Dienstag, 10. November 2020

Verwahrentgelte für Spareinlagen u. Kündigung von Prämiensparverträgen

Überraschende Implikationen des Urteils des BGH vom 14. Mai 2019 (XI ZR 345/18)

Dr. Mark Hinrichs, Dipl.-Betriebswirt (DH), Rechtsanwalt, Freiburg i. Br.

Moritz Pohle, LL.M. Eur, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Freiburg i. Br.

 

In seiner Entscheidung vom 14.05.2019 hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob Sparverträge – im konkreten Fall drei Prämiensparverträge einer Sparkasse – als Darlehensverträge oder als unregelmäßige Verwahrungsverträge einzuordnen sind (XI ZR 345/18, Rz. 23 ff.). Dies war im Fall des BGH bedeutsam, weil es entscheidend dafür ist, ob ein Kreditinstitut sogenannte Prämien- oder Bonussparverträge noch vor Erreichen der höchsten Prämienstufe kündigen kann. Die Abgrenzung habe, so der BGH, entgegen verschiedener in der Literatur erörterter Abgrenzungskriterien anhand des vertraglichen Pflichtenprogramms zu erfolgen: „Eine unregelmäßige Verwahrung scheidet (…) aus, wenn der Sparer zur Erbringung der Spareinlage verpflichtet sein soll; denn die Verpflichtung, einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen, ist gemäß § 488 Abs. 1 S. 1 BGB die vertragstypische Pflicht des Darlehensgebers bei einem Darlehensvertrag.“ (a.a.O. Rz. 26). Die derzeit in der Bankpraxis, auch unter Bankjuristen, kursierende Ansicht, dass Prämiensparverträge generell nicht vor Erreichen der höchsten Prämienstufe gekündigt werden können, ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht (mehr) haltbar. Und in einem anderen Licht ist die bisher ebenfalls ganz überwiegend vertretene Meinung zu bewerten, wonach für die Verwahrung von Spareinlagen keine Verwahrentgelte (umgangssprachlich auch bezeichnet als „Negativzinsen“) verlangt werden können. 

 

Vorzeitige Kündigung von Prämiensparverträgen

 

In dem besagten Urt. v. 14.05.2019 verneint der BGH eine Verpflichtung des Sparers zur Erbringung der Sparraten und ordnet die Prämiensparverträge daher als unregelmäßige Verwahrungsverträge ein (a.a.O., Rz. 29 ff.). Aufgrund dieser rechtlichen Einordnung konnte der BGH davon ausgehen, dass die Vertragsparteien einen konkludenten, bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe zeitlich befristeten Ausschluss des Kündigungsrechts aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen vereinbart hatten, da die darlehensrechtlichen Kündigungsregelungen der §§ 488 Abs. 3, 489 BGB keine Anwendung fanden (a.a.O., Rz. 40).

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Eine Einordnung der Sparverträge als Darlehensverträge hätte die Anwendbarkeit dieser Kündigungsregelungen, insbesondere des § 489 Abs. 1 Ziff. 1, 2. Hs. bzw. Abs. 2 BGB, zur Folge gehabt, die dem Darlehensnehmer, hier also der Sparkasse, die vorzeitige Kündigung (ggf. mit einer dreimonatigen Frist) erlaubt hätten. Denn der Annahme eines zeitlich befristeten Kündigungsausschlusses hätte § 489 Abs. 4 S. 1 BGB entgegengestanden. Nach dieser Regelung sind die Kündigungsrechte nach § 489 Abs. 1 und 2 BGB zum Schutz des Darlehensnehmers nicht abdingbar. Dies gilt auch dann uneingeschränkt, wenn sich, wie bei der Hereinnahme von Spareinlagen, ein Kreditinstitut (und nicht ein Verbraucher) in der Rolle des Darlehensnehmers befindet (zutreffend Furche/Götz, WM 2019, 145, 155; vgl. auch BGH, Urt. v. 21.02.2017, XI ZR 185/16, Rz. 34 ff.)

 

Damit ist die Kündigung eines Prämiensparvertrags schon vor Erreichen der höchsten Prämienstufe regelmäßig möglich, wenn sich der Sparer zur Erbringung der Spareinlage verpflichtet hat und der Sparvertrag somit als Darlehensvertrag einzuordnen ist. Der BGH ist bei der Annahme einer solchen Verpflichtung allerdings sichtlich zurückhaltend. So ließ er im konkreten Fall die Formulierung „Wir werden monatlich … einzahlen“ nicht ausreichen, da andere Umstände (sanktionslose Möglichkeit des Sparers zur umgehenden Rückforderung der gezahlten Sparrate bis zur Höhe von 2.000 €; typische Interessenlage bei Prämiensparverträgen) gegen eine Verpflichtung sprachen.

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Der BGH hätte jedoch auf nähere Überlegungen zur Einordnung der konkret zu beurteilenden Prämiensparverträge (a.a.O., Rz. 29 ff.) verzichtet, wenn er der Auffassung gewesen wäre, dass die Abgrenzung nach dem Pflichtenprogramm generell zur Einordnung von Prämiensparverträgen als unregelmäßige Verwahrungsverträge führe. Vielmehr hält auch der BGH eine Subsumtion im Einzelfall offenbar für erforderlich. Wenn sich der Sparer – anders als im Fall des BGH (s. Rz. 29), aber in der früheren Formularpraxis nicht unüblich – nach dem Wortlaut des Vertrags zur Erbringung der Sparraten „verpflichtet“, lässt sich kaum vertreten, es handele sich nicht um eine „echte“ Verpflichtung (sondern etwa nur um eine bloße Obliegenheit) des Sparers – denn in AGB verwendete Rechtsbegriffe, hier der Begriff der (Leistungs-)Verpflichtung (vgl. § 241 BGB), sind in der Regel entsprechend ihrer juristischen Fachbedeutung zu verstehen (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. A. 2020, § 305c Rn. 19 m. w. N.). Gerät der Sparer zudem bei verspäteter Zahlung „in Verzug“, wie dies in einigen Verträgen formuliert ist, so unterstreicht dies die Einordnung als Verpflichtung (vgl. § 286 BGB).

 

Neubewertung von Verwahrentgelten für Spareinlagen

 

Auch für dieses Themenfeld gebietet die Entscheidung des BGH eine differenzierte Sichtweise. Die FAZ („Streit ums Sparbuch“, Ausgabe vom 14.10.2020) bringt es auf den Punkt: Negativzinsen sind für das Sparbuch tabu. Dieses angestaubte Produkt erfreut sich daher neuer Beliebtheit bei Kunden und wird gerade deshalb zum wirtschaftlichen Problem für Banken und Sparkassen. Denn diese leisten für die bei einer Zentralbank in Verwahrung gegebenen Überschüsse den Einlagesatz, zahlen also „Strafzinsen“ (derzeit bei der EZB 0,5 % p. a.). Welche Abrede zwischen Bank und Kunde besteht, ob es sich also um Überschüsse aus Tagesgeld-, Girokonten oder Spareinlagen handelt, spielt hierbei keine Rolle. Sparguthaben sind also nicht privilegiert und damit im Verhältnis zwischen Bank und Zentralbank nicht von Strafzinsen befreit. 

 

Die herrschende Meinung lehnt eine negative Verzinsung von Sparguthaben oder deren Belastung mit Verwahrentgelten ab und begründet dies mit deren rechtlicher Einordnung als Darlehen. Denn nach überwiegender Auffassung in der juristischen Literatur sind negative Zinsen mit dem Begriff des Darlehens, wie es in § 488 BGB geregelt ist, unvereinbar (s. etwa Tröger, NJW 2015 S, 657, 660). Unter dem Begriff des Zinses im Sinne von § 488 BGB wird der vereinbarte „Kreditpreis“ verstanden, der als (feste oder variable) laufzeitabhängige Vergütung für die Möglichkeit der Kapitalnutzung zu leisten ist. Der Zinsanspruch des Darlehensgebers gem. § 488 Abs. 1 S. 2 BGB kann nach allgemeiner Auffassung nicht in dem Sinne „umgekehrt“ werden, dass dieser zur Zahlung „negativer Zinsen“ verpflichtet ist (MüKo-BGB/Berger, 8. A. 2020, § 488 Rn. 55; Radke, BKR 2019 S. 178; Suendorf-Bischof, BKR 2019 S. 279, jeweils m. w. N.). Ist die Bank bei der Hereinnahme von Spareinlagen also als Darlehensnehmerin zu behandeln, so ist ihre wesentliche Hauptleistungspflicht die Zinszahlung für das „angelegte“ Geld. 

 

Nun aber hat der BGH in seiner Entscheidung vom 14.05.2019 (XI ZR 345/18) zum Kriterium, nach dem die rechtliche Einordnung von Sparguthaben zu erfolgen hat, das vertragliche Pflichtenprogramm bestimmt. Danach gilt: Geht der Hinterleger keine Verpflichtung zur Hinterlegung ein, sondern kommt es ihm in erster Linie auf eine sichere Aufbewahrung der überlassenen Sache (Geld) und daneben auf die jederzeitige Verfügbarkeit darüber an, so liegt ein unregelmäßiger Verwahrungsvertrag gem. § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB vor. Verträge über gewöhnliche Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist (vgl. § 21 Abs. 4 RechKredV) sind damit nicht (mehr) als Darlehensverträge, sondern als unregelmäßige Verwahrungsverträge einzuordnen (so nun auch Palandt/Sprau, BGB, 79. A. 2020, § 808 Rn. 6 unter Hinweis auf die Änderung gegenüber der 78. A. 2019).

 

Mit dieser neuen rechtlichen Einordnung kann die Erhebung eines Verwahrentgelts nicht mehr ohne Weiteres mit dem Verweis auf die Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers nach § 489 Abs. 1 S. 2 BGB abgelehnt werden. Denn auch Sichteinlagen (im Kern Giro- und Tagesgeldkonten) wurden von der herrschenden Meinung schon bislang als unregelmäßige Verwahrung eingeordnet (vgl. Tröger, NJW 2015 S. 657, 657). Die Zulässigkeit eines Verwahrentgelts wird hier damit begründet, dass im gegenwärtigen Zinsumfeld das Interesse des Bankkunden an einer sicheren Verwahrung seiner Gelder überwiege. Folglich sei die Einordnung dieser Einlageformen als Typenmischvertrag aus unregelmäßiger Verwahrung bzw. Darlehen und echter Verwahrung (§§ 688 ff. BGB) interessengerecht. Demnach könne hier, wie dies die Auslegungsregel des § 689 BGB für die echte Verwahrung vorsehe, auch eine Vergütung in Form eines Verwahrentgelts erhoben werden (vgl. Tröger, a.a.O.). 

 



So einleuchtend diese rechtliche Wertung für Giro- und Tagesgeldkonten ist, so naheliegend ist auch die Frage, warum Gleiches nicht auch für Spareinlagen gelten soll, wenn diese nunmehr (im Regelfall) ebenfalls als unregelmäßige Verwahrung einzuordnen sind. Stichhaltige Gründe für eine Differenzierung sind nicht ersichtlich.

 

Zwar sieht die durch den bei der Verwahrung von Geld über den Verweis aus § 700 BGB zur Anwendung kommende Bestimmung des § 488 Abs. 1 S. 2 BGB als vertragstypische Pflicht des Darlehensnehmers die Zinszahlung vor, sodass eine Abweichung von diesem gesetzlichen Leitbild in Form der Vereinbarung eines Verwahrentgeltes als unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB gelten könnte. In Fällen, in denen der Sparvertrag aber nach dem genannten Kriterium als unregelmäßiger Verwahrvertrag ausgestaltet ist, muss das im Darlehensrecht vorherrschende Leitbild der Zinszahlung zumindest soweit in den Hintergrund treten, dass nicht weiter von einer Unabdingbarkeit durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgegangen werden kann. Denn die unregelmäßige Verwahrung ist ein Typenverschmelzungsvertrag, der Elemente des Darlehens und der Verwahrung zu einem eigenständigen Vertragstyp verbindet. Aus dem Darlehenselement wird aber nach zutreffender Auffassung von Henssler (MüKo-BGB/Henssler, 8. A. 2020, BGB § 700 Rn. 2) hier lediglich der Eigentumserwerb des Verwahrers abgeleitet, nicht die Frage der Verzinsung. Das Verwahrungselement hingegen führt über §§ 700 Abs. 1 S. 3, 695 zur jederzeitigen Verfügbarkeit über das verwahrte Geld durch den Hinterleger. 

 

Wenn das vertragliche Pflichtenprogramm keine Pflicht zur Leistung einer Spareinzahlung vorsieht, sondern vom Element der sicheren Verwahrung geprägt wird und somit die Pflicht des Verwahrers zur Aufbewahrung im Vordergrund steht, so sprechen gute Gründe dafür, für diese Aufbewahrungspflicht die Auslegungsregel des § 689 als weiteres prägendes Element heranzuziehen; danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Aufbewahrung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Damit ist klargestellt, dass die Unentgeltlichkeit kein notwendiges Merkmal der Verwahrung ist (MüKo-BGB/Henssler, 8. A. 2020, § 689 Rn. 1).

 

Zwar ließe sich argumentieren, die Bezeichnung als „Spareinlage“ sei irreführend, wenn der Sparer ein Verwahrentgelt zahlen müsse, statt einen Zins zu erhalten (so die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., Negative Einlagezinsen, Positionspapier, Stand: 12.02.2015, Ziff. 3.3). Die dahinterstehende Idee, dass das Sparbuch-Sparen nicht zu einer Vermögensminderung führen dürfe, entsprach jedoch schon in Zeiten höherer Nominalzinsen häufig nicht den realen Gegebenheiten, da inflationsbedingt negative Realzinsen für Spareinlagen schon in den vergangenen Jahrzehnten „eher die Regel als die Ausnahme“ darstellten (Deutsche Bundesbank, 27.06.2014, Negative reale Verzinsung von Einlagen kein neues Phänomen). Auch dieser Umstand verdeutlicht, dass einfache Spareinlagen primär der Verwahrung von Guthaben dienen, nicht aber der Erzielung einer (realen) Vermögensmehrung, und spricht gegen dieses Argument der Verbraucherzentrale.

 

 

PRAXISTIPPS

  • Die bislang herrschende Meinung, dass Kreditinstitute für Spareinlagen kein Verwahrentgelt erheben können, ist in dieser Allgemeinheit nicht mehr haltbar und bedarf der näheren Prüfung der Rechtsnatur des Sparvertrages. 
  • Gleiches gilt für die Frage der Kündbarkeit von Prämiensparverträgen vor Erreichen der höchsten Prämienstufe. Bei diesen geschäftspolitisch heiklen Themen sind selbstverständlich auch außerrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

 


Beitragsnummer: 12993

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