Montag, 4. März 2019

Verzahnung von Geschäfts- und Refinanzierungsplanung

Wohin mit der Liquidität?

Michael Endmann, Direktor Gesamtbanksteuerung, Stadtsparkasse München

Seit Mitte des Jahres 2016 befindet sich die deutsche Kreditwirtschaft in einer Situation, wie es sie seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland nicht gab. Die Ausleihungen an inländische Privatpersonen, Unternehmen und öffentliche Haushalte (im Bundesbank-Statistik Jargon inländische Nichtbanken genannt) liegen in ihrer Höhe unter den Verbindlichkeiten und Einlagen von inländischen Privatpersonen, Unternehmen und öffentlichen Haushalten. Gegenüber dem Jahr 2000, als das Verhältnis zwischen Ausleihungen und Verbindlichkeiten in der Spitze bei knapp 160 % lag, drehte dieses Verhältnis ab Mitte 2016 unter 100 % und liegt Ende des vergangenen Jahres bei 96 %. (Die Daten hierzu kommen aus der monatlichen Bilanzstatistik, die die Bundesbank freundlicherweise auf aggregierter Ebene der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung stellt.) Die deutsche Kreditwirtschaft ist bezogen auf die inländischen Nichtbanken passivlastig geworden.

SEMINARTIPPS

FCH Fit & Proper VORSTAND: Risikomanagement, 06.05.2019, Berlin.

Herausforderung: Verzahnung zwischen Kapital- und Liquiditätsplanung, 14.05.2019, Köln.

Update: COREP & Liquiditätsmeldewesen 2020, 14.10.2019, Köln.

Herausforderung: Daten-Verzahnung Controlling, Melde- & Rechnungswesen, 16.10.2019, Köln.

Neues ICAAP- & ILAAP-Reporting, 23.10.2019, Frankfurt/M.

Gleichzeitig kam es zu einer massiven Veränderung in der Struktur der Einlagen. Während bis zu Anfang des jetzigen Jahrtausends die Sichteinlagen nur gut ein Zehntel der Einlagen betrugen, sind es heute für die gesamte deutsche Kreditwirtschaft mehr als vier Zehntel, bei den Sparkassen und Kreditgenossenschaften sogar mehr als sechs Zehntel. Langfristige Verbindlichkeiten sind täglich fälligen Sichteinlagen gewichen. Aufgrund der Zinssituation gibt es für die inländischen Nichtbanken-Kunden augenscheinlich keinen Vorteil mehr für eine langfristige Bindung ihrer Überschussliquidität, so dass der vermeintliche Vorteil einer täglichen Verfügbarkeit ausschlaggebend ist. In Folge ist das Abrufrisiko in den Bilanzen der deutschen Banken dramatisch gestiegen.



Die Rolle der Zentralbanken

Mit Beginn der Finanzmarktkrise, als es zu Engpässen in der Kapitalmarkt-Liquidität kam, begannen die Zentralbanken massiv Liquidität in die Märkte zu pumpen. Die EZB bot u. a. sog. Longer-term refinancing operations an, um die Kreditwirtschaft mit Liquidität zu versorgen. Darüber hinaus setzten die Zentralbanken auf außergewöhnliche Maßnahmen, wie z. B. die Asset Purchase Programmes, bei denen die Zentralbanken neben öffentlichen Schuldtiteln und Covered Bonds auch ABS und Corporate-Bonds aufkauften. Dadurch kam es zu einem Überangebot von Liquidität und einer deutlichen Beeinflussung der Preise im Kapitalmarkt.

Im Oktober 2014 beendete die FED das Nettoankaufsprogramm, die EZB zog erst Ende vergangenen Jahres nach. Mit dem Ende der Liquiditätsschwemme durch die Zentralbanken könnte sich die Liquiditätssituation an den Kapitalmärkten normalisieren und den Preis für Liquidität wieder steigen lassen, was zu steigenden (langfristigen) Zinsen führen könnte.

Zu wenig Liquidität ist schnell tödlich, zu viel lässt einen langsam ertrinken!

Die Kreditwirtschaft ist eine Industrie, in der das Zahlungsmittel zugleich der Rohstoff ist. Aus dem Rohstoff Liquidität (oder EURO) lassen sich Baufinanzierungen, Firmenkundenkredite und Projektfinanzierungen herstellen. Der Rohstoff wird den Banken von den Einlagengebern zur Verfügung gestellt. Leider ist es so, dass mit einem Großteil der Einlagenkunden Verträge abgeschlossen wurden, die es diesen ermöglichen, den Banken autonom den Rohstoff in die Bücher zu kippen.

Anstelle zu planen, welche Baufinanzierungen und Firmenkundenkredite die Banken herstellen wollen (und mit ausreichend Eigenkapital unterlegen müssen), besteht das Problem der Banken darin, die überschüssige Liquidität auf der Anlagenseite unterzubringen. Dies kann, solange die derzeitige Zinssituation vorherrscht, erhebliche Kosten verursachen, sollte es nicht gelingen, profitable (Aktiv-)Produkte herzustellen, sondern die Liquidität bei der Zentralbank parken zu müssen. Bei einer Veranlagung auf der Aktivseite könnte sich die Transformationsposition der Banken deutlich erhöhen und das Risiko hieraus steigen lassen.

Im Idealfall plant eine Bank, welche Aktiv-Produkte sie herstellen möchte (in den Worten der Aufsicht im Business Plan oder der Geschäftsplanung). Die Refinanzierung dieser Aktiv-Produkte muss berücksichtigen, dass ein Teil über Eigenkapital finanziert (Kapitalplanung) und der Rest fremdfinanziert wird (Funding Plan oder Refinanzierungsplanung). Zugleich muss geprüft werden, ob die eingegangene Fristentransformationsposition sowie dem Geschäft inhärente Risiken getragen werden können.

Die Renaissance des Privatkunden

Mit dem Ende der expansiven Geldpolitik der Zentralbanken könnten die Zinsen wieder steigen und die Liquidität an den Märkten zurückgehen. Dies könnte die Stunde des Privatkunden werden, oder besser, die Stunde der günstigen Refinanzierung über Einlagen von Privatkunden. In ihrem Report on Funding Plans vom September 2018 schreibt die EBA, dass die Banken in Europa in den nächsten Jahren sich wieder verstärkt über Privatkunden refinanzieren wollen, und es somit zu einem Wettbewerb um Einlagenkunden kommen könnte. Dies könnte insbesondere aufgrund der Struktur der Einlagen sowie der ggf. langfristigen Gegenanlagen zu Verwerfungen in den Bankbilanzen führen und einen Preiskampf entstehen lassen. Hierauf gilt es, sich vorzubereiten.

PRAXISTIPPS

  • Analyse der Herkunft der Einlagengelder – welche Anteile sind Gelder von Neukunden, welche Anteile sind liegengebliebene Gelder, welche Umschichtungen zwischen verschiedenen Einlagenprodukte können identifiziert werden?
  • Überprüfung der Preis- und Produktpolitik der Einlagenseite mit dem Fokus auf Szenarios steigender Zinsen.
  • Stärkung der Refinanzierungsmöglichkeiten über Kapitalmarktprodukte wie Pfandbriefe.


Beitragsnummer: 1215

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