Mittwoch, 4. September 2024

Nachbesicherung muss nicht automatisch Gläubigerbenachteiligung sein


Es kommt häufig vor, dass Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten geraten und die beteiligten Kreditinstitute dann gefordert sind, Hilfestellung zu leisten. Bei größeren Engagements werden auch Sanierungsgutachten beigezogen, um von sachkundigen Dritten die Erfolgsaussichten beurteilen zu lassen. Gelegentlich treten die prognostizierten Ergebnisse jedoch nicht ein und das Unternehmen fällt doch in die Insolvenz, so dass schnell die Frage auftaucht, ob der Sanierungsversuch überhaupt geeignet war, das Unternehmen zu retten. Wurde auch noch eine Zusatzbesicherung vereinbart, kann es für die Gläubiger durchaus schwierig werden. Der Bundesgerichtshof gibt in seinem Urteil vom 18.01.2024 (IX ZR 6/22) Hinweise zur rechtlichen Einordnung dieser Thematik.


Ausgangssituation

Im vorliegenden Fall hatte die Schuldnerin (Produktion und Vertrieb von Modelleisenbahnen) am 18.09.2006 einen Eigenantrag zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Bankenseitig standen fünf Kreditinstitute (= Beklagte) mit Kreditlinien zur Verfügung. Nachdem die Kreditlinie der Schuldnerin bei der Beklagten zu 1 am 19.04.2005 ausgelaufen war, fand am 31.05.2005, dem Tag des Auslaufens der Kreditlinie auch bei der Beklagten zu 4, ein Treffen statt, bei dem die Beklagten von der Schuldnerin eine Nachbesicherung forderten. Die Schuldnerin gab zur Prüfung ihrer Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit ein Gutachten in Auftrag. Die Beklagten zu 1 und 4 stundeten ihre Forderungen bis zum 15.08.2005. Die Laufzeiten der Kredite der Beklagten zu 2 und 3 endeten erst am 30.09.2005, das Darlehen der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 5 war langfristiger Natur.

Die Rechtsanwälte der Schuldnerin erklärten dieser mit Anwaltsschreiben vom 06.06.2005, dass sie eine Nachbesicherung bestehender Betriebsmittellinien in der Krise für rechtlich äußerst bedenklich hielten und ein Insolvenzverwalter die Bestellung der Sicherheiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anfechten werde. Die auf Seiten der Banken verhandlungsführende Beklagte zu 1 übersandte der Schuldnerin in den Wochen nach dem Treffen vom 31.05.2005 Verträge über Nachbesicherungen. Die darunter befindliche Sicherungsübereignung des gesamten Warenlagers zeichnete die Schuldnerin am 24.06.2005 gegen und sandte sie an die Beklagte zu 1 zurück. Die weiteren Verträge über Globalzessionen hinsichtlich gegenwärtiger und zukünftiger Forderungen der Schuldnerin gegenüber verschiedenen Drittschuldnern und über eine Sicherungsübereignung ihres Anlagevermögens unterzeichnete die Schuldnerin am 13.07.2005, reichte sie aber nicht an die Beklagte zu 1 zurück, sondern übermittelte sie an ihre Rechtsanwälte mit der Auflage, sie erst dann weiterzuleiten, wenn dies strafrechtlich unbedenklich sei.

Am 12.08.2005 lag das Sanierungsgutachten vor, in dem die Schuldnerin insbesondere unter den Prämissen, dass die Umsätze steigen würden, die in den USA tätige Tochtergesellschaft Verbindlichkeiten gegenüber der Schuldnerin begleichen würde und die Banken die Kredite bis Ende 2007 prolongieren würden, als sanierungsfähig angesehen wurde. Am 30.08.2005 erklärten sich die Beklagten grundsätzlich zur Finanzierung bis zum 31.03.2006 bereit. Am selben Tag übergaben die Rechtsanwälte der Schuldnerin der Beklagten zu 1 die unterschriebenen Verträge betreffend die Nachbesicherungen und erklärten die Freigabe „Zug um Zug gegen eine Erklärung des Bankenpools", dass bis zum 31.03.2006 prolongiert werde. Durch Übersendung entsprechender Dokumente am 23.09.2005 verpfändete die Schuldnerin ferner Markenrechte an die Beklagten und trat ihnen Ansprüche aus Lizenzverträgen ab.

Vor diesem Hintergrund hat der klagende Insolvenzverwalter die Nachbesicherungen angefochten.


Die Entscheidung

Das Urteil stellt auf die (damals hinsichtlich der Zeiträume etwas abweichenden) Regelungen in § 133 Abs. 1 Satz 1 der InsO ab. Geblieben ist allerdings die grundsätzliche Betrachtung der Sachlage.

Im hier vorliegenden Fall bejaht der Bundesgerichtshof zwar, dass den Beklagten (gem. Rn. 14) „kein Anspruch auf die ihnen gewährte Art der Nachbesicherung zustand. … Weiter rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen drohend zahlungsunfähig war.

Hinsichtlich des Benachteiligungsvorsatzes unterscheidet der Bundesgerichtshof zudem zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung: bei einer kongruenten Deckung kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofes nicht alleine aus der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gefolgert werden, dass der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handelt. Es wird vielmehr neben der Zahlungsunfähigkeit vorausgesetzt, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt weiß oder billigend in Kauf nimmt, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen (s. Rn. 17). Bei einer inkongruenten Deckung liegt prinzipiell eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger vor, weil der begünstigte Gläubiger kein Recht hatte, die erhaltene Leistung zu fordern (s. Rn. 18). „Daher ist die Gewährung einer inkongruenten Deckung in der Regel ein starkes Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners, wenn Anlass bestand, an der Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu zweifeln.

Im vorliegenden Fall war der Bundesgerichtshof jedoch mit Betrachtung der Vorinstanz nicht einverstanden. So wurde festgestellt, dass „das die gemäß § 286 ZPO dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung jedoch nicht entbehrlich macht und nicht schematisch im Sinne einer vom anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden darf.“ Rn. 19: „Richtigerweise obliegt im Streitfall den Beklagten der Gegenbeweis, dass die ihnen gewährte inkongruente Deckung Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs war.

In Rn. 22 wird weiter ausgeführt: „Im Streitfall ist auf der Grundlage der vom Berufungsgericht festgestellten Indizien und der unstreitigen Tatsachen der Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gerechtfertigt. Demnach war die Schuldnerin drohend zahlungsunfähig und kam der Inkongruenz der Nachbesicherung ein erhebliches Gewicht zu. Die Beklagten hatten keinen Anspruch auf die nachträgliche Bestellung zusätzlicher Sicherheiten, deren Umfang und Wert zudem erheblich waren. Die Beklagten haben im Gegenzug die bereits bestehenden Kredite lediglich verlängert. Sie haben damit – wie das Berufungsgericht feststellt – wenig aufgegeben, um viel zu erhalten.

Allerdings weist der Bundesgerichtshof in Rn. 23 darauf hin, dass der Benachteiligungsvorsatz ausgeschlossen sein kann, „wenn die Umstände des Einzelfalls ergeben, dass die angefochtene Rechtshandlung von einem anderen, anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen geleitet war und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger infolgedessen in den Hintergrund getreten ist. … Das Beweisanzeichen einer inkongruenten Deckung ist insbesondere entkräftet, wenn die angefochtene Rechtshandlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Sanierungskonzept stand, das mindestens in den Anfängen schon in der Tat umgesetzt war und die ernsthafte Aussicht auf Erfolg begründete.

Im konkreten Fall hatte der Bundesgerichtshof einige Annahmen und Feststellungen der Vorinstanz kritisch betrachtet und letztlich verworfen, da diese fehlerhaft waren oder nicht einer weiteren Überprüfung standhielten. Den (positiven) Ausschlag für den Ausschluss des Benachteiligungsvorsatzes formuliert der Bundesgerichtshof (in Rn. 37) wie folgt: „Wird die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vermutet, muss der Anfechtungsgegner den Beweis des Gegenteils führen. Zur Widerlegung der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO genügt es, wenn der Anfechtungsgegner konkrete Umstände darlegt und beweist, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm im Hinblick auf den Sanierungsversuch der (hier unterstellte) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt geblieben war. Hierbei darf sich der Anfechtungsgegner grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters verlassen, solange er keine (erheblichen) Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder dass der Sanierungsplan keine Aussicht auf Erfolg hat.


Die praktische Lösung

Die Begleitung eines Kunden in der Krise ist zugegebenermaßen schwierig. Im konkreten Fall war es für die (beklagten) Banken sicherlich von Vorteil, dass das Sanierungskonzept zumindest nicht vollständig angreifbar war, auf den ersten Blick also umsetzbar erschien und vor allem die Sanierungsbemühungen bereits gestartet hatten. Zudem wird vom Bundesgerichtshof die Wichtigkeit einer gesamtheitlichen Betrachtung hervorgehoben.

Es mag sich im Nachhinein herausstellen, dass einzelne Annahmen eines Gutachtens doch nicht eingetreten sind, aber solange eine reelle Chance für eine annähernde Umsetzung des Gesamtvorhabens besteht, sollten mögliche Absprachen zwischen dem Schuldner und einzelnen Gläubigern in der Regel nicht anfechtbar sein.

Ferner sollte eine gute Dokumentation auf Seiten der Kreditinstitute erfolgen, um später noch nachweisen zu können, dass die einzelnen Punkte auch eingehend beleuchtet wurden. Nur so kann bei einer späteren Auseinandersetzung mit einem Insolvenzverwalter dargelegt werden, dass dem Gläubiger ein möglicher Benachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt war.


PRAXISTIPPS

  • Die Annahmen und Grundlagen eines Sanierungsgutachtens sind kritisch zu hinterfragen. Insbesondere sollten Alternativen bedacht werden, wenn bei einzelnen Parametern doch nicht die angenommene Entwicklung eintritt.
  • Die in einem Gutachten vorgeschlagenen Maßnahmen sollten zügig und vor allem innerhalb des angenommenen Zeitrahmens umgesetzt werden, um auch die Ernsthaftigkeit eines Sanierungsvorhabens zu unterstreichen.
  • Ist ein Kreditinstitut von einem Sanierungsvorhaben nicht überzeugt bzw. möchte dieses aus anderen Gründen nicht begleiten, sollte von einer Zusatzbesicherung (ohne echte Gegenleistung) Abstand genommen werden.

Link um Urteil:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=04e72c88790f10bb51feb505190c8da6&nr=137964&anz=1&pos=0

 

Hans-Jürgen Wieczorrek, Firmenkundenbetreuer Sanierung, Kreissparkasse Köln

 

 


Beitragsnummer: 22722

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