Donnerstag, 22. Oktober 2020

BehavioralFinance in der Anlageberatung in Zeiten der Niedrigzinsphase

Mahey, Rajinder, Privatkundenberater, Frankfurter Sparkasse

Dr. Hedfeld, Patrick, Hochschuldozent, FOM Frankfurt

 

Einleitung


In dieser Arbeit wird die Theorie der Behavioral Finance durchleuchtet. Darüber hinaus werden die Heuristiken aus Kognitionswissenschaft mit der Anlageberatung konfrontiert und welche Maßnahmen dagegen vorhanden sind. Niedrigzinsphase und Anlageangst sind dabei nur zwei der diskutierten Themen. 



 

 

Anlageberatung und Niedrigzinsphase


Für viele Anleger sind diese zwei Schlagwörter ein Rätsel. Jeder Anleger möchte mit seinem bereitstehenden Geld Rendite erwirtschaften und sucht aufgrund der aktuellen Zinslage verzweifelt einen Finanzberater auf oder lässt sich von seiner Hausbank beraten. Das primäre Ziel ist es, die Anlage zu finden, die am meisten Gewinn verspricht. Geht man von der neoklassischen Wirtschaftstheorie aus, ist der Anleger, genau wie der Homo Oeconomicus, ausschließlich auf die Maximierung seines Nutzens aus. Das bedeutet, der Anleger investiert in die Anlage oder in die Anlagemischung, welche für ihn den größten Nutzen und demnach den für ihn passenden Ertrag im Verhältnis zum Risiko erzielt. Dennoch verhalten sich die Anleger in der Niedrigzinsphase, die von der Europäischen Zentralbank ab 2015 initiiert wurde, irrational und legen ihr Geld nicht optimal bzw. gar nicht an. Ziel der Europäischen Zentralbank ist es, durch die Leitzinssenkung die Geldmenge zu erhöhen, somit die Zinsen für Verbraucherdarlehen zu senken und dadurch die privaten Investitionen und den Konsum deutlich zu steigern. Sparen soll unattraktiv, Anlagen oder Investitionen in Sachwerte, wie Immobilien oder Aktien gesteigert und die Kreditaufnahme gefördert werden. Diese Anhaltspunkte sind Ziele der Europäischen Zentralbank. Trotzdem blieb die große Investition der Anleger in Unternehmen im Rahmen von Aktien, Fonds und weiterer Finanzinstrumente aus. Das Sparen auf Sparbüchern oder Tagesgeldkonten ist bei den konservativen Sparern nach wie vor sehr beliebt, obwohl dies unter Betrachtung der niedrigen Zinsen und des Kaufkraftverlustes bedingt durch die Inflation nachweisbar ein Verlustgeschäft darstellt. Für einen mit der Materie vertrauten Bankberater scheint dieses Verhalten völlig irrational. Doch was steckt hinter der Entscheidung, sein Vermögen aktiv zu vermindern, anstatt es zu vermehren? Warum investieren Kunden nicht in ertragsbringende Anlagen, obwohl sie ihr Geld in Zeiten höherer Zinsen ertragsbringend angelegt hatten?

 

Um dies verstehen zu können, sind folgende Schlagwörter wie Niedrigzinsphase, Anlageberatung und Behavioral Finance zu definieren.

 

Die Bezeichnung Niedrigzinsphase bezieht sich zusammengefasst auf das von der Europäischen Zentralbank angesetzte Leitzinsniveau. Unterschieden wird dennoch zwischen dem Leitzins, Hauptrefinanzierungssatz und Interbankenzins. Unter Anlageberatung versteht man die individuelle Beratung von Kunden im Hinblick auf eine Investition in bestimmte Finanzinstrumente oder Wertpapiere, wie z. B. Anleihen, Fonds und Aktien. Ausgangspunkt der Beratung ist eine Überprüfung der persönlichen Finanziellen Umstände. Maßgeblicher Bestandteil der Anlageberatung ist das magische Dreieck. In diesem Dreieck werden die Kriterien Sicherheit, Rentabilität und Liquidität gegenübergestellt. Alle Kriterien werden somit in einen Konflikt gestellt, was z. B. in einem rationalen Markt bedeutet, dass eine hohe Rendite nur erzielbar ist, wenn ein dementsprechend hohes Risiko eingegangen wird. Kurzfristige Anlagemethoden weisen daher eine geringere Rendite auf als weniger liquidierbare Anlagemethoden.

 

SEMINARTIPPS

Überwachung und Steuerung von Immobilien(fonds)risiken in Eigenanlagen, 09.12.2020, Frankfurt/M.

EEG-Anlagen als Kreditsicherheiten, 29.04.2021, Frankfurt/M.

Immobilien-Eigenanlage in Praxis & (Sonder-)Prüfung, 16.11.2021, Frankfurt/M.

Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 22.11.2021, Köln.

 

Behavioral Finance ist eine Forschungsrichtung in der Finanzmarkttheorie, die sich hauptsächlich mit der Psychologie und den Anlageentscheidungen des Anlegers auseinandersetzt. Hierbei werden emotionale sowie kognitive Faustregeln analysiert, die in der Entscheidungsfindung eine unterstützende Rolle spielen. Des Weiteren ergänzt die Behavioral Finance weitere Modelle, wie z. B. die neoklassische Kapitalmarkttheorie. Die neoklassische Kapitalmarkttheorie beschreibt im Rahmen des rational agierenden Wesens den Homo Oeconomicus als kapitalmarkttheoretisches Konzept, der von einem vollkommenen und vollständigen Kapitalmarkt ausgeht und ein ausschließlich nach wirtschaftlichen Aspekten denkendes und handelndes Individuum ist. Das bedeutet, dass der Homo Oeconomicus lediglich wirtschaftliche Ziele kennt und ausschließlich nach dem größtmöglichen Nutzen strebt. Er berücksichtigt alle Alternativen und trifft dann seine Entscheidung. Dies ist ihm möglich, da der Homo Oeconomicus alle relevanten Kenntnisse seiner wirtschaftlichen Entscheidungsmöglichkeit und deren Folgen sowie die vollkommenen Informationen über die Märkte und die Beschaffenheit aller Güter repräsentiert. Darüber hinaus kann der Homo Oeconomicus alle relevanten wirtschaftlichen Strukturen klar und ohne praktische Unzulänglichkeiten erklären.

 

Im Gegensatz zum Homo Oeconomicus handelt der „echte“ Anleger irrational. Im Rahmen der Geldanlage zeigen die Anleger unterschiedliche Verhaltensmuster, indem das Geld vorsichtig, viel zu risikoreich oder gar nicht angelegt wird. Trotz der bereits seit längerem anhaltenden Niedrigzinsphase legen viele deutsche Anleger ihr Vermögen in konservativen Anlagenprodukten wie Tagesgeldkonten oder Sparbüchern an. Gründe dafür sind, dass viele Anleger aus Gewohnheit ihr Vermögen auf den Tagesgeldkonten oder Sparbüchern liegen haben oder die Möglichkeit besitzen wollen, dies jeder Zeit abheben zu können. Der Faktor Sicherheit spielt ebenfalls für den Anleger eine Rolle, da diese Art von Finanzprodukten für den Anleger kein Risikogeschäft ist. Dennoch unterschätzen viele Anleger die Auswirkungen der Inflation, die ebenfalls das Vermögen „schmelzen“ lässt. Die Tatsache, dass der Anleger bewusst eine Verlustvermeidung als Motivation sieht, sein Geld nicht zu ertragsreicher anzulegen, baut die Prospect Theory nach Kahneman und Tversky darauf auf.

 

Im folgenden Beispiel geht es um eine Summe von 60.000 Euro, die am Aktienmarkt investiert wurde. Da sich es aktuell im Beispiel um eine Abschwungphase handelt, werden zwei Alternativen angeboten, um das Investment vor Verlusten zu schützen. Bei der ersten Alternative werden 20.000 Euro gerettet und ein Verlust von 40.000 Euro realisiert. Die zweite Alternative bietet auf der einen Seite zwar die Chance, mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:3 das gesamte Kapital von 60.000 Euro zu retten, birgt auf der anderen Seite aber auch das Risiko, mit einer Wahrscheinlichkeit von 2:3 den kompletten Verlust zu realisieren. Gemäß der Prospect Theorie neigen die Menschen dazu, die Verlustvermeidung höher zu gewichten als die Gewinnmöglichkeiten. Obwohl bei der zweiten Alternative die Möglichkeit besteht, das gesamte Kapital zu retten, würde der Mensch sich aus psychologischen Gründen für die erste Alternative entscheiden.

 

Darüber hinaus verfolgt Kahneman eine weitere interessante Theorie – er unterteilte die Handlungen einzelner Menschen in zwei Systeme. Personengruppen, die sich im System 1 bewegen, handeln automatisch, einfach, intuitiv und unbewusst. Kahneman betitelt dieses Verhalten auch als „schnelles Denken“. Dies bedeutet, dass die Anleger Entscheidungen treffen, aber nicht die nötigen Informationen dafür besitzen oder irrational handeln. Im System 2 hingegen handeln die Menschen abwägend, reflektierend, überlegt und bewusst, was von Kahneman als „langsames Denken“ interpretiert wird. Schlussfolgerungen und Urteile, die aufgrund der Theorie von System 1 gefällt werden, basieren auf einer weiteren Theorie, die mit der Abkürzung WYSIATI beschrieben wird. Ausgeschrieben handelt es sich um „What you see is all there is.“ Übersetzt: Nur was man gerade weiß/sieht, zählt. WYSIATI erleichtert den logischen und zusammenhängenden Gedankengang des Menschen. Aufbauend auf diesen Theorien und Regeln könnte ein ausschlaggebender Punkt sein, dass das sich auf Sparbüchern oder Tagesgeldern ansammelnde Vermögen gleichbleibt.

 

Die Anleger werden nicht nur von den Erkenntnissen beeinflusst, die Kahneman erforscht hat, sondern auch von Heuristiken. Das Wort „Heuristik“ wird vom griechischen Wort „heuriskein“ abgeleitet und bedeutet „verbesserte Problemlösung“. Zusammengefasst kann man sagen, dass das Gehirn automatisch nach einem vereinfachten Abkürzungssystem verlangt, sodass eine komplexe Informationsverarbeitung bewältigt werden kann. Dieses Abkürzungssystem wird Heuristik genannt. Die Heuristiken werden in drei verschiedenen Stufen eingeteilt, welche ein in sich aufbauendes System ist. Das bedeutet, dass die drei Heuristiken der Informationswahrnehmung, -verarbeitung und Entscheidungsfindung nicht getrennt voreinander betrachten werden, sondern aufeinander aufbauen, sowie ergänzen.

 

Beispiele von Heuristiken in der Informationswahrnehmung sind unter anderem die Verfügbarkeitsheuristik, die selektive Wahrnehmung und der Herdentrieb. Weitere Heuristiken der Informationsverarbeitung sind Verankerung und Anpassung, Ambiguitätsaversion, Konservatismus, Mentale Buchführung, Rezenz-Effekt und Selbstüberschätzung. In der dritten Stufe der Heuristiken der Entscheidungsfindung werden Heuristiken wie selektive Entscheidung, Besitztums-Effekt, Dispositions-Effekt, Status-Quo-Effekt sowie die Reueaversion behandelt.

Trotz der vielen Heuristiken, die den Anleger beeinflussen können, gibt es in der Anlageberatung Möglichkeiten, diese zu minimieren oder entgegenzuwirken. Das Ziel der Anlageberatung ist es, eine nachhaltige Beratung zu etablieren sowie eine Verbesserung der Beratungsqualität zu garantieren. Daher können in allen Informationsprozessen Maßnahmen gegen Heuristiken erarbeitet werden.

Des Weiteren sollten in der Anlageberatung Maßnahmen in der Niedrigzinsphase erarbeitet werden. Um eine gute Anlageberatung zu gestalten, sollte der Anlageberater die Asset Allocation berücksichtigen. Die Asset Allocation ist eine anwendungsorientierte Portfolio-Theorie. Ziel dieser Theorie ist es, durch eine wegführende und strukturierte Aufteilung (Allocation) eines Vermögens auf mögliche Investmentmöglichkeiten (Assets), wie zum Beispiel Aktien, Rentenwerte, liquide Mittel, Immobilien und in verschiedenen Länder und Währungen, eine Rendite- und Risikooptimierung im Gesamtportfolio darzustellen.

 

Demnach sollte der Anlageberater seine Beratung nach den Vorstellungen des Anlegers bezüglich seiner Anlageziele und seiner Risikovorstellung ausrichten. Deswegen ist eine individuelle Portfoliogestaltung maßgeblich, sodass der Anleger einen Nutzen in der getätigten Anlage sieht, was zu einem positiven Effekt aufgrund der WYSIATI-Regel führen könnte.

 

Dennoch gibt es viele Anleger, die trotz einer qualitativ gut herausgearbeiteten Beratung nicht anlegen, denn viele Anleger sind nicht in der Lage, Informationen zu verstehen und den Kontext aus der gesamten Situation herauszuziehen. Überwiegend wird das sogenannte Priming – bereits vorangegangene persönliche Erfahrungen wiegen schwerer als rationales Denken – des einzelnen Anlegers die Anlageentscheidung beeinflussen Diese Anleger werden weiterhin den Anomalien und Heuristiken der Behavioral Finance unterliegen.

 

Nichtsdestotrotz ist es nicht nur für den Anleger wichtig, in solchen Zeiten etwas für ihr Vermögen zu tun.

 

Ein wesentlicher Punkt in dieser Situation könnte die Digitalisierung sein. Durch die Digitalisierung könnten die Kreditinstitute nachhaltig auf eine moderne Beratung setzen. Hierbei kann eine Bildschirmberatung oder eine Beratung auf dem iPad der erste Schritt sein. Der Anleger könnte den Anlageberater visuell folgen und gegeben falls dabei Unterstützen, sodass ein Gefühl der Gemeinsamkeit entsteht. Der Anleger fühlt sich bei der Entscheidung nicht allein gelassen und unterstreicht nochmal die individuelle Anlageberatung.

 

Zusammengefasst sollte die Anlageberatung ein individuelles Finanzkonzept mit kosteneffizienten Beratungsstrukturen und mit der vorhandenen Digitalisierung beinhalten

 

 

PRAXISTIPPS

  • Anleger unterliegen wie alle Personen verschiedenen Effekten der modernen Kognitionswissenschaft.
  • Eine gute Anlageberatung zieht darauf ab, verschiedene – sogenannte – Primingeffekte zu berücksichtigen. 
  • Im Umfeld der Niedrigzinsphase und der Digitalisierung ergeben sich neue Chancen und Risiken

 


Beitragsnummer: 12952

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