Donnerstag, 1. Oktober 2020

Erbrechtliche Wiederverheiratungsklauseln im Praxistest

Asset-Protection durch Wiederverheiratungsklauseln: worauf ist zu achten?

Rechtsanwalt Prof. Dr. Maximilian A. Werkmüller, LL.M., Düsseldorf
SSP-LAW (Of Counsel), Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf,
 Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine BWL, Finance und Family Office Management an der Allensbach-Hochschule in Konstanz

  

I.    Einleitung

Wiederverheiratungsklauseln spielen heute in der Gestaltung von gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten nicht mehr die Rolle, die ihnen noch in den sechziger oder siebziger Jahren zugefallen ist. Zu sehr hat sich das gesamtgesellschaftliche Verständnis mit Blick auf die Lebensgestaltung des überlebenden Ehegatten geändert. Aber es gibt aus diesen Jahren noch zahlreiche „Altfälle“, die heute die Erben und teilweise auch die Gerichte beschäftigen. Bei allem Disput über Sinn und Zweck derartiger Klauseln und deren Ausgestaltung in technischer Hinsicht ist eines unstreitig: Einziges Motiv einer solchen Klausel ist es, den gemeinsamen Kindern ein Mindestmaß an finanzieller Sicherheit beim Ableben eines Elternteils zu geben, bevor dieser seinen Lebensweg mit einem neuen Ehepartner fortsetzen und er diesen zu seinem Erben einsetzen kann. Die Entreicherung aus dem ererbten Vermögen ist der Preis, den der Überlebende für die Rückerlangung seiner Testierfreiheit „bezahlen“ muss. Heute sind sog. Patchwork-Konstellationen eher der Regel- als der Ausnahmefall. Immer öfter bringt der neue Ehepartner eigene Kinder in die Ehe mit. Leicht vorstellbar ist es deshalb, dass der Nachlass des Erstversterbenden Ehegatten durch die höheren Lebenshaltungskosten in einer solchen neuen ehelichen Verbindung in erheblichem Maße angetastet, wenn nicht sogar gänzlich aufgezehrt werden. Die nachfolgende Abhandlung möchte die Wiederverheiratungsklausel in der Spielart der sog. Vermächtnislösung näher beleuchten, Problemfelder diskutieren und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.

 

II. Die Regelungstechnik

 

  1. Einheits- und Trennungslösung 

Gemeinschaftliche Testamente können bekanntlich entweder dem Prinzip der sog.  Einheitslösung oder der sog. Trennungslösung folgen. Bei der Einheitslösung wird der überlebende Ehegatte mit dem Ableben des Erstversterbenden zunächst Vollerbe; er ist jedoch zugleich auch aufschiebend (auf die Wiederheirat) bedingter Vorerbe. Gleichzeitig ist die Vollerbenstellung auf das Unterlassen einer Wiederverheiratung bis zu seinem eigenen Ableben auflösend bedingt. Dieser zugegebenermaßen nicht einfache und in der praktischen Handhabung mit zahlreichen „Fußangeln“ versehene Mechanismus entspricht der derzeit herrschenden Meinung[1]. Über die rechtspolitische und verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Klauseln ist ebenfalls trefflich gestritten worden[2]. Bei der Trennungslösung wird der Überlebende ohnehin nur Vorerbe – befreit oder nicht befreit; die Wiederverheiratung ist lediglich neben dem eigenen Nachversterben eine weitere Bedingung, welche den Nacherbfall auslöst. 

Die Schlusserbschaft der gemeinschaftlichen Abkömmlinge ist ungeachtet dessen, ob sie im Rahmen eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments oder im Rahmen eines Erbvertrages verfügt wurde, bindend[3]. Sie hindert den überlebenden Ehegatten daran, von dem gemeinsamen Inhalt des Ehegattentestaments oder -erbvertrags zugunsten des neuen Ehepartners abzuweichen.

 

  1. Sog. Vermächtnislösung

 

Entscheiden sich die Testierenden für die sog. Vermächtnislösung, so setzen sie für den Fall der Wiederheirat zugunsten ihrer gemeinschaftlichen Abkömmlinge ein Vermächtnis aus, welches der wiederheiratende Elternteil im Falle der Wiederheirat an sie herauszugeben hat. Die Vermächtnislösung funktioniert nur bei gemeinschaftlichen Testamenten, die der Einheitslösung folgen[4]. Durch eine solche Anordnung wird der Anfall des Vermächtnisses gemäß § 2177 BGB auf den Zeitpunkt des Bedingungseintritts hinausgeschoben. Vermächtnisgegenstand kann z. B. die Auszahlung eines bestimmten Geldbetrages sein. Es kann aber auch bestimmt werden, dass den gemeinsamen Abkömmlingen ein ihrem gesetzlichen Erbteil oder einem Bruchteil davon entsprechender Anteil am Vermögen des Erstverstorbenen, berechnet auf den Tag dessen Ablebens, herauszugeben ist[5]

Im fachwissenschaftlichen Schrifttum ist anerkannt, dass die Vermächtnislösung den eigentlich als Schlusserben eingesetzten Abkömmlingen nur einen verhältnismäßig geringen Schutz bietet. Anders als bei der Trennungslösung und der damit verbundenen Vor- und Nacherbschaft kann der Überlebende bis zum Eintritt der den Vermächtnisanspruch auslösenden Bedingung über den Nachlass des Erstverstorbenen frei und weitgehend ungehindert verfügen[6]. Aus genau diesem Grund stellt sich die Frage, ob nicht in Fällen einer Vermächtnislösung auch die Erfüllung der Vermächtnisse zu Lebzeiten des Überlebenden als weitere Bedingung für die Wiedererlangung der Testierfreiheit mit in die Klausel „hineingelesen“ werden muss. Nur in diesem Fall wäre die Erfüllung des Schutzzwecks der Klausel gesichert.

 

III. Bedingungen für die Wiedererlangung der Testierfreiheit

 

Zwar mag die Vermächtnislösung auf den ersten Blick als der vermeintlich einfachere Weg erscheinen, dem Überlebenden, aber insbesondere auch den eingesetzten Schlusserben eine Auseinandersetzung mit den „Untiefen“ der Vor- und Nacherbschaft des Überlebenden zu ersparen. Die Wiederheirat soll den Vermächtnisanspruch auslösen – ab diesem Zeitpunkt müssen sich die Schlusserben darum kümmern, das zu bekommen, was ihnen zugesagt war[7]. Tun sie dies nicht, so kann darin ein Verzicht oder sogar die Ausschlagung des Vermächtnisses liegen – es muss hingegen nicht so sein. Typischerweise geht mit der Wiederverheiratung des Überlebenden eine grundsätzliche Änderung dessen allgemeiner Lebensumstände einher. Das Verhältnis zu den gemeinschaftlichen Kindern aus der früheren Ehe wird hierdurch oft belastet. Insbesondere gilt dies für Fälle, in denen der neue Ehepartner eigene Kinder seinerseits mit in die Familie bringt. In derartigen Situationen treten nun die Schwächen der Vermächtnislösung deutlich zutage: Während die gemeinschaftlichen Kinder im Falle einer aufschiebend auf die Wiederheirat bedingten Vor- und auflösende bedingten Vollerbschaft qua Erbenstellung unmittelbar in den Genuss des zumindest anteiligen Nachlasses des Vorverstorbenen Elternteils gelangen, müssen sie bei der Vermächtnislösung ihre Ansprüche erst noch geltend machen. 


  1. Ableben des Überlebenden vor Vermächtniserfüllung

Schwierig werden solche Fälle dann, wenn diese Geltendmachung nach erfolgter Wiederverheiratung des Überlebenden nicht geschieht, sondern seinerseits nun der überlebende Ehegatte nach erfolgter Wiederheirat aber vor der Erfüllung der Vermächtnisse verstirbt. Hatte er inzwischen seinen neuen Ehepartner testamentarisch zum Alleinerben berufen, so müssten sich – wollte man allein die Wiederheirat zur Bedingung für die Wiedererlangung der Testierfreiheit erklären – die Schlusserben mit dem neuen Ehepartner über die Erfüllung der seinerzeit verfügten Vermächtnisse auseinandersetzen. Dies hingegen dürfte kaum dem tatsächlichen Willen der vertragschließenden Parteien entsprechen. Die Lebenserfahrung lässt deshalb in dieser Konstellation ernsthafte Zweifel daran aufkommen, dass allein die Wiederheirat zur Rückerlangung der Testierfreiheit ausreichen soll. Vielmehr wird man davon ausgehen müssen, dass die Testierenden davon ausgegangen sind, dass der Überlebende – sofern nichts anderes ausdrücklich vereinbart ist – seine Testierfreiheit erst dann zurückerlangt, wenn er die Vermächtnisse erfüllt hat und mithin die versprochene Entreicherung zugunsten der gemeinsamen Abkömmlinge auch eingetreten ist. Die sog. ergänzende Vertragsauslegung ist nicht nur bei allen einseitig testamentarischen Verfügungen, sondern auch bei wechselbezüglichen oder vertragsgemäßen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament bzw. bei einem Erbvertrag zulässig. Bei den zuletzt genannten Verfügungen kommt es jedoch nicht allein auf den hypothetischen Willen des Erblassers an. Maßgebend ist vielmehr gem. § 157 BGB der übereinstimmende hypothetische Wille beider Beteiligten bzw. Vertragspartner, und zwar beim Erbvertrag auch dann, wenn nur ein Vertragsteil vertragsmäßig bindend verfügt hat[8].

Zu diesem Auslegungsergebnis wird man erst recht dann kommen müssen, wenn das Testament oder der Erbvertrag zusätzlich eine Pflichtteilsklausel enthält, welche die Abkömmlinge davon abhalten soll, dasjenige einzufordern, was ihnen mindestens beim Tod eines Elternteils zusteht. Möchte der Überlebende erneut testieren, hat er aber die Vermächtnisse zugunsten der gemeinschaftlichen Kinder noch nicht erfüllt, so muss er diese auffordern, ihre Vermächtnisse entweder geltend zu machen oder sie auszuschlagen. Erst dann erlangt er Rechtssicherheit mit Blick auf seine Testierfreiheit und kann er eine neue letztwillige Verfügung errichten.

 

  1. Erfüllungsverlangen der Vermächtnisnehmer 

Die allgemeine Lebenssituation des überlebenden Ehegatten im Zuge dessen Wiederheirat mag dazu beitragen, dass das Erfüllungsverlangen der Abkömmlinge mit Blick auf die verfügten Vermächtnisse sich verzögert oder in einigen Fällen bis zum Ableben des Überlebenden ganz ausbleibt. Dies ist so lange unproblematisch, wie der Überlebende keine neue letztwillige Verfügung errichtet, welche die mit Bindungswirkung versehenen Vermächtnisse betreffen. In diesem Fall bleibt es bei der bindenden Schlusserbeinsetzung der gemeinschaftlichen Abkömmlinge. Ein Anfechtungsrecht des neues Ehegatten gem. § 2079 BGB dürfte aufgrund der Wiederverheiratungsklausel ausscheiden beziehungsweise konkludent abbedungen sein[9]. Man mag darüber streiten, ob ein anderes Ergebnis gilt, wenn die Erfüllung der Vermächtnisse zwar „verlangt“, diese aber mit Blick auf das Ableben des überlebenden Ehegatten nicht mehr erfüllt wurden bzw. erfüllt werden konnten. Zwar ist hier noch keine Entreicherung des Erblassers eingetreten und mithin die zweite Bedingung zur Wiedererlangung der Testierfreiheit unerfüllt geblieben. Dieser Umstand kann sich nun aber nicht zu Lasten des Erblassers und seinem ggf. zum (Allein-)Erben eingesetzten neuen Ehepartner auswirken. Auch hier würde die ergänzende Vertragsauslegung wohl zu dem Ergebnis führen, dass der neue Ehegatte zwar Erbe werden kann, er aber verpflichtet bleibt, die Vermächtnisse zu erfüllen. 


Buchtipp

Werkmüller (Hrsg.): Family Office Management 4. Aufl. 2019.


IV. Fazit

 

Ist bei einer Wiederverheiratungsklausel in der Form der Vermächtnislösung die Erfüllung der Vermächtnisse zu Lebzeiten des Überlebenden nicht ausdrücklich als Bedingung für die Wiedererlangung der Testierfähigkeit in den Wortlaut des Testaments oder des Erbvertrags aufgenommen, so ergibt sie sich aus den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung. Wurden die Vermächtnisse bis zum Ableben des Überlebenden nicht geltend gemacht und insoweit auch nicht erfüllt, so bleibt es bei der Bindungswirkung der Schlusserbeinsetzung der gemeinschaftlichen Abkömmlinge aus der ersten Ehe, selbst wenn der Erblasser inzwischen anderweitig testiert hat.

  

PRAXISTIPPS

  • Wiederverheiratungsklauseln sollen die leiblichen Abkömmlinge bei gemeinschaftlichen Testamenten davor schützen, dass ihr Erbteil, auf welchen sie zugunsten des Überlebenden mit dem Tod des Erstversterbenden verzichtet haben, nicht durch eine weitere Ehe und die damit verbundenen Änderungen der Lebensumstände angegriffen oder gar vollständig aufgezehrt wird.
  • Diese Schutzwirkung können sie nur dann erfüllen, wenn sichergestellt ist, dass zu Lebzeiten des Überlebenden auch tatsächlich eine Entreicherung eintritt.
  • Verstirbt bei der Vermächtnislösung der Überlebende vor Erfüllung der Vermächtnisse aber nach Wiederheirat und Alleinerbeinsetzung des neuen Ehepartners, so ist die Klausel dahingehend auszulegen, dass erst die Erfüllung der Vermächtnisse dem Überlebenden seine volle Testierfreiheit zurückgewährt.


[1] Vgl. zu dieser Systematik ausführlich Zawar, Der bedingte oder befristete Erwerb von Todes wegen, DnotZ 1986 S. 151 ff. (515); vgl. auch Völzmann, Wiederverheiratungsklauseln, RnotZ 2012 S. 1 ff. (4 ff.), der insbesondere die rechtspolitischen Fragen der Zulässigkeit solcher Klauseln beleuchtet. Vgl. auch Musielak in MünchKomm, BGB, § 2269, Rn. 54 ff.

[2] Vgl. den umfassenden Überblick zum damaligen Streitstand bei Wilhelm, Wiederverheiratungsklausel, bedingte Erbeinsetzung und Vor- und Nacherbfolge, NJW 1990 S. 2.857 ff. sowie – aktueller – bei Völzmann, a.a.O

[3] Vgl. statt vieler BayObLG, FmRZ 1989 S. 1.353; Musielak, MünchKomm-BGB, § 2278, Rn. 5 m.w.N.; Litzenburger in BeckOK, BGB, § 2278, Rn. 6, ebenfalls m.w.N.

[4] Vgl. Völzmann, Wiederverheiratungsklauseln, RnotZ 2012 S. 1 ff. (4 ff.), S. 11 f.  

[5] Völzmann, a.a.O. m.w.N.

[6] Vgl. Völzmann, a.a.O., S. 12.

[7] Vgl. Musielak, a.a.O., Rn. 53; vgl. auch Völzmann, a.a.O., S. 12.

[8] Vgl. Litzenburger, BeckOK, BGB, § 2084 Rn. 45 unter Hinweis auf KG OLGZ 1966, OLGZ Jahr 1966 S. 506; BayObLGZ 1962, BayObLGZ, Jahr 1962 S. 142; für den Erbvertrag vgl. BGH FamRZ 1983,1983 S. 380.

[9] Vgl. Hierzu Weidlich in Palandt, BGB, § 2271 Rbn. 30 m.w.N.


Beitragsnummer: 10758

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