Montag, 19. Oktober 2020

Vorfälligkeitsjoker

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

Das Oberlandesgericht Frankfurt hält in seinem Urt. v. 01.07.2020, 17 U 810/19 (WM 2020 S. 1914) fest, dass die Angaben über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung im Fall der vorzeitigen Rückzahlung ohne Kündigung selbst dann klar und verständlich sein müssen, wenn der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer mehr als die nach Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB i.V.m. § 492 Abs. 2 BGB geschuldeten Pflichtangaben erteilt. Zudem hält das Oberlandesgericht Frankfurt in vorstehendem Urteil fest, dass dann, wenn diese vom Darlehensgeber überobligationsmäßig erteilten Angaben unvollständig sind, eine Heilung nicht mehr in Betracht kommt. 


Praxistipp: 

Die Entscheidung des Oberlandesgericht Frankfurt überzeugt aus mehrfachen Gründen nicht. Zutreffend ist zwar, dass nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB der Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag „die Voraussetzungen und die Berechnungsmethode für den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung“ in klar und verständlich formulierter Art und Weise enthalten muss und dass nach § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung (VFE) ausgeschlossen ist, wenn die nach Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB geforderten Pflichtangaben „unzureichend sind“.  

Allerdings wird bereits in den Entscheidungsgründen des Oberlandesgericht Frankfurt nicht ausreichend klargestellt, dass es in dem vom Oberlandesgericht zu entscheidenden Fall gerade nicht darum ging, ob die nach dem Gesetz geforderten Pflichtangaben von der Bank im Darlehensvertrag klar und verständlich formuliert waren, sondern allein und ausschließlich darum, ob die von der Bank zusätzlich zu den vom Gesetz geforderten Pflichtangaben hinaus erteilten weiteren Erläuterungen zur Berechnung der VFE klar und verständlich formuliert sind bzw. waren. Dass es ausschließlich um letzteren Punkt ging, lässt sich nämlich lediglich der Rn. 66 der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt entnehmen, wo das Oberlandesgericht ausführt, dass dann, wenn der Darlehensnehmer über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus weitergehende Angaben zu den Einzelheiten der Berechnung gibt, diese ebenfalls i.S.v. Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB klar und verständlich formuliert sein müssen.  

Ging es aber im konkret zu entscheidenden Fall somit unstreitig nicht um die vom Gesetzgeber in § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB geforderten klaren und verständlichen Pflichtangaben, sondern allein um die freiwilligen, überobligationsmäßig bereits bei Vertragsabschluss erteilten Erläuterungen, zu deren Erbringung die Bank grundsätzlich gem. § 493 Abs. 5 BGB erst auf entsprechenden Wunsch des Darlehensnehmers verpflichtet ist, dann ist nach hiesiger Auffassung ganz offenkundig, dass die Norm des § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB – da von § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB nur die vom Gesetz geforderten Pflichtangaben umfasst sind – bereits tatbestandlich nicht eingreifen konnte, weil zwischen den Parteien und dem Gericht unstreitig ist/war, dass die von Gesetzes wegen geforderten Pflichtangaben für die Berechnung der VFE von der Bank in klar und verständlich formulierter Art und Weise im Vertrag dem Darlehensnehmer erteilt wurden. Insofern ist schlichtweg unerfindlich und ergibt sich auch aus den Entscheidungsgründen nicht, weswegen das Oberlandesgericht Frankfurt ungeachtet dieser klaren Erkenntnis § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch bei den von der Bank freiwillig und überobligationsmäßig erteilten zusätzlichen Erläuterungen angewendet hat, welche grundsätzlich erst nach Vertragsabschluss und erst auf Anfrage mitgeteilt werden müssen (vgl. § 493 Abs. 5 BGB). Hierfür sprechen keinerlei sachliche oder rechtliche Argumente.  

Hiervon unabhängig ist aus hiesiger Sicht die Anwendbarkeit des § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den konkret zu entscheidenden Fall auch deswegen ausgeschlossen, weil § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB nur dann eingreift, wenn die gesetzlich geforderten Pflichtangaben nach Art. 247 § 7 Abs. 2 S. 1 EGBGB über die Berechnung der VFE „unzureichend sind“, wovon in dem zu entscheidenden Fall nicht die Rede sein kann, weil gerade diese gesetzlichen Pflichtangaben dem Darlehensnehmer klar und verständlich erteilt wurden.  Hiervon unabhängig stellt sich die Frage, ob offenkundig unvollständig erteilte freiwillige Erläuterungen als „unzureichend“ i.S.v. § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB angesehen werden können, wofür wenig spricht.


Wenig überzeugend ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt auch deswegen, weil es im zu entscheidenden Fall ausweislich der Rn. 65 der Entscheidungsgründe nicht darum ging, ob die überobligationsmäßig freiwillig erteilten zusätzlichen Erläuterungen klar und verständlich sind – was diese unstreitig waren – sondern allein darum, dass der Text im Darlehensvertrag eine für den Darlehensnehmer offenkundig erkennbare Unvollständigkeit/Lücke enthielt, welche der Darlehensnehmer zwar entsprechend den Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt nicht selbständig hätte füllen oder schließen können, die der Darlehensnehmer allerdings problemlos und ohne große Anstrengungen durch eine schlichte Nachfrage unter Hinweis auf die offenkundige Unvollständigkeit beim Darlehensgeber hätte erfragen können. Insofern ist schlicht nicht nachvollziehbar, weswegen das Oberlandesgericht Frankfurt diesen Fall der „offenkundigen Unvollständigkeit von freiwillig erteilten zusätzlichen Erläuterungen“ dem Fall einer „unzureichenden Pflichtangabe“ i.S.v. § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB gleichstellt und nicht dem unbeachtlichen Fall des offenkundigen Schreibversehens i.S.d. BGH-Rechtsprechung (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 08.10.2019, Az. XI ZR 632/18, sowie BGH, Beschluss v. 24.01.2017) oder dem Fall der ebenso unbeachtlichen überobligationsmäßigen einseitigen Hinweise in Bezug auf die Rechtsfolgen eines Widerrufs (vgl. hierzu BGH, Beschluss v. 04.12.2018, Az. XI ZR 46/18, Rn. 10 f.). Dies gilt umso mehr, als es im zu entscheidenden Fall gerade nicht um die bei Vertragsabschluss gesetzlich geschuldeten Pflichtangaben i.S.v. § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB ging, sondern allein um gesetzlich bei Vertragsabschluss nicht geschuldete Erläuterungen, welche im Übrigen weder unklar noch unverständlich oder unzureichend waren, sondern lediglich für den Darlehensnehmer offenkundig erkennbar unvollständig. 

 

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Bedenkt man dann noch, dass dem Darlehensnehmer ausweislich Rn. 64 der Entscheidungsgründe das „fehlende Puzzle-Stück“ zur Ausfüllung der für ihn offenkundig erkennbaren Lücke bezüglich der zusätzlich erteilten Erläuterungen vom Darlehensgeber ungefragt nach Vertragsabschluss durch Übersendung des Merkblatts „Vorfälligkeitsentscheidung“ erteilt wurde und zudem zu unterstellen ist, dass dem Darlehensnehmer die freiwilligen Angaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl in den vorvertraglichen Informationen (vollständig) erteilt, als auch bei der Erteilung der nach § 493 Abs. 5 S. 1 BGB geschuldeten Informationen auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt wurden, dann ist es schlichtweg schleierhaft, wie das Oberlandesgericht Frankfurt den von ihm zu entscheidenden Fall der für den Darlehensnehmer offenkundig erkennbaren und später ebenso offenkundig beseitigten Unvollständigkeit der freiwillig erteilten Erläuterungen mit dem Fall gleichsetzen kann/konnte, wonach die Bank die von ihr gesetzlich geschuldeten Pflichtangaben dem Darlehensgeber in unzureichender Art und Weise erteilt. Selbst Verbraucherschutzerwägungen rechtfertigen eine solche Sichtweise nicht.  

Schließlich ist vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Oberlandesgericht Frankfurt die nachträgliche Heilung der offenkundigen Unvollständigkeit abgelehnt hat. Zwar sieht das Gesetz, anders als bei den Pflichtangaben (vgl. hierzu § 356b Abs. 2 BGB), – wohl aufgrund eines offenkundigen Versehens des Gesetzgebers – bei unzureichenden Angaben zur Berechnung der VFE keine Heilungsmöglichkeit vor. Allerdings übersieht das Oberlandesgerichts Frankfurt auch in diesem Zusammenhang, dass eine Heilung nur dann ausgeschlossen ist, wenn es um die unzureichende Angabe der gesetzlich gem. § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB geschuldeten Pflichtangaben geht und nicht auch dann, wenn es – wie hier – um überobligationsmäßig und freiwillig erteilte weitergehende Erläuterungen geht, welche dem Darlehensnehmer grundsätzlich nach § 493 Abs. 5 BGB erst dann geschuldet sind, wenn dieser dem Darlehensgeber eines Immobiliarverbraucherdarlehensvertrages ausdrücklich mitteilt, dass er eine vorzeitige Rückzahlung des Darlehens beabsichtigt. Ist dem aber so, dann wäre es nur konsequent, bei späterer Erteilung der zusätzlichen vollständigen Erläuterungen eine Heilung der offenkundigen Unvollständigkeit zu bejahen. Denn der Darlehensnehmer nimmt die zusätzlichen Erläuterungen in einem solchen Fall dann zur Kenntnis, wenn er sie benötigt und der Darlehensgeber ihm diese schuldet. 


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Insgesamt bleibt vor diesem Hintergrund daher zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof zu gegebener Zeit die vom Oberlandesgericht Frankfurt vertretene wenig überzeugende Meinung korrigiert und klarstellt, dass die gesetzlich nicht geschuldete, freiwillige und überobligationsmäßige Erteilung von zusätzlichen Erläuterungen für die Berechnung der VFE bei Vertragsschluss bei einer offenkundigen und für den Darlehensnehmer erkennbaren Unvollständigkeit nicht dazu führen kann, dass der Darlehensgeber seine gesamte VFE verliert.


Beitragsnummer: 12939

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