verträge über Finanzdienstleistungen nicht zu einem Widerrufsrecht des Bürgen führt. Denn Bürgschaften oder sonstige Kreditsicherheiten von Verbrauchern seien von dem in § 312 Abs. 5 Satz 1 BGB legal definierten Begriff der Finanzdienstleistungen nicht erfasst (Rn. 18; so auch Kropf, WM 2015, 1699, 1604). 

 

Sodann führt der Bundesgerichtshof aus, dass das Widerrufsrecht nach §§ 355, 312 b Abs. 1, 312 g Abs. 1 BGB nicht entgegen dem eindeutigen Wortlaut aus Schutzzweckerwägungen im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet werden kann. Hierfür fehle es nämlich an einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung (Rn. 19). Dies deshalb, weil der Gesetzgeber mit der Neuregelung der §§ 312 ff. BGB ausschließlich Verbraucherverträge erfassen wollte, die als Austauschvertrag mit einer Gegenleistung des Verbrauchers ausgestaltet sind (Rn. 20). Demgegenüber sollten Verträge, in denen der Verbraucher die für den Vertragstypus charakteristische Leistung schuldet, von §§ 312 ff. BGB ebenso wenig erfasst werden wie unentgeltliche Verbraucherverträge (Rn. 21 ff.). 

 

SEMINARTIPPS

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21. FCH-Bankrechts-Tage, 11.–12.10.2021, Frankfurt/M.

Kreditsicherheiten-Tagung, 23.–24.11.2021, Köln.

 

Hiervon ausgehend hält der Bundesgerichtshof ferner fest, dass die §§ 312 Abs. 1, 312 b Abs. 1, 312 g Abs. 1 BGB auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung auf Bürgschaftsverträge erstreckt werden können (Rn. 26). Gegenteiliges lasse sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 RL 2011/83/EU folgern. Zwar sei zutreffend, dass die in Art. 3 Abs. 1 Abs. 2 aufgenommene Umschreibung „jegliche Verträge, die zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher geschlossen werden“, entsprechend § 310 Abs. 3 BGB zunächst alle Verträge zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher ohne Rücksicht auf den Vertragsgegenstand erfasse. Allerdings werde hierbei übersehen, dass die Richtlinie für diese Verträge nach Art. 3 Abs. 1 nur unter den Bedingungen und in dem Umfang gelte, wie sie in den Bestimmungen der Richtlinie festgelegt sind. Insofern könne Art. 3 Abs. 1 RL nur für die Vertragsarten gelten, für welche die Richtlinie auch Regelungen enthält. Für einseitige Verbraucher verpflichtende Verträge enthalte die Richtlinie jedoch nach wie vor kein Widerrufsrecht. Solche Verträge würden dem Anwendungsbereich der Richtlinie gerade nicht unterfallen, da sie keine Leistung des Unternehmers zum Vertragsgegenstand hätten (so Rn. 28; in diesem Sinne auch Rümpker/Rüsing, WuB 2020, 432, 434). 

 

BUCHTIPP

Nobbe (Hrsg.): Kommentar zum Kreditrecht 3. Aufl. 2018.

 

Abschließend stellt der Bundesgerichtshof klar, dass für eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV kein Anlass besteht. Dies deshalb, weil die Frage, ob die Richtlinie entsprechend § 312 Abs. 1 BGB voraussetzt, dass der Unternehmer gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers die vertragscharakteristische Leistung erbringt, angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der Richtlinie ohne Weiteres zu beantworten sei, so dass für Zweifel kein Raum verbleibe (Rn. 30 f. „acte clair“). 

 

PRAXISTIPP:

 

Mit seiner vorstehenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof die bisher hoch umstrittene Frage geklärt, ob Bürgschaften als Verbraucherverträge im Sinne von § 312 Abs. 1 BGB nach § 312 g Abs. 1 BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312 b BGB) und bei Fernabsatzverträgen (§ 312 c BGB) widerrufen werden können, in dem Sinne beantwortet, dass dies jedenfalls für solche Bürgschaften nicht mehr möglich ist, die von der ab dem 13.06.2014 geltenden Neufassung des § 312 Abs. 1 BGB erfasst werden. Denn diese Norm setzt zwingend voraus, dass der Unternehmer gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers die vertragscharakteristische Leistung erbringt, was bei der Bürgschaft ganz offenkundig nicht der Fall sei. 

 


Beitragsnummer: 13985

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