Montag, 19. Oktober 2020

Widerruf Einzelverfügungsbefugnis durch vorläufigen Insolvenzverwalter

sowie Aufrechnung der Bank gegen den Anspruch des Schuldners auf Auszahlung seines Kontoguthabens

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

Mit Urt. v. 24.09.2020 – IX ZR 289/18 – hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter, der zur Einziehung von Bankguthaben des Schuldners ermächtigt ist, die für ein Gemeinschaftskonto vereinbarte Einzelverfügungsbefugnis mangels hierüber hinausgehender Ermächtigung nicht widerrufen könne. Ferner hat er ausgeführt, dass sich das AGB-Pfandrecht einer Bank an dem Guthaben auf einem im Kontokorrent geführten Girokonto auch auf den jeweiligen Anspruch auf das Tagesguthaben erstreckt. Soweit dieses Pfandrecht anfechtungsfest ist, kommt eine insolvenzfeste Aufrechnung mit Forderungen der Bank gegen den Auszahlungsanspruch des Kunden in Betracht. 

In dem zugrundeliegenden Fall nahm der klagende Insolvenzverwalter die beklagte Bank auf Auszahlung eines Guthabens auf dem bei der Beklagten geführten Girokonto des Schuldners in Anspruch. Bei dem Girokonto handelte es sich um ein sog. Oder-Konto, ein Gemeinschaftskonto des Schuldners und dessen Ehefrau mit jeweiliger Einzelverfügungsbefugnis, deren Widerruf vereinbarungsgemäß jederzeit möglich war. Weiter unterhielten der Schuldner und dessen Ehefrau bei der Beklagten ein Darlehen über 30.000,00 €.  

Im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Schuldners wurde der Kläger zum „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Zustimmungsvorbehalt sowie Ermächtigung des Klägers zur Einziehung von Bankguthaben und sonstigen Forderungen des Schuldners und zur Entgegennahme eingehender Gelder wurden angeordnet, nicht jedoch ein allgemeines Verfügungsverbot des Schuldners. Der Kläger widerrief daraufhin die Einzelverfügungsbefugnis auf dem Gemeinschaftsgirokonto. Die Beklagte kündigte in der Folgezeit sowohl den Vertrag über die Führung des Girokontos als auch den Darlehensvertrag. Ihren Darlehensrückzahlungsanspruch verrechnete sie mit dem auf dem Girokonto vorhandenen Guthaben. Der Kläger wandte hiergegen die Anfechtbarkeit der Darlehenskündigung und die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Verrechnung ein und verlangte Auszahlung des Kontoguthabens.

Der BGH hat zunächst klargestellt, dass dem Kläger trotz Widerrufs der Einzelverfügungsbefugnis für das Girokonto noch immer die Alleinverfügungsbefugnis über das Kontoguthaben zustehe. Die Einzelverfügungsbefugnis sei vom Schuldner auf den Kläger übergegangen. Eine Rechtsmacht zum Widerruf der Einzelverfügungsbefugnis habe dieser allerdings nicht gehabt. Aus den gerichtlichen Anordnungen des Zustimmungsvorbehalts und der Einziehungsbefugnis habe sich eine solche nicht ergeben. Insoweit wäre eine gesonderte Ermächtigung des Klägers erforderlich gewesen. 

Weiter hat der BGH entschieden, dass der vom Kläger geltend gemachte Auszahlungsanspruch in Höhe eines Teilbetrags, welcher dem Guthaben auf dem Girokonto einen Monat vor Insolvenzantragsstellung abzüglich einer zwischenzeitlichen Teilsicherheitenfreigabe entsprach, durch wirksame Aufrechnung der Beklagten mit dem Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Schuldner und seine Ehefrau erloschen sei (§ 389 BGB). Eine den Differenzbetrag nach Aufrechnung übersteigende Zahlung könne der Kläger von der Beklagten deshalb nicht verlangen.


Buchtipp

 

Da die Beklagte nicht nur den Darlehensvertrag, sondern zeitgleich auch den Vertrag über das Gemeinschaftskonto wirksam gekündigt habe, sei auch das Kontokorrentverhältnis beendet. Es habe daher einer Gesamtaufrechnung der wechselseitigen Forderungen bedurft. Auch bei unterstellter Anfechtbarkeit der Kündigung des Vertrags über das Gemeinschaftskonto sei die Beklagte zudem jedenfalls zur Aufrechnung mit ihrem Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Anspruch auf den Tagessaldo berechtigt gewesen. 


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Die vorgenommene Aufrechnung sei zwar insolvenzrechtlich soweit unwirksam, als die Beklagte die Möglichkeit zur Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Dies sei allerdings lediglich in Höhe eines geringen Teilbetrags von 3.328,31 € der Fall gewesen. Bei diesem Betrag handelt es sich um die Erhöhung des Guthabens auf dem Girokonto im 1-Monats-Zeitraum vor Insolvenzantragsstellung bzw. danach. In dieser Höhe sei die Beklagte nicht anfechtungsfest durch ihr AGB-Pfandrecht (welches Nr. 14 Abs. 1 S. 2 AGBBanken entsprach) an dem Kontoguthaben gesichert gewesen. Denn die Aufrechnungslage sei durch die Kündigung des Darlehensvertrags zeitlich nach dem Eröffnungsantrag, über welchen die Beklagte informiert war, begründet worden, weshalb eine Anfechtbarkeit der Darlehenskündigung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO grundsätzlich gegeben gewesen sei. 

In Höhe des bis einen Monat vor Insolvenzantragsstellung bestehenden Kontoguthabens sei allerdings schon keine Gläubigerbenachteiligung i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO gegeben, da insoweit ein insolvenzanfechtungsfestes AGB-Pfandrecht der Beklagten bestanden habe. Insoweit sei lediglich ein im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag an dem Kontoguthaben entstandenes AGB-Pfandrecht als inkongruente Sicherung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. An dem unmittelbar vor Beginn des nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO maßgeblichen Anfechtungszeitraums bestehenden Kontoguthaben sei die Beklagte dagegen anfechtungsfest durch ihr AGB-Pfandrecht gesichert gewesen. Das AGB-Pfandrecht erfasse sowohl den Anspruch auf Gutschrift als auch den girovertraglichen Auszahlungsanspruch und den aus dem Saldoanerkenntnis nach Rechnungsabschluss folgenden Anspruch auf den anerkannten Saldo. Da der Anspruch auf Auszahlung des Tagesguthabens sowohl pfändbar (§ 833a ZPO) als auch abtretbar sei, unterliege er auch dem AGB-Pfandrecht der Bank.

 

Praxistipp: 

Was die grundsätzlichen Voraussetzungen einer Deckungsanfechtung der Verrechnung von Zahlungsein- und -ausgängen auf einem Girokonto des Schuldners anbelangt, enthält die Entscheidung nichts grundlegend Neues. Für die Praxis interessant sind dennoch die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zur Unwirksamkeit des Widerrufs der Einzelverfügungsbefugnis durch den vorläufigen schwachen Insolvenzverwalter sowie die Bestätigung der anfechtungsfesten Aufrechnungsmöglichkeiten der Bank gegen Forderungen des Schuldners auf Guthabenauszahlung bei Absicherung durch das AGB-Pfandrecht.


Beitragsnummer: 12943

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